Israel als Urgeheimnis Gottes?. Lukasz Strzyz-Steinert

Israel als Urgeheimnis Gottes? - Lukasz Strzyz-Steinert


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ist im wirklichen, lebenslangen Dialog mit der Vergangenheit und Gegenwart, mit der ganzen abendländischen Geistesgeschichte von Heraklit bis Nietzsche: er öffnet sich allen und kann so allen geben“174.

      Wie Przywara selbst sagte, ging seine Arbeit durch „Beziehungen zu Lebenden“175. Zu seinem Phänomen gehört, dass er vor allem in der Zwischenkriegszeit als katholischer Theologe „der unheimlich hellsichtige Gesprächspartner fast aller bedeutsamen Theologen und Philosophen seiner Zeit“176 war, sei es durch seine Rezensionen und Besprechungen, sei es durch seine unermüdliche Vortragstätigkeit, die ihren Höhepunkt in den Jahren 1928 und 1929 erreichte, als Przywara an den Davoser Hochschulkursen mitwirkte, die solche Protagonisten der damaligen Zeit wie Albert Einstein, Franz Oppenheimer, Ernst Cassirer, Léon Brunschvicg, Nicolai Hartmann, Lucien Lévy-Bruhl, Wilhelm Pinder, Martin Heidegger, Paul Tillich und andere zusammenführten177. Als bahnbrechend muss die interkonfessionelle Debatte zwischen Przywara und Barth bezeichnet werden. Auch wenn sich diese Diskussion unglücklicherweise in den Missverständnissen um den Terminus analogia entis verrann, so bezeichnete Josef Pieper Przywara als einen „der Wiederentdecker des kontroverstheologischen Gesprächs in Deutschland“178.

      Dieser Anstrengung, im Geist der Polarität und Analogie alle möglichen Elemente der sich vor ihm erstreckenden Geisteslandschaft zu begreifen, zu analysieren und zu verorten, um ins Gespräch mit der Welt zu treten, wird man etwas Titanisches beimessen müssen179. Przywara zieht in diesen lebhaften Diskurs, um inmitten der vielen Stimmen die Frage nach dem Verhältnis zwischen Gott und Welt, nach dem Einen und Ganzen zu stellen. Dazu begibt er sich an die „Komplikationsstellen der Wirklichkeit“180 und dialogisiert mit der Gegenwart, „wo sie nicht nur an sich interessant ist, sondern die Forschenden plagt und wo die Schmerzen der kreißenden Zeit eine möglich glückhafte Geburt erhoffen lassen“181.

      Zwei Titel seiner Aufsatzsammlungen bringen zum Ausdruck, wie Przywara seine Sendung verstand. Die Aufsätze aus den Jahren 1922–1927 werden unter dem Titel Ringen der Gegenwart herausgegeben, da er in das Ringen innerhalb des Katholizismus und des Geisteslebens im Allgemeinen „in weitem Umfang hineingezogen“182 wurde. Noch deutlicher kommt es zum Tragen in der Überschrift der Sammlung seiner nach dem II. Weltkrieg verfassten Artikel In und gegen. Das „besondere Zwielicht des Heute einer Katastrophe, die noch nicht ausgetragen ist, und einer neuen, die dräut, zwang den Verfasser zu einer besonderen Betonung von Scheidung und Unterscheidung“. So will er ganz „liebevoll“ in den jeweils anderen Standpunkt „einsteigen“ und in ihm „untergehen“, um dann die letzte Scheidung und Unterscheidung zu vollziehen. „Aber das Tantum-quantum, das Soweit-Als der Scheidung und Unterscheidung ist für ihn das ‚In‘ des ‚Einsteigens“183. Przywara ist kein kühler Observator. Die absolute Voraussetzung seines Urteilens und Scheidens ist sein Mit-, ja Untergehen in dem, was die Zeit bewegt184.

      An dieser Stelle ist es aber unabdingbar, nach der Methode zu fragen, die Przywara überhaupt ermöglichte, das Übermaß an Literatur und in den Gesprächen und Debatten steckenden Ansätzen zu bewältigen und sich schöpferisch anzueignen. Der wichtigste methodologische Ansatz, sich mit dem Werk eines Autors auseinanderzusetzen, bestand in der von Przywara in den ersten Jahren seiner Tätigkeit herausgearbeiteten Methode einer „immanenten Synthese“. Przywara pflegte die entscheidenden Stellen aus allen Werken, „die sogenannten ‚Kernstellen‘, je auf einem Zettel herauszuschreiben“, um dann unter diesen „letzten Aspekten“ den „immanenten Bezug zueinander“ aufzuzeigen185. Es geht ihm also um keine Anthologie, sondern darum, das dem ganzen Werk innewohnende System herauszustellen, ein „nicht rational statisches System, sondern System einer immanent schwingenden Rhythmik“186. Przywaras Lektüre gleicht einem Abhorchen, ob und wie sich bei den vielen Autoren unter den zeitgebundenen Begriffen und Themen die eine Frage nach Gott und Welt kund tut. „Es kommt darauf an, in der geschichtlich bedingten Sicht und Sprache des einen Denkers das Denken des anderen wiederzufinden, wie es z.B. aus dem F-Dur-Schlüssel seiner geschichtlichen Bedingtheit in den as-Moll-Schlüssel der geschichtlichen Bedingtheit des anderen über-tragen ist“187. Hinter diesem methodologischen Vorgehen steht der Ratschlag von Przywaras erstem Philosophie-Lehrer Josef Fröbes SJ, „in reiner Sachlichkeit (ohne pastorale oder apologetische Neben-Absichten) jeden Autor (sei er noch so anti-christlich oder antireligiös) ‚besser verstehen zu wollen, als er selbst sich versteht‘, […] um dann erst die Auseinandersetzung mit ihm zu beginnen“188.

      Je größer die Bewunderung für das Kreative der hier beschriebenen Methode Przywaras wird, desto stärker treten auch die mit ihr verbundenen Risiken und Mängel in Erscheinung. Wie Przywara selbst beteuert, muss in der Situation der Auflösung des Bisherigen sich die Tradition als schöpferische Macht bewähren. Ausgerechnet an den Katholizismus ergeht kein „Gerufensein, seine Schätze wie in einem Museum auszustellen. Es ist das eigentliche Gerufensein: im Tode Leben zu wirken“189. Er sucht in den Texten intuitiv nach den entscheidenden Einsichten, in denen das Gültige durchbricht190. Das Katholische muss „Aug in Aug“ mit den Bedrohungen gedacht werden, wie sich Przywara oft auszudrücken pflegt191. So handelt es sich bei seiner Beschäftigung mit den Texten nicht um eine Exegese, sondern vielmehr eine „schöpferische Aneignung“192 des jeweiligen Denkansatzes, der selbstständig oder sogar eigenwillig weitergedacht wird. Den Vorwurf, der historisch-kritischen Redlichkeit nicht gerecht zu sein, kann man allerdings nicht von der Hand weisen. Umso mehr, da Przywara seine Interpretationen nicht selten als die einzig objektiven darstellt.

      Der formale, konstruktive Denkimpetus Przywaras verbindet sich oft mit leidenschaftlicher Suche nach den Polaritäten und Gegensätzen zwischen den Autoren, was dazu führt, dass seine Werke an gewaltige Konstruktionen erinnern, in denen die einzigen Autoren als Repräsentanten bestimmter Ideen in dialektische Paare getrieben werden, um die Spannung oder die Dialektik zwischen ihnen aufzuzeigen. „Er denkt weniger mit ‚Begriffen‘ als mit ‚Systemen‘ und geistigen Ganzheiten, die bei ihm den Platz des Einzelbegriffs einnehmen“193. Darin liegt auch die Versuchung einer gewaltsamen Schematisierung, bei der sich die einzelnen Inhalte, aber auch die konkreten Autoren, in rein formale Gegenpole auflösen. Im Zuge der Beschäftigung mit der Überfülle von Autoren wird Przywara seinem Gegenüber nicht immer gerecht. Durch seinen erbitterten Kampf gegen jede Form von Identität und geradlinigem Denken stilisiert Przywara, nicht selten durch maßlos übertriebene Formulierungen, jede Position auf eine Form von Identität194. Da, wo diese Denkform übergewichtig wird, findet kein echtes Gespräch, keine Begegnung mit einem geschichtlich realen und nicht nur formal oder mystisch stilisierten Anderen statt.

      Vielleicht werden Przywaras Anspruch und seine Grenzen nirgendwo so deutlich, wie in Przywaras spätem Werk Humanitas. Auf gut über 800 Seiten wird in diesem verblüffenden Werk eine Überfülle von Autoren, Gedanken, Symbolen und Geschichten in ihren Gegensätzen gesichtet und zueinander geführt, um so das Bild der Zeit zu zeichnen. In seiner Rezension schreibt der jüdische Philosophieprofessor Fritz Kaufmann, dass Przywara neben genialen auch dilettantische, unverantwortliche und schlichtweg falsche Interpretationen liefert: „Große, aber auch gespenstische und verzerrte Visionen tauchen aus dieser Nacht und diesem Lodern der Seele auf“, die man „halb schmerzlich, halb belustigt begreift“195. Darüber hinaus ist dieses Werk kein wahres Ganzes und keine echte Spannungseinheit, da die vielen Standpunkte nur durch gewaltige Titel zu einer künstlichen Einheit zusammengeklammert werden. „Es ist vielleicht aber auch so, daß diese verwirrende Vielheit ein tiefsinniger Reportagetrick ist, den Grundcharakter der Zeit – ihren Mangel an Einheit – bloßzustellen“196. Es sei ein chaotisches und zerrissenes Bild der Zeit in einem qualvollen und doch missglückten Werk, dessen Bedeutung sich als Ausdruck von Przywaras Theologie des Kreuzes und als Aufschrei der zerrissenen Welt enthülle.

      Schließen wir uns dem Urteil Rahners an, um die Stärken, aber auch die Grenzen und Gefahren von Przywaras Denken im Gespräch konzise darzustellen.

      „Przywara mag manchmal selbst der erschreckenden und unheimlichen Kunst seiner ‚universalen Klassifikatorik‘ (Balthasar) erliegen und ungerecht gegen die werden, deren wirkliche oder bloß vermeintliche Systematik er zu Paaren treibt


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