Israel als Urgeheimnis Gottes?. Lukasz Strzyz-Steinert
An dieser Stelle bricht die Korrespondenz ab. Ob einige Briefe verlorengegangen sind, oder ob eine persönliche Aussprache stattgefunden hat, konnte ich nicht ausfindig machen. Auf jeden Fall mutet der Brief, den Taubes einige Jahre später an den betagten Przywara schrieb, fast lobeshymnisch an. Es sei immens wichtig, dass Przywara sein Werk fortsetze223.
Soweit ich es sehen kann, findet der Name Przywara keinen Platz in Taubes‘ Schriften. Nun aber zu seiner These, die indirekt auf Przywara angewandt werden kann. In seinen letzten Vorträgen warnt Taubes vor den simplifizierenden Interpretationen des deutschen Geisteslebens im Kontext der Verwicklung in den Nationalsozialismus. Explizit fragt er, warum einige geniale Denker katholischer Provenienz, er bezieht sich vor allem auf Heidegger und Schmitt, der Faszination des Nazismus erlagen. Im Zuge der Antwort sagt er:
„Die deutsche Kultur der Weimarer Republik und der Wilhelminischen Zeit war protestantisch und ein wenig jüdisch gefärbt. Das ist ein factum brutum. Die Universitäten waren protestantisch. Ich mein‘, es gab katholische Reservate, da irgendwo in München so eine Gegenuniversität, und dann – was weiß ich: Bonn und so weiter, aber das zählte doch nicht, schon gar nicht in Exegese. Catholica non sunt legenda“224.
Über die Intellektuellen katholischer Provenienz äußert sich Taubes:
„Sie sind auf dem Parkett der deutschen Universität nicht sicher und erobern sich einen Platz in einem Gestus der Zerstörung und Vernichtung des Vorangehenden, nämlich des protestantisch-jüdischen liberalen Konsensus […]. Das sind Menschen, die von einem Ressentiment geleitet sind, das ist das erste, die aber auch mit dem Genie des Ressentiments die Quellen neu lesen. […] Und da kam etwas ganz Phantastisches raus, ob richtig oder falsch, jedenfalls […] anders“225.
Ich möchte hier keineswegs diese These, über die sich wohl streiten lässt, direkt auf Przywara anwenden. Sie scheint mir aber irgendetwas von der Ambivalenz seines Denkens widerzugeben, die sich ja auch daran zeigt, dass Przywara, der in seinen späten Jahren über den Monarchisten Schoeps in höchsten Tönen sprach, das Interesse von „dessen Antipode in nahezu jeder Hinsicht“ 226, des Anarchisten Taubes, erweckte.
In Przywaras Werk lassen sich zwei Pole der denkerischen Auseinandersetzung mit dem christlich-jüdischen Verhältnis bestimmen. Zum einen ist es die religionsphilosophische Auseinandersetzung der jüdischen zeitgenössischen Autoren und Ansätze einer interreligiösen Debatte, deren wesentliche Momente auf die Mitte der 20er Jahre fallen, wenn auch mit dieser Periode nicht aufhören. Bestimmend hierfür sind die Denkfiguren der Polarität und der analogia entis. Zum anderen ist es die offenbarungs- und geschichtstheologische Sicht auf Israel, die ab den 30er Jahren immer bestimmender wird und zuerst seine Theologie ad intra prägt, um erst indirekt ad extra auf Israel zu zielen. Es ist aber bei jeder Etappe ein Denken, das dem Geheimnis der unerforschlichen Wege Gottes in Welt und Geschichte dienen will, das Paulus angesichts des Verhältnisses zwischen Juden und Heiden ausgesprochen hat.
„Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt. Und wie ihr einst Gott ungehorsam wart, jetzt aber infolge ihres Ungehorsams Erbarmen gefunden habt, so sind sie infolge des Erbarmens, das ihr gefunden habt, ungehorsam geworden, damit jetzt auch sie Erbarmen finden. Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen. O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege! Denn wer hat die Gedanken des Herrn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen? Wer hat ihm etwas gegeben, sodass Gott ihm etwas zurückgeben müsste? Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen (Röm 11, 29–36)“.
1 G. WILHELMY, Vita, 5. Vgl. dazu G. HAEFFNER, Erich Przywara, 137f. Zur Erstorientierung in Przywaras Leben, Werk und Denken siehe darüber hinaus vor allem H.U. VON BALTHASAR, Erich Przywara, in: H.J. SCHULTZ (Hrsg.), Tendenzen; DERS., Erich Przywara, in: L. ZIMNY (Hrsg.), Erich Przywara; P. MOLTENI, Al di là degli estremi; TH.F. O’MEARA, Erich Przywara. Viele vertiefende Einsichten in Przywaras Werk habe ich dankenswerterweise folgenden Arbeiten entnommen: B. GERTZ, Glaubenswelt; DERS., Kreuz-Struktur; M. SCHNEIDER, „Unterscheidung der Geister“; bes. 26–78; A. SCHÜTZ, Die mehrdimensionale Theo-Logik; K.-H. WIESEMANN, Zerspringender Akkord, bes. 274–400; F. WULF, Christliches Denken; M. ZECHMEISTER, Gottes-Nacht.
2 Oberschlesien, in: IuG, 12. Die Werke von E. Przywara werden in dieser Arbeit ohne Autorenangabe zitiert. Die mit Abkürzungen angegebenen Werke werden nicht mit ebd. ersetzt. An dieser Stelle sei angemerkt, dass in allen Zitaten von Przywaras Werk die dort verwendete, manchmal eigenwillige und den allgemeinen Regeln zuwiderlaufende, Rechtschreibung genau wiedergegeben ist. Als anlässlich der geplanten Herausgabe seiner Gesammelten Werke Przywara gewisse Korrekturen, vor allem bei Groß- und Kleinschreibung, nahegelegt wurden, wies er sie entschieden ab, indem er H.U. von Balthasar sein „Sprach-Credo“ wissen ließ. Darin heißt es: „Auch und grad diese Schreibweise ist Bestandteil meiner Aussage und zwar einer fundamentalen und umfassenden. […] Hierin ist es mir absolut unmöglich [den Änderungsvorschlägen entgegen zu kommen], ich würde diesen Änderungen niemals mein Imprimatur als Autor geben können“ (Brief an H.U. von Balthasar vom 20. Juni 1962, zit. in: M. LOCHBRUNNER, Hans Urs von Balthasar, 91–93).
3 Oberschlesien, 11.
4 „Im Elternhaus herrschte jener spartanische Lebensstil, den ein Vorwärtskommen in damaliger Zeit forderte: Mutter und Sohn mußten im sich vergrößerenden Geschäft in der Hauptstraße der Stadt die Kassen führen; die Schularbeiten konnten nur in der Tabakabteilung des Kolonial- und Delikateßgeschäftes zwischen Verkauf und Abrechnungen bewältigt werden, wobei beste Schulnoten gleichwohl als selbstverständlich erwartet wurden. Gemeinsame Mahlzeiten gab es nur sonn- und feiertags, dann löste man einander ab in einer Zeit, die keinen Mittagsladenschluß, dagegen spätabendliche Öffnungszeiten kannte“ (G. WILHELMY, Vita, 8).
5 Was ich Kattowitz danke, 218.
6 Ebd., 217.
7 Oberschlesien, 14.
8 G. ALY, Warum die Deutschen?, 99. Siehe auch ebd., 211, wo es als für die „allgemeine deutsche Entwicklung typisch“ gesehen wird, dass diese „zwischen gewaltigen Kraftakten und krisenhaften Stillstand schwankte“.
9 Vgl. D. HABERLAND, Schlesien, 409.
10 Oberschlesien, 14.
11 Ebd., 15.
12 Ebd., 11.
13 Handschriftliche Notiz Verzeichnis der Vorträge 1920–1938.
14 Oberschleisen, 12.
15 Die religiöse Krisis, 47. Siehe auch Gottgeheimnis der Welt, 133.
16 Im apokalyptischen Chaos nach dem Ende des II. Weltkrieges sah Przywara in schlesischen Vertriebenen ein Sinnbild: „Das ‚Reich‘ ist von Westen und Osten her Flucht und Vertriebenheit geworden. Diese Realität unerbittlich darzustellen gegenüber allen Illusionen eines westlichen Rheinbund-Deutschland, – das ist der Sinn des Reichslandes Schlesien in ‚Flucht und Vertriebenheit‘“ (Oberschlesien, 16).
17 G. WILHELMY, Vita, 7.
18 Dazu siehe G. ALY, Warum die Deutschen?, 79–82. Z.B: „Vor 1945 lebten die Deutschen zwischen Kurischem Haff und Vogesen, zwischen Belt und Schelde, Böhmerwald und Salurner Klause und weit die Donau hinunter. Sie bildeten das größte Volk Europas. Genau in der Mitte gelegen, gingen über deutsches Territorium besonders viele Völkerverschiebungen, Kriege und Religionszerwürfnisse hinweg. Folglich wurden die Deutschen das am gründlichsten gemischte, in seinen Stämmen sehr verschiedenartige, an seinen Rändern am wenigsten klar definierte größere Volk Europas“ (ebd., 80f).
19 Zum 50. Geburtstag von Reinhold Schneider.