Israel als Urgeheimnis Gottes?. Lukasz Strzyz-Steinert
Die bescheidenen Eindrücke, die Przywara bei den Anwohnern von Hagen hinterließ, kontrastieren stark mit den Zeugnissen, die ihm Rahner oder von Balthasar ausstellten. Herr Bierling vom Gasthaus am Kirchplatz 8, Hagen, 82418 Riegsee, erinnert sich an ‚Prof. Przywara‘, der abends in die Gaststätte zu kommen pflegte, um in seinen Büchern zu lesen. Er entzündete dazu eine mitgebrachte Kerze, da er elektrischen Strom nicht verbrauchen wollte. Jeden zweiten Tag bestellte er ein halbes Liter dunklen Biers und bat, ihm die eine Hälfte davon heute, die andere morgen auszuschenken. Genauso gut erinnert man sich daran, dass er jeden Tag und bei jeder Witterung im am Haus nahegelegen Weiher zu baden pflegte (Gespräch am 18. August 2013). Um dieselbe Person wird es sich auch bei M. Lochbrunner handeln, der von einem Gespräch mit einem Bauer am 5. April 2008 berichtet, der in der Hagener Kirche Messnerdienste versieht und die gleichen Erinnerungen an Przywara wiedergibt. Lochbrunner beschreibt noch das Gespräch mit einer Familie aus Hagen, die sich an Erich Przywara erinnert (vgl. M. LOCHBRUNNER, Hans Urs von Balthasar, 32f).
60 B. GERTZ, Erich Przywara, 575. Menschen, die mit Przywara persönlich oder mit seinem unmittelbaren Umfeld in dieser Periode zu tun hatten, berichten alle von dem Schatten der Krankheit, in dem Przywara lebte. Er wurde „immer wieder bedrängt durch extreme Schwankungen seiner psychischen Gesundheit“ (G. HAEFFNER, Erich Przywara, 137). Es war ein „unter tiefen physischen und psychischen Verschattungen gelebtes Leben“ (G. WILHELMY, Vita 34). Die einzige ärztliche Bescheinigung, auf die ich in Przywaras Nachlass stieß, bezieht sich auf Przywaras Gesundheitszustand in der letzten Phase seines Lebens, in der er schon zu keiner literarischen Tätigkeit mehr fähig war, und spricht unter anderem von „cerebrosklerotisch bedingter Involutionspsychopathie“ (Ärztliche Bescheinigung, ausgestellt am 15. April 1971 von Dr. med. Hans Willkomm, Chefarzt vom Gemeindekrankenhaus in Murnau).
61 Vgl. M. LOCHBRUNNER, Hans Urs von Balthasar, 61, 73.
62 Ebd., 135.
63 Ebd., 29. Laut von Balthasar war Przywaras Krankheit „für das Umkippen der Analogie in eine Widerspruchsdialektik“ verantwortlich (ebd., 135).
64 Ebd., 134.
65 Weiter schreibt von Balthasar: „Und das literarische Lebenswerk türmt sich zu solchen Höhen und umarmt solche Horizonte, dass sein Übermaß den pressierten Leser von heute entmutigt: der Auftrag wie seine Ausführung scheinen beide zu groß für diese Zeit“ (H.U. VON BALTHASAR, Erich Przywara S.J. Zum 75. Geburtstag, 112).
66 R. Schneider, der zu den wenigen gehörte, die sich mit Przywaras Alterswerk auseinandersetzten und der dessen Anliegen teilte, schrieb in diesem Geist: „die Heimtücke der Wahrheit spricht sich aus, kraft der kindhaften Freiheit eines Mannes, der alle Feuer durchlitten hat und die Bosheit der Eiferer, der da ist und nicht da und das Glück und Leid eines Sehers und Beters genießt; der sich dem totalen Skandal und Widerspruch, der Wahrheit, die Christus ist, ohne Kaufvertrag überläßt und, woran ihm natürlich nichts liegt, in der Herausforderung des platten Verstandes nicht zu übertreffen ist“ (R. SCHNEIDER, Pfeiler in Strom, 304). Auch hier knüpft er an die Erfahrung seiner Geburtserde an. In der oberschlesischen Seele gibt es „eine gesteigerte, ja nicht selten übersteigerte Wachheit, die Wachheit des Postens, – freilich eine Wachheit, die in die Nacht hinaus und hinein schaut“ (Oberschlesien, 14).
67 M. Schmid hatte den Eindruck, „daß Przywara in seiner Krankheit dieses Konzil, zu dessen Vordenkern in der ersten Reihe er doch zweifellos gehörte, nicht mehr wirklich rezipieren konnte“ (M. SCHMID, Erich Przywara, 26).
68 So zum Beispiel dankt er 1950 dem Herausgeber der Zeitschrift Besinnung für die Würdigung anlässlich seines sechzigsten Geburtstags und beklagt, dass sein Lebenswerk vergessen scheint (vgl. Brief an den Herausgeber). Symptomatisch für diese Haltung und die damit verbundene Frustration ist Przywaras Brief an den Bundeskanzler Konrad Adenauer vom 16. Juni 1956, in dem er gegen die Liberalisierung des Wohnungsgesetztes protestiert. In dem Brief beruft sich Przywara auf Begegnungen mit Adenauer im Rahmen der Jugendbewegung zu Beginn der 30er Jahre und schreibt: „Mein Name wird Ihnen ja nicht unbekannt sein…“. Am 31. August 1956 schreibt er noch einmal, um sich zu beklagen, dass er vom Bundeskanzler Adenauer keine persönliche Antwort, nur eine amtliche von seinem Sekretariat bekommen hat. Dieser Brief bleibt ohne Antwort (Abschriften von beiden Briefen in: ArchDPSJ 47–182–798).
69 Alter und Neuer Bund und Mensch bleiben Fragmente als erste Teile eines auf zwei Teile gedachten Ganzen, und Christentum gemäß Johannes nur der Beginn eines Christentum gemäß der Offenbarung (vgl. G. WILHELMY, Vita, 32f).
70 K. RAHNER, Laudatio, 272.
71 Die Frage ist fundamental auch in diesem Sinn, da sie das Fundament der ignatianischen Exerzitien bildet.
72 Vgl. Analogia entis I, 21. Zum Ganzen siehe H. WULF, Erich Przywara; B. GERTZ, KreuzStruktur, 555f.
73 Weg zu Gott, 114.
74 Vgl. z.B. Neue Philosophie, 308; Analogia entis I, 70.
75 Vgl. H.U. VON BALTHASAR, Erich Przywara, in: L. ZIMNY (Hrsg.), Erich Przywara, 5.
76 Der Ruf, 104.
77 Ebd., 103.
78 H, 309.
79 Ebd. Vgl. auch M. ZECHMEISTER, Gottes-Nacht, 17.
80 Gott in uns, 554.
81 „Wenn wir nun zusammenfassen: Was haben wir anders gefunden, als dass der Ursprung der scheinbaren Gottesleugnung der neuzeitlichen Philosophie vielmehr ein ‚Gott alles allein‘ ist? Ihr Atheismus oder Pantheismus nur Erscheinungsform eines ursprünglichen ‚Theopanismus‘ – um den guten Ausdruck Rudolf Ottos zu gebrauchen. Das ‚Ich alles allein‘ anthropozentrischer und das ‚All alles allein‘ kosmozentrischer Philosophie nur Wandlungsform des ursprünglichen ‚Gott alles allein‘, wie es die Ursprungszeit der Neuzeit erfüllte. Auf der einen Seite das Ethos und Pathos des ‚Gott-Ich‘, wie es sich gegen eine zerrüttete Ideal-Weltordnung des Mittelalters leidenschaftlich erhob; auf der anderen Seite, gerade durch die Weltverachtung und Weltverdammung dieses Ich-Glaubens, das Ethos und Pathos des machtwillkürhaften ‚Gott-Welt‘, der Willens-Willkür-Gott in der Erscheinung der nicht mehr logosdurchleuchteten, sondern allein irrational machtdurchherrschten Willens-Willkür-Welt; – und als letzte die tiefe dunkle Tragik das Spinoza-Ethos des unergründlichen Schicksals, aber nun nicht lösbar durch einen sich-selbst-aufgebenden ‚amor intelectualis Dei‘ – sondern Gott selber als Alogos, die Rätsel-Finsternis-zeugende Ur-Rätsel-Finsternis. Undurchdringliches Schicksal, lösungslos, erlösungslos“ (Gott, 265).
82 „Gott, der Alleinwirkliche und Alleinwirksame, und das allein im Innern beschlossene christliche Leben als seine Erscheinungsform. Die bis zum äußersten aufgerissene Distanz zwischen dem ‚Gott des Gerichts‘ und dem seinshaft notwendigen Sünder formt sich zur äußersten Einheit, indem der ‚Gott der Gnade‘ alleiniges Wirk- und Formprinzip des Gerechten wird“ (Custos, 38).
83 Die religiöse Krisis, 51.
84 Custos, 38. Die „Neuzeit war entsprungen, da der platonische Hymnus eines göttlich idealen Menschen im Humanismus der Renaissance und die mystische Verzweiflung der Reformation sich ineinander schlagen. Sie vollendete sich, da in der französischen Revolution alle Religion zur Religion der gotthaften ‚reinen Menschlichkeit‘ ward, aber im dämonischen Ausbruch aller höllischen Tiefen des Menschen. Idealismus und Romantik erscheinen darum in ihrem Gegensatz zueinander wie als letzte Formel dieses Gesichts der Neuzeit. – Im Idealismus treibt die Verzweiflung des realen Menschen den Glorien-Traum vom gotthaft Idealen empor. In der Romantik aber wühlt sich eben die Verzweiflung des realen Menschen hinunter in die Traum-Nacht gotthaften Lebens der Ursprünge in die Tiefe. – Vergotteter olympischer