Israel als Urgeheimnis Gottes?. Lukasz Strzyz-Steinert

Israel als Urgeheimnis Gottes? - Lukasz Strzyz-Steinert


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die die Torheit des Kreuzes und die Schande der wehrlosen Liebe annimmt, darum – kann er in seiner Radikalität doch auch der Lehrer einer kommenden Zeit sein, mag sie äußerlich bürgerlich bleiben und so erst recht gewarnt werden müssen, mag sie in Abgründe stürzen, die ihr als Abgründe Gottes verkündigt werden müssen, in denen die Unbegreiflichkeit des Erbarmens wohnt“197.

      Im oben Geschriebenen ist schon mehrmals angeklungen, das Przywara ein schwer einzuordnendes Phänomen war, ein Mann sui generis, eine eigenwillige Person und ein extremen Schwankungen seiner psychischen Kondition ausgesetztes Genie. So lohnt es sich, einen Blick auf die persönlichen und plastisch beschriebenen Eindrücke seiner wichtigsten theologischen Gesprächspartner der 20er Jahre, Karl Barth und Eduard Thurneysen, zu werfen, die etwas von der Atmosphäre einer Begegnung mit Przywara wiedergeben.

      Am 30. September 1923 schreibt Thurneysen an Barth, um ihn auf Przywaras Schrifttum aufmerksam zu machen:

      „Verschaff dir doch Heft 11 der ‚Stimmen der Zeit‘, August 1923, Herder Freiburg. Dort ist ein merkwürdig scharfsinniger und ausführlicher Aufsatz über uns von Seiten des katholischen Partners. Er ist interessant, weil er den katholischen Standpunkt sehr deutlich sichtbar macht. Es fallen dabei wesentliche und eingehende Bemerkungen zu Augustin. Es ist ein Kenner, der da redet. Wir kommen gut weg, wenn auch unser eigentliches Anliegen nicht gesehen ist“198.

      Etwa fünf Jahre später, im Februar 1929 in Münster, kam es zu einer persönlichen Begegnung und Debatte zwischen Barth und Przywara199. Wenige Tage nach dem „zweistündigen Vortrag […] über die Kirche, der kunsthandwerklich betrachtet, einfach ein Leckerbissen, ein Meisterstück war“, an den sich ein Seminar anschloss, in dem Przywara „nochmals zwei Stunden brilliert [hat] in Beantwortung unserer [der Studenten] sorgfältig vorbereiteten Fragen“, sowie zwei Abende persönlicher Auseinandersetzung, schreibt Barth an Thurneysen, Przywara habe ihn

      „‚überströmt‘, wie nach seiner Lehre der Liebe Gott, wenigstens innerhalb der katholischen Kirche, die Menschen nur so überströmt mit Gnade, sodaß die Formel ‚Gott in-über Mensch von Gott her‘ das Stenogramm seiner Existenz und zugleich die Auflösung aller protestantischen und modernistischen, transzendentischen und immanentistischen Dummheiten und Verkrampfungen im Frieden der analogia entis bedeutet“200.

      Die darauffolgende Schilderung seiner persönlichen Eindrücke nach der Begegnung ist – abgesehen von seiner feinen Ironie – ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument über den Ton und die Art von Przywaras Disputen, aus denen seine Schriften hervorgegangen sind. Diese Zeilen seien hier, bis auf wenige Nebenbemerkungen, unverkürzt wiedergegeben:

      „Du mußt dir ein kleines Männlein mit einem großen Kopf vorstellen […] – ein Männlein, das auf alles, aber auch alles, was man ihm sagt, alsbald eine immer irgendwie gescheite und die Sache in irgendeine Weise treffende Antwort wohldisponiert vorzutragen weiß, dem man zusieht wie einem Eichhorn, das sich von Wipfel zu Wipfel schwingt, immer das Tridentinum, das Vaticanum hinter sich, Augustinus auswendig und inwendig, Thomas, Duns Scotus, Molina usw., immer die Kirche, die Kirche, die Kirche, aber eben wirklich die um den festen Pol des immer manifester werdenden Dogmas herum höchst lebendig und mannigfaltig sich bewegende Kirche, deren sichtbare Einheit er selbst zu bilden scheint […] dazu nun historisch, philosophisch, psychologisch einfach ‚durch‘, aber auch in der Bibel notorisch zu Hause, ausgerechnet Paulus sein bevorzugter Apostel, endlich aber auch seiner eigenen Fragwürdigkeit wohl bewußt (‚Jesuit kann man nur auf der Todeslinie sein‘!!!), sein letztes Diskussionsvotum im Seminar schließend mit dem schönen Credo: Wir Menschen sind alle Schlingel! (als Antwort auf unsere Frage, wie es etwa in Bezug auf ‚Gott in-über Mensch von Gott her‘ mit der Sünde stehen möchte) faktisch auch zu Konzessionen bereit, nicht in bezug auf Dogma natürlich, aber in bezug auf seine Formulierungen, deren ihm immer neue und immer noch schönere zu entströmen scheinen. […] Zwischen allem aber auch wieder Augenblicke einfacher, tiefer Meditation über die wunderbaren Wege Gottes, die sich in dem allen offenbarten, Augenblicke, wo man einfach einen lieben frommen Mann oder etwa einen Boller meint reden zu hören. Sein Lieblingswort ausgerechnet das von [Hermann] Kutter so geschätzte von der spielenden Weisheit Sprüche 8. Und dann wieder zu jeglichem guten Tun, auch zu einem Trunk Bier sehr wohl zu haben und unsere Kinder, die auf den leibhaftigen Jesuiten von der Schule her sehr gespannt waren, durch seine Freundlichkeit entzückend. Ja, Eduard, was war das wohl? Und was ist es eigentlich mit dem Katholizismus, der allen unseren Reformationsfeiern zum Trotz so alert auf dem Plane ist? Wars ein Engel des Antichrist oder ein auserwähltes Rüstzeug des Herrn? Der Großinquisitor oder wirklich ein Jünger des ‚Völkerapostels‘? Oder beides zugleich oder keines von beiden, sondern schließlich auch nur wieder ein Exemplar von der unerschöpflichen unausrottbaren Spezies Mensch, das nun eben auf diese Weise aus dem letzten Loch pfeift? Nicht wahr: ‚da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich‘, und ich empfinde es irgendwie als sehr gesund, über ein Staunen voll Abscheu und Bewunderung vorläufig gar nicht weit hinaus gekommen zu sein. Es gibt sichtlich auch diese Möglichkeit: Leute, die unsereins auch unter Berufung auf Gott (mit allem kutterischen Nachdruck!), auch im Namen der Kirche, auch mit der Bibel unter dem Arm, auch (und sehr viel besser) wissend um Tod und Teufel, Zeit und Ewigkeit, auch im Blick auf den wirklichen Menschen von heute … nicht mehr wie vor 400 Jahren verbrennen, aber einfach aus einer letzten Höhe herunter auslachen. Ists raffinierteste Welt, die da lacht, oder ist doch auch etwas darin von dem Lachen dessen, der im Himmel wohnet [vgl. Ps 2,4]?“201

      Dieser Perplexität muss eine Przywara-Arbeit Rechnung tragen.

      Przywaras Welt der Brüche und Gegensätze und sein denkerisches Ringen ist der Raum seiner Begegnung mit Juden und mit dem Judentum. Diese ausgiebige Darstellung seiner existenziellen Verortung und seiner Denkfiguren ist nicht nur dem Umstand geschuldet, dass das „Phänomen“ Przywara in all seinen Schattierungen wenig bekannt ist. Viel wichtiger ist, dass das christlich-jüdische Verhältnis bei Przywara weit mehr als einen abgesonderten Topos darstellt, den man anhand punktueller Begegnungen und Äußerungen analysieren kann. Es muss als eine Dimension seines ganzen Werkes betrachtet werden, sowie es eine Dimension seiner Welt war und als solche in sein Denken eingegangen ist.

      Die jüdischen Mitbürger gehörten von Anfang an zu Przywaras Umfeld, auch wenn die verschiedenen religiösen oder ethnischen Milieus eher neben- als miteinander lebten. Über seine Heimatstadt schreibt Przywara, dass sie überwiegend katholisch war, „aber so, daß seine evangelischen Einwohner als die Kulturschicht galten und die jüdischen Einwohner als die Handelsschicht“202. In dieser Bemerkung spiegelt sich der imposante soziale Aufstieg der deutschen Juden im „langen“ 19. Jahrhundert wider. Wohnte die jüdische Bevölkerung der deutschen Staaten im 18. Jahrhundert noch in überwiegend verarmten Verhältnissen in kleinen Ortschaften, so war sie schon um 1850 zum großen Teil urbanisiert und befand sich im sehr effektiven ökonomischen Aufschwung. Die Gleichstellung und Erlangung aller bürgerlichen Rechte, die in Österreich-Ungarn 1867 und in Preußen und in den meisten deutschen Staaten 1869 erfolgte, schuf eine für die damaligen europäischen Verhältnisse sehr gute und verlässliche Rechtslage, was eine sehr schnell fortschreitende Assimilierung der jüdischen Bevölkerung zur Folge hatte. Als Profiteure der Aufklärungsideale wurden die deutschen Juden zur treibenden Kraft der Moderne, Industrialisierung und kapitalistischen Wirtschaft und trugen zur liberalen Atmosphäre der Großstädte bei203. Wie weitgeschritten die deutsch-jüdische Symbiose war, zeigte sich angesichts des I. Weltkrieges, als die überwältigende Mehrheit der deutschen Juden einen für sie selbstverständlichen deutschen Patriotismus und eine Opferbereitschaft an den Tag legte, sowie in den zahlreichen ethnischen Konflikten in Mitteleuropa die deutsche Partei ergriff204.

      Dieses weitgehend harmonische deutsch-jüdische Miteinander trübte sich jedoch nach der für die meisten Deutschen völlig unerwarteten Niederlage im I. Weltkrieg zunehmend. Die antisemitischen Töne, die nie verstummt sind, wurden immer rauer und lauter, um 1933 zur Staatsräson zu werden. Dabei handelte sich um eine neue Art des


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