Israel als Urgeheimnis Gottes?. Lukasz Strzyz-Steinert

Israel als Urgeheimnis Gottes? - Lukasz Strzyz-Steinert


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bekommt die „Essentia-existentia-Spannung Thomas’ und in seiner Religiosität des reverence-love-together die (dem ontologischen Tatbestand korrelate) Religiosität des timere dilligendo et dilligere timendo ihre neuzeitliche lebendige Form“110. Die einzige dem Gottesgeheimnis gerechte Lösung kann also nicht auf dem Weg eines geradlinigen Denkens gefunden werden: Gott der Nähe oder der Distanz, Gott der Liebe oder der Furcht, Immanenz oder Transzendenz, Gott in oder über der Welt. Die Lösung der Polarität heißt: „Gott in uns und über uns“111.

      Wie B. Gertz schreibt, ist die Formulierung „Gott in uns und über uns“, die Przywara 1923 in einem Artikel über das augustinische Gottesbild ausarbeitet, „bei Weitem wichtiger, als die dazu gehörenden Ausführungen“112. Das Entscheidende ist hier nämlich die in Gang gesetzte Dynamik, die Przywaras Denken zunehmend prägen wird. Nach von Balthasar kann der Ausgangspunkt Przywaras Denkbewegung als ein „fundamental-ontologischer113 Dynamismus bezeichnen werden. Diese Dynamik im Fundament des Seins drängt auf die Überwindung einer einfachen Polarität von Gleichheit und Ungleichheit zwischen Gott und Geschöpf wie auch eines einfachen Gleichnisverhältnisses zwischen Gott und Welt.

      Überwiegt in den früheren Schriften Przywaras der Gedanke eines „christlichen Ausgleichs“114 und Harmonisierung der Gegensätze, so wächst mit der Zeit die Einsicht, dass dieser Polaritätsgedanke das Risiko mit sich bringt, die Kreatur in sich zu verschließen, statt sie auf den unbegreiflichen Gott hin zu öffnen. „Es genügt darum nicht“, schreibt Przywara, „unsere frühere Betonung der ‚Polarität‘ […] zu benutzen für eine Theorie eines ‚schwebenden Ausgleichs’ […]. Die ‚Polarität‘ ist, wie wir von Anfang an scharf betonen mußten, nicht eine immanente, sondern weist als das letzte Aspekt des Kreatürlichen über sich in das Geheimnis des souveränen Gottes“115. Die Spannungen innerhalb des Geschaffenen sind also immer offen, sie bleiben unabschließbar. Erst diese reale und unüberwindbare Spannung im Fundament des Seins, die beunruhigende Widerborstigkeit der Wirklichkeit öffnet den Blick zu Gott. „Das Geheimnis Gottes offenbart sich im Geheimnis der auseinanderfallenden Geschöpflichkeit“116.

      Przywaras Ringen um den formalen Ansatz des Denkens über Gott und Mensch findet seine Mitte im Terminus, für dessen Aufleben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sein Name wohl für immer stehen wird: analogia entis117. Przywara will mit diesem Begriff den allgemeingültigen formalen Denkansatz des Katholischen wiedergefunden und ihn in die philosophischtheologische Problematik der Stunde hineingesprochen haben. Die analogia entis ist für ihn schlichtweg „das Grundprinzip des Katholischen überhaupt, weil sie […] das Grundprinzip zwischen Gott und Geschöpf überhaupt“118 ist. Den entscheidenden Ausdruck für die Überwindung der letzten möglichen Verschlossenheit der Kreatur, die wie Gott sein will, fand Przywara in der Formel des IV. Laterankonzil (1215): „Inter creatorem et creaturam non potest tanta similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda(DH 806). Przywara übersetzt sie folgendermaßen: „Zwischen Schöpfer und Geschöpf kann nicht eine so große Ähnlichkeit angemerkt werden, daß nicht zwischen ihnen je größere Unähnlichkeit anzumerken sei“119. Versuchen wir uns an den Kern dieser Thematik vorsichtig heranzutasten.

      Als Verhältnis von Sosein und Dasein, Essenz und Existenz, das das Wesen des Seins ausmacht, ist das geschöpfliche Sein Analogie des göttlichen Seins, da es ihm durch die Einheit von Sosein und Dasein ähnlich ist. Aber in dieser Ähnlichkeit zeigt sich die wesenhafte Unähnlichkeit zwischen Gott und Geschöpf, weil „Gottes Einheitsform von Sosein und Dasein ‚Wesensidentität‘ ist, des Geschöpfes Einheitsform aber ‚Spannungseinheit‘“120. Nur über Gott kann man sagen, dass er ist. Das geschaffene Sein schwebt zwischen Vergehen und Werden. Diese Schwebe des geschaffenen Seins hängt nicht in Leere, sondern in Gott, sodass man sagen kann, dass Gott dem Geschöpf als sein Seinsursprung inne ist, aber als der, der über dem geschaffenen Sein ist. Wie wir im vorausgehenden Punkt bereits gesehen haben, drückt Przywara das Verhältnis zwischen Gott und Welt mit der Formel „Gott in uns und über uns“ aus. Dieses „Gründungsverhältnis“121 zwischen Gott und Geschöpf wird aber später mit Hilfe der Formel „Gott in-über Geschöpf“122 ausgesagt, um zu unterstreichen, dass die Immanenz und die Transzendenz Gottes, die Ähnlichkeit und Unähnlichkeit zwischen Gott und Welt als seinem Abbild nicht gleichgewichtig nebeneinander gestellt werden darf, sondern dynamisch-komparatistisch aufeinander bezogen werden muss.

      Przywaras Umdeutung des Grundanliegens des analogischen Denkens ist hier ausschlaggebend. Dieses wurde üblicherweise angewendet, um über die Ähnlichkeit, die trotz aller Unähnlichkeit zwischen zwei Analogaten herrscht, zu sprechen. Dass in diesem Denkgehabe die Gefahr lauert, die beiden Analogate anzugleichen und auf einen gemeinsamen Nenner, auf ein Drittes, zu bringen, ist nicht von der Hand zu weisen. Vor allem im Hinblick auf Gott und Welt muss es als unzulässig gelten. Przywara sagt aber zweierlei: Zum einen unterstreicht er, dass im analogischen Verhältnis die Unähnlichkeit größer ist als die Ähnlichkeit und dass die Analogie als Werkzeug verstanden werden muss, in jedem Verhältnis die Distanz und die Andersheit zwischen den Analogaten zu garantieren. Da zwischen Gott und Welt kein Widerspruch besteht, ist Gott in allem geschaffenen Sein als letzter Grund immanent erfahrbar, aber als der, der transzendent, anders ist. Zum anderen ist die Unähnlichkeit nicht nur größer, sondern je größer. Die Transzendenz Gottes geht dem Menschen nicht neben oder trotz Gottes Immanenz in der Welt, sondern in ihr als eine „dynamische Transzendenz“123 auf. In jeder entdeckten Ähnlichkeit flammt die je größere Unähnlichkeit zwischen Schöpfer und Geschöpf auf, so dass am Ende die Unbegreiflichkeit Gottes steht, die aber wiederum die Ähnlichkeit nicht auslöscht.

      Die Unähnlichkeit zwischen Gott und Geschöpf besagt keine Entwertung des letzten. Diese Unähnlichkeit ist „nicht eine solche, die ‚nicht sein sollte‘ (‚Unähnlichkeit‘ der außerkatholischen Transzendentalität), sondern eine solche, die, als wesenhaft für das Geschöpf als Geschöpf, ‚sein soll‘“124. Die Distanz zu Gott garantiert die Eigenständigkeit des Geschaffenen. Przywara geht es darum, den Rhythmus des Verhältnisses der Dienstbereitschaft zwischen Welt und Deus semper maior begrifflich zu umschreiben. Gott ist je immer größer und so ist auch die Haltung der Kreatur die „ständige Bereitschaft des ‚Tones‘ in der Hand des ‚Bildners‘“125.

      Der größere Akzent auf den Moment der dynamischen Unähnlichkeit, Distanz und der Andersheit zwischen den Analogaten, gilt sowohl für das Verhältnis zwischen den Gegensätzen der Schöpfung wie für das Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf. Przywara macht darauf aufmerksam, dass schon die aristotelische Analogie den Rhythmus zwischen den Gegensätzen des Kosmos als die schwingende Bezogenheit zwischen Je-Anders und Je-Anders meint126. Der Kosmos ist aus Gegensätzen gebaut, die in „Proportion gegenseitigen Anders-Sein“127 zueinander stehen. In dieser horizontalen Analogie schlummert aber immer noch die Gefahr, die Przywara schon in der Philosophie der Polarität festgestellt hat. Die Welt kann als ein ewiger Kreisumschwung, ein „‚All-Rhythmus‘ als ‚Letztes‘“128 gesehen werden, in der alle Gegensätze zu einer ruhenden „Selbigkeit“129 sich verschließen und auch das Göttliche als letzte Dimension des weltlichen Werdeprozesses einschließen.

      Analogie als katholische Grundform bedeutet für Przywara deswegen eine Analogie zwischen der waagrechten und der senkrechten Analogie. Die „lateranensische Analogie der ‚je immer größeren Unähnlichkeit‘ ist das (selber analogiehafte) ‚in-über‘ zur aristotelischen Analogie des ‚je andern zu andern‘“130. Analogia entis besagt also das Zueinander der beiden Rhythmen, wie es schon laut Przywara in der Wortzusammensetzung ana-logia angegeben ist. Die Vorsilbe „ana“ bedeutet „über, nach, gemäß“ des Rhythmus der Einheit der weltlichen Gegensätze. Faktisch trägt sie aber auch die Bedeutung von „anō“ – oben, hinauf, aber auch wieder und je neu – was so verstanden werden kann, dass durch den waagrechten Rhythmus die senkrechte, auf- und absteigende Rhythmik der Analogie zwischen Über und In, Transzendenz und Immanenz, durchbricht (hervorbricht?)131.


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