Medizin als Heilsversprechen. Herbert Meyer

Medizin als Heilsversprechen - Herbert Meyer


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wem erhofft er diese Erfüllung (Heilung und Heil) für Leib und Seele? – Von wem nicht?

       Wie und wo findet er diese Erfüllung (Heilung und Heil) für Leib und Seele? – Wie und wo nicht?

       Worin besteht für den Menschen diese Erfüllung (Heilung und Heil) eigentlich? – Worin nicht?

       Gibt es nur eine Erfüllung für Leib und Seele oder kann diese in den Vorstellungen der Befragten durchaus unterschiedlich aussehen?

      So kann das Ziel der Untersuchung mit der Frage zusammengefasst werden: Mit welchen unterschiedlichen Erwartungen und an wen wenden sich Menschen in ihrer Sehnsucht nach Heilung und Heil, um Erfüllung für ihr Leben an Leib und Seele zu finden?

      Diese Frage ist aus dem Blick theologischer Ethik entscheidend, um sowohl für die suchenden und erwartungsvollen Menschen als auch für die, die bei der Erfüllung von Erwartungen helfen sollen, das Zueinander zwischen Medizin und Glaube heute angemessen reflektieren zu können. Hier liegt das eigentliche Ziel der Untersuchung, auch wenn sie im Sinne einer Grundlagenforschung nur die Analyse der Differenz und Konvergenz von Medizin und Glaube leisten kann, ohne konkrete Konsequenzen für die Gestaltung von medizinischer oder auch kirchlicher Praxis im Einzelnen beleuchten zu können. Aber es ist die Arbeit an der konkreten Erfahrung der Spannung zwischen medizinischer und religiöser Kultur heute, welche aus dem Blickwinkel der Moraltheologie die Voraussetzung für ethisch verantwortbare Praxis in beiden Feldern darstellt.

      Sowohl die medizinische als auch die theologische Wissenschaft sind sich heute darin einig, dass der Mensch nur als Leib-Seele-Einheit zu begreifen ist, das heißt, es gibt ihn nur als leibhaftige Seele bzw. als beseelten Leib. Aus diesem Wissen, besser aber noch aus dieser Erfahrung leitet sich der Zusammenhang vom körperlichen und seelischen Wohl bzw. Leiden des Menschen ab. Aus diesem Zusammenhang wiederum ergeben sich Erwartungen der Menschen an Medizin und Glaube. Diese Erwartungen bestimmen das Verhältnis von Medizin und Theologie. Mit welchen konkreten Erwartungen sich Menschen heute aber speziell an die Medizin bzw. die kirchliche Seelsorge wenden, ist im deutschsprachigen Raum, so haben Recherchen im Rahmen dieser Arbeit ergeben, derzeit noch nicht hinreichend erforscht. Ansätze, dem körperlichen und seelischen Wohl des Menschen zu dienen, werden einerseits auf medizinischem und andererseits auf theologischem Feld reflektiert. Für das Miteinander von medizinischer Praxis und dem Vollzug religiöser Wirklichkeitsbewältigung im Umgang mit Gesundheit und Krankheit werden in der Literatur Konzepte beschrieben, welche das komplementäre Verhältnis von Medizin und Theologie einzufangen versuchen.

      Der Theologe Eugen Biser spricht von einer „therapeutischen Theologie“, die keine theologische Spezialform neben anderen ist, „sondern die Form, in welcher die theologische Sache heute allein verhandelt werden kann“16. Für Biser entwickelte sich eine Entzweiung von Theologie und Medizin bereits in den Evangelien, in denen die Heilungsgeschichten anfänglich noch durchweg Glaubensgeschichten sind, mehr und mehr aber zum Argument für Jesu göttliche Vollmacht werden. Darin sieht Biser den Beginn der argumentativen und spekulativen Verarbeitung der Botschaft Jesu, aus der die wissenschaftliche Theologie hervorging, in deren weiterem Verlauf sich der therapeutische Bereich abspaltete: für Biser der Preis für die Ausgestaltung des Wissenschaftscharakters der Theologie.17 Je abstrakter die so entstandene Systemtheologie wurde, umso mehr verlor sie nach Biser die Sprachfähigkeit, die sie zur Heilszusage befähigte.18

      Wie Eugen Biser beklagt auch Brigitte Fuchs die verloren gegangene biblische Anthropologie einer Leib-Seele-Einheit und sieht in der gegenseitigen Entflechtung von Medizin und Theologie keine wesensmäßige Ergänzung beider Sektoren. Es sei ein Graben zwischen den Kompetenzbereichen der Kirche – für das Seelenheil – und der Medizin – für die körperliche Heilung – entstanden, in den der leidende Mensch falle, weil er mit der Frage, wie seine Krankheit in seinen Glaubens- und Lebensweg zu integrieren sei, allein gelassen werde. Eine kopflastig gewordene Theologie könne dem leidenden Menschen nicht mehr geben, was ihm eine naturwissenschaftliche Medizin schuldig bleibe. Auf diesem Erfahrungshintergrund entwickelte Brigitte Fuchs auf der Grundlage des christlichen Glaubens ein therapeutisches Meditationsprogramm, das den religiösen Glauben der Patienten für ihren Heilungsprozess fruchtbar machen soll.19

      Für den Mediziner Herbert Benson spielen der Glaube und die Erwartungshaltung eine eminent wichtige Rolle für einen jeden Heilungsprozess. Er fordert dazu auf, an das Gute zu glauben oder an etwas, das besser ist als alles, was Menschen sich vorstellen können, und bezeichnet einen solchen Glauben als eine ausgezeichnete Medizin für uns Sterbliche.20 Gesundheit und Wohlbefinden hält Benson für optimierbar im richtigen Zusammenspiel der drei Komponenten Medikamente, Operationen (und andere Eingriffe) und Selbstfürsorge. Diese Komponenten bezeichnet er als den „dreibeinigen Stuhl“ und beklagt zugleich, dass in der heutigen medizinischen Praxis dieser Stuhl nicht im Gleichgewicht ist, weil wir viel zu wenig auf die Selbstfürsorge und viel zu stark auf Medikamente und medizinische Eingriffe setzen.21 Eine unersetzliche Rolle innerhalb der Selbstfürsorge spielt für Herbert Benson das von ihm so genannte „erinnerte Wohlbefinden“, das er in drei Arten unterteilt: Glaube und Erwartungshaltung auf Seiten des Patienten; Glaube und Erwartungshaltung auf Seiten des behandelnden Arztes; Glaube und Erwartungshaltung, die durch die Partnerschaft zwischen Patient und Arzt entstehen.22

      Nach den Beziehungen von Medizin und Spiritualität im Blick darauf, was den Menschen heil macht, fragt der Arzt Santiago Ewig und stellt zunächst nüchtern fest: „Spiritualität spielt in unserem ärztlichen Handeln wenn überhaupt nur noch eine hintergründige Rolle in der Praxis des einzelnen Arztes; in der Medizin als Betrieb hat sie ausgedient.“23 Dabei sei Spiritualität nicht der Medizin unterlegen, da sich beide auf sehr unterschiedlichen Ebenen bewegen. Während die Sorge der Medizin dem Körper gehöre, so gelte die der Spiritualität der inneren Gesundung des existenziell Kranken und greife damit weit über die körperliche Verfassung aus auf die absolute Zukunft des Kranken. Wenn auch die Bedingungen für eine gelebte Spiritualität in der Medizin heute ohne Frage ausgesprochen ungünstig seien, sieht Ewig gerade in der Spiritualität eine Angelegenheit der Graswurzelrevolution, die im Kleinen stattfinde und sich außerhalb des Gemachten, der Technik, ereignen müsse. Die Kirchen seien sich gar nicht bewusst, was für ein Potential der Verkündigung offenstehe und wie richtungweisend eine Auffassung von Medizin, die Spiritualität zulässt und sich von ihr umgreifen lasse, in unserer Gesellschaft wirken könne.24

      Elisabeth Hofstätter verweist darauf, dass Religion als Privatangelegenheit im naturwissenschaftlich orientierten Krankenhausalltag marginalisiert worden sei und man durch ein Pro-forma-Angebot eines Seelsorgers meine, die spirituellen Bedürfnisse der Patienten berücksichtigt zu haben. Ob in einem naturwissenschaftlich orientierten Krankenhaus die Patienten ihre spirituellen Bedürfnisse überhaupt zu äußern wagten, sei die eine Frage; eine andere die nach den spirituellen Bedürfnissen konfessionsloser Patienten. Eine Zusammenarbeit von Therapeuten und Seelsorgern in städtischen Krankenhäusern sieht Hofstätter wenig reflektiert und organisiert und eher in einem Konkurrenzverhältnis zueinander als in einem förderlichen Miteinander, das dem Wohl und der Heilung des Patienten dienen würde.25

      Für den Mediziner und Theologen Roland W. Moser ist es unstrittig, dass die heutige moderne, technisierte Medizin auf den „engen interdisziplinären Dialog mit den Geisteswissenschaften, der philosophischen Wissenschaft, der Theologie und der Ethik angewiesen“26 ist. So wie die Theologie heute neuere Einsichten über den Menschen von der Medizin und Biologie aufnehme und sie theologisch integriere, so müsse umgekehrt heute auch die Medizin dazu bereit sein, neuere Einsichten über den Menschen von den Geisteswissenschaften, der Theologie, der Philosophie, der Ethik, der Soziologie und der Politik aufnehmen und diese medizinisch integrieren. Obwohl der Begriff „Interdisziplinarität“ zu einem Schlagwort geworden sei, spricht Moser vom Eindruck, dass bei der Suche nach interdisziplinärer Zusammenarbeit unnötige Widerstände aufgebaut werden gegen das, was weiterhelfen könnte, und er fragt, ob sich hinter diesen Widerständen Angst oder Vor-Urteile verbergen, die dieses notwendige interdisziplinäre Denken so schwierig machen.27

      Bemerkenswert


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