Sakramente - immer gratis, nie umsonst. Ottmar Fuchs

Sakramente - immer gratis, nie umsonst - Ottmar Fuchs


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Werbeindustrie und Musikclips, aber auch in den öffentlichen Veranstaltungen der Politik und der Vereine. In diesem Übergang von sichtbarer zu unsichtbarer Religion8 werden bisherige Rituale und Ritualversatzstücke ihrer angestammten religiösen Gemeinschaft entzogen und ohne deren Vermittlung und ihre Vermittlungsspezialisten (z. B. Pfarrer) unmittelbar beansprucht und verwertet:

      – Je mehr unserer Gesellschaft eine tiefgreifende Unübersichtlichkeit bescheinigt und angelastet wird,

      – je mehr sie Menschen auf sich selber stellt und in der Wahlfreiheit bei gleichzeitigem Ressourcenentzug überfordert,

      – je mehr die Sozialformen auf der mittleren Ebene versteppen (wie etwa traditionelle Vereine),

      desto mehr scheint es wieder so etwas wie eine Renaissance des persönlichen wie auch Massen-Rituals zu geben. Im Ritual kann man sich mit jener Sehnsucht nach Sicherheit und Anerkennung festmachen, die es ansonsten im beruflichen und zwischenmenschlichen Bereich zu wenig gibt.

      Folgende Dynamik ist dabei feststellbar: „Wenn die Antworten nicht objektiv, durch seine Gesellschaft gegeben werden, muss er (der Mensch, O. F.) sich nach innen wenden, zu seiner Subjektivität, um von dort an Sicherheit heraufzuholen, was immer er erreichen kann.“9 Nun scheint das Stadium erreicht zu sein, wo auch die eigene Subjektivität derart als fragil und gefährdet erlebt wird, dass sie gar keine Sicherheit zu geben vermag. Menschen suchen nun von Neuem nach einer objektiven Sicherheit außerhalb ihrer selbst, sie finden sie nicht mehr in bergenden Traditionen und Gemeinschaften und entdecken deshalb die angesprochene Sicherheit zunehmend im auch von Traditionen und Gemeinschaften abgelösten Ritual (z. B. den genannten Ritualen in Sport und Medien) verschiedenster Art. Rituale in allen Bereichen von Gesellschaft und Kirche bieten sich hier als „Halterungen“ an, an denen man sich festhalten kann. Können die Kirchen auf diesem neuen zerstückelten Niveau der Ritualanfragen konstruktiv reagieren?10 Schon von daher wäre es widersinnig, innerkirchlich Rituale zu vernachlässigen oder gar abzubauen.

      Schon vor mehr als 30 Jahren wurde dem Zweiten Vatikanum vorgeworfen,11 dass es das Geheimnis der Religion, wie es im Symbol aufscheint, durch Rationalisierung und Verständlichkeitswut aufgehoben habe.12 Die Verständlichkeit von Ritualen, wenn man sie glasklar durchsichtig machen will, hat ihre Ambivalenz, weil etwas, was ich gänzlich durchschaut habe, immer zugleich etwas ist, was ich durch eigene Rationalität begriffen und geleistet habe. Das widerspricht aber dem Charakter der Sakramente. Selbstverständlich sei nichts gegen die Erklärung von Symbolen gesagt. Man muss nur gewärtig haben, zu welcher Zeit dies geschieht und mit welchem dahinterliegenden Anspruch. Will man die Erfahrung des Geheimnisses der Gnade Gottes und die Erklärung der Sakramente nicht gegeneinander ausspielen, dann ist dies eine Frage der Katechese und Verkündigung, die außerhalb bzw. neben den Symbolhandlungen erklärt und die Symbolhandlung wirken lässt und nicht unmittelbar auch erklärt. So ist es nicht nur möglich, sondern auch immer wieder nötig, etwa in einer Predigt über die Bedeutung christlicher Sakramente und Symbole zu sprechen, was zugleich davor bewahrt, dies im Vollzug der Symbole tun zu müssen.

      Problematisch sind jedenfalls die Glättung und Angleichung des überkommenen Rituals an jeweils gegenwärtige Verständlichkeiten, so dass es immer glatter wird und um die Kanten der Unverständlichkeit und um die Ecken des Geheimnisses gebracht wird. Was mich dann am Ritual trägt, ist mein eigenes Fassungsvermögen von ihm und die insgeheime Bedingung, dass es nur trägt, wenn es verstanden werden kann. Aber man darf auch mit einer Erlebbarkeit von Symbolhandlungen und Symbolen rechnen, die über das Verstehen hinausgeht und durch dieses nicht einholbar ist, die aber gleichwohl intensiv ist im Sinne von geschenkter Sicherheit in der Anerkennung der Existenz und im Zuspruch eines vorgängigen Getragenseins. Die Symbolhandlungen haben einen Überhang an Vorgegebenheit, der Zugriffen verschiedenster Art nicht zugänglich ist.

      Was die kirchliche Sakramententheologie verdeutlicht, nämlich dass das Sakrament aus seinem Vollzug heraus wirkt und dass diese Wirkung von keiner Leistung oder Bedingung abhängig ist, kann als Einspruch gegen allzu glatte Verhältnisbestimmungen von Liturgie und Teilnahmeleistungen (des Verstehens bzw. Erfahrens) ernst genommen werden.

      Die Sehnsucht nach Sicherheit und Wertschätzung ist tief im Menschen angelegt. Was Menschen im Laufe ihres Lebens in Bezug auf diese Sehnsucht erfahren oder nicht erfahren, bestimmt viele ihrer Entscheidungen. Im religiösen Bereich ist der Glaube an eine Transzendenz unseres Lebens, also an eine handlungsfähige Wirklichkeit uns selbst gegenüber, die zugleich unendlich mehr und größer als wir selber ist, eine wichtige Erfüllungsform dieser Sehnsucht.

      Nicht umsonst heißt das hebräische Wort für Glauben „‘aman“ in seiner Grundbedeutung „sich festmachen“, also hier sich festmachen in Gott bzw. in dem, was als Gegenwart Gottes in der eigenen Geschichte erlebt wird. Glauben bedeutet nicht nur von dieser Wortbedeutung, sondern von den in der Bibel erzählten Geschichten her, dass sich Menschen in Gott festmachen, dass sie seinen Verheißungen trauen. Basis dieses Vertrauens ist ein Gott, der die Menschen in ihrem Leben, in ihrem Hoffen und Leiden nicht klein macht, sondern anerkennt, der sie für wert hält, mit ihnen zu kommunizieren, sie zu geleiten und zu retten. Eine Transzendenz also, die das menschliche Leben als eigene und zu sichernde Wirklichkeit anerkennt, die letztlich nicht vernichtet, sondern ins Leben holt. Die biblische Schöpfungstheologie ist ein Niederschlag dieses Gewolltseins von Gott her, so dass man auch die eigene Existenz in Gottes Wunsch, dass der Mensch lebt und am Leben bleibt, vertrauensvoll festmachen kann.

      Nicht nur in der biblischen Religion gibt es vor allem zwei Wege, die vornehmlich die Beziehung mit Gott in den Blick nehmen: einmal die „direkt“ im Wort gefasste Begegnung mit Gott (im Gebet, in Berufungserfahrungen usw.), zum anderen den kultischen bzw. liturgischen Gottesdienst, wobei sich beide durchaus überlappen können. Der direkten Frömmigkeit von Einzelnen bzw. des ganzen Volkes steht die Welt der Feste und Rituale gegenüber, in der Bibel vor allem des entsprechenden Tempelkultes und des Sabbats.

      – Ein Blick in die Psalmen zeigt, dass die Aufnahme einer direkten Gebetsbeziehung mit Gott sehr viel Kraft, Zeit und Mühe kostet. Je problematischer die eigene Situation gesehen wird, desto schwieriger ist der Formulierungsaufwand, irgendwie wieder in die Beziehung zu Gott hineinzukommen. Die Klagepsalmen machen diesen Aufwand sehr deutlich: in der eingeholten Erinnerungsarbeit an die Väter, in der ausgiebigen Schilderung der eigenen Situation, in der intensiven aktuellen Gottesbeziehung als Konflikt und am Ende als Lobpreis seiner Rettung versprechenden Nähe (vgl. besonders Psalm 22).

      – Von dieser „unmittelbaren“ Beziehungsarbeit gibt es einen Vermittlungsweg in das Ritual, nämlich wenn solche Gebete eine geprägte Fassung bekommen und als mündliche und/oder schriftliche Gebetsvorlage dienen. Diese erste Ritualisierung einer ursprünglichen Beziehung zwischen Mensch und Gott hat eine ganz wichtige Aufgabe, nämlich dass sie die Beziehung von dem Druck entlastet, sie permanent neu sprachlich herstellen zu müssen. Es handelt sich um eine sprachlich vorgegebene Beziehung, auf die sich die Gläubigen einlassen und die sie für sich verwenden können.

      – Im Symbolhandeln des Rituals (eines Opfers im Tempel in Jerusalem, des Paschamahls bzw. des Herrenmahls) erfährt diese Vorgegebenheit ihre dramatisierte Fassung. Wie sie ausgeführt wird, muss nicht neu erfunden werden, sondern sie wird in ihrer Vorgegebenheit vollzogen. Und in dem Maß, in dem sich die Gläubigen in ein solches Ritual hineinbegeben und es mit vollziehen und mitfeiern, haben sie Anteil an der darin gefeierten und zugleich vitalisierten Beziehung zur „Transzendenz“. Das Ritual beschenkt die Gläubigen mit einer Wirklichkeit, die sie nicht selbst zu gewährleisten und zu sichern haben. Vielmehr ist die Beziehung im symbolischen Geschehen selber gesichert.

      – Hinzu kommt bei Ritualen ihr Vollzug in sogenannten performativen Sprechhandlungen. Was man spricht, das vollzieht sich im Sprechen selbst. „Ich taufe dich …“: Was gesagt wird, wird im Ritus vollzogen.

      – Entscheidend ist auch, dass es eine Gemeinschaft bzw. Tradition gibt, die die rituelle Handlungsform begegnungsfähig hält. Sie schafft einen einbettenden Raum, in dem das Ritual die in ihm ausgesprochene lebendige Bedeutung auch tatsächlich hat und sich entsprechend auszuwirken vermag. Im Ritual kreuzen


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