Sakramente - immer gratis, nie umsonst. Ottmar Fuchs

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Vollzug gegeben ist.

      Das durchaus anzustrebende korrelative oder korrespondierende Verhältnis von Symbolhandlung und Erleben oder Verstehen darf nicht zu der Ansicht führen,20 „seine (des Auferstandenen) wirkliche, aber von uns nicht geglaubte Präsenz wäre, banal gesagt, nur die halbe Miete“21. Es ist bereits die ganze Miete, ohne die es die in der korrelativen Erfahrung beanspruchte ganze Miete gar nicht gäbe. Und Milliarden von Menschen bedürfen eben nicht der Sakramente, können gut ohne sie leben, und doch erfahren sie Gottes Gnade in ihrem Leben, und doch feiert die Kirche stellvertretend für sie die Sakramente.22

      Es ist gut, nicht allzu schnell den Wechsel von Gott zum Menschen zu vollziehen: Gott bleibt Verursacher und Geber der Gnade und aller Sakramentalität. Der Glaube, was immer darunter genauerhin zu verstehen ist, ist nicht Wirkursache der Gnade, sondern disponierende Ursache für die Erfahrung der Gnade. Was das Sakrament zusagt, ist auch nicht davon abhängig, ob die Menschen das erfüllen, was im Sakrament geschenkt ist, sondern es bleibt auch dann gegeben, wenn dies nicht geschieht. Denn Gott lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte (vgl. Mt 5,25).

      So ist auch der Begriff des „unauslöschlichen Merkmals“, das grundlegend mit dem Sakrament der Taufe gegeben ist, auf diesem Niveau zu verstehen: Er sagt aus, dass die göttliche Zusage in diesem symbolischen Akt unverlierbar an ihm haften bleibt und sich beim empfangenden Menschen selbst substantiell auswirkt. Die Zusage bleibt gültig,23 auch kontrafaktisch, also im Gegensatz zur Tatsächlichkeit, sollte der Mensch diese Zusage vergessen oder ihr nicht gerecht werden. Gott selbst hat sich an dieses Garantiezeichen seiner Treue gebunden.

      Auch der sog. Taufscheinchrist bleibt dann ein für allemal in der Liebe Gottes und fällt nie aus ihr heraus: „Gott ruft sakramental den Menschen ganz persönlich und zugleich als Glied der Gemeinde Jesu an, und zwar in schöpferischer Weise, damit der Mensch im Glauben darauf antwortet. Gibt der Mensch seine Antwort nicht in der geschuldeten Glaubenshingabe, so zieht Gott seinen wirksamen Anruf doch nicht zurück, die neue Chance und Aufgabe bestimmt den Menschen bleibend als unauslöschliches sakramentales Siegel.“24 Dessen dürfen die Gläubigen im Vertrauen auf dieses Versprechen Gottes sicher sein.25

      Genau dies spüren die Menschen, die „nur“ zu besonderen Fällen zur Kirche kommen, vor allem zu den Sakramenten Taufe, Firmung und Eheschließung. Man nennt diese Pastoral, vom Lateinischen „casus“ für „Fall“, Kasualpastoral und deshalb diejenigen, die nur aus diesem Grund kommen, Kasualienfromme.26 Diese Menschen ahnen, dass in den Sakramenten eine Vorgegebenheit Gottes auf sie zukommt, auf die sie gewissermaßen ein „Anrecht“ haben, nicht weil sie das Recht selbst besäßen, sondern weil es ihnen von Gott geschenkt ist. Sie reagieren rechtfertigungstheologisch und ekklesiologisch „richtig“, wenn sie die Sakramente als Außenbezug der real existierenden Kirche beanspruchen, um mit ihnen in ihre Lebensräume hinein den Kirchenbegriff mit sich selbst zu erweitern. Auch wenn sie kirchensoziologisch (sozialgestaltbezogen) nicht dazugehören, gehören sie (sakramenten- und darin gnadentheologisch) zur Kirche, zum „Leib Christi“ (1 Kor 12,27).

      Es wäre allerdings ein verhängnisvolles Missverständnis, die hier vorgelegte gnadentheologisch vertiefte Sakramententheologie und Ekklesiologie so zu verstehen, als käme es nicht mehr auf den Glaubensvollzug und das diakonische Handeln an. Hier wird nur in elementarer Weise ernst genommen, dass die Gnade allem Handeln vorausgeht, sowohl in den Symbolhandlungen als auch im sozialen und solidarischen Verhalten der Christen und Christinnen. Das Ganze wäre völlig missverstanden, wenn Gott uns seine Gnade schenkte, damit wir so bleiben, wie wir sind. Die Bibel unterstellt Gott, er habe im Lauf der geschichtlichen Begegnung mit den Menschen gelernt (was selbstverständlich den Lernprozess der Menschen selbst widerspiegelt), dass er mit Zwang und Forderungen nichts bei den Menschen erreichen kann. In der Perspektive des leidenden Gottesknechtes bzw. des Jesus am Kreuz verzichtet Gott völlig auf jede Art von zwingender Herrschaft, um so den Menschen etwas zu schenken, was sie zwischenmenschlich in dieser radikalen Weise nicht erfahren können, nämlich die Bedingungslosigkeit seiner Liebe und damit die Ermöglichung, aus dieser Liebe heraus entsprechend miteinander umzugehen. Gott fordert nicht, was er nicht im Übermaß geschenkt hätte. Befehle und Gesetze allein geben niemals die Kraft, sie in Freiheit zu erfüllen. Gott verzichtet darauf, zum Guten zu zwingen, sondern schenkt dafür die das Gute ermöglichende Gnade.

      Es geht hier also nicht um eine billige Stabilisierung der bestehenden Praxis mit einer ebenso billig missverstandenen „Gnadentheologie“, sondern um eine Gnadenerfahrung, in der die Unendlichkeit des göttlichen Geheimnisses bis zur Hingabe unentgrenzter und damit radikalisierter Solidarität zu tragen vermag. Nicht Bestätigung ist die Wirkung, sondern eine Herausforderung, die tiefer geht als jede Aufforderung.

      Wo es keine Sprache mehr gibt, keine Worte, um die Tiefen des Bösen und des Leides eines Geschehens zu begreifen, wo Menschen fassungslos dastehen müssen, hilflos nichts mehr verhindern können, wo es keine Antworten gibt, die beruhigen, wo man sich zugleich weigert, dem Zynismus oder dem Banalismus allzu schneller Antworten und Reaktionen zu erliegen, da öffnet sich die Sehnsucht nach anderen Ausdrucksformen als denen des Wortes und des Gesprächs. Viele Menschen, auch solche, die es sonst nicht tun, begeben sich dann in die religiöse Symbolwelt; zünden Kerzen an und bringen sie an entsprechende Orte des Gedächtnisses, legen Blumen nieder, schreiben Texte, auch wenn sie nicht unbedingt zum Lesen für andere gedacht sind. Es geht um die Verwortung ihrer Trauer und ihres Mitgefühls, darum also, dass sie geschrieben und mit Kerze und Blumen zusammen oder für sich hingelegt werden. Die eigene Ohnmacht und Anteilnahme können sich in dieses Ritual, in dieses symbolische Handeln hinein verleiblichen. Und damit verbindet sich nicht zuerst Reden, sondern Schweigen.

      Von der Schreckenssprache des ersten Entsetzens, wenn sie denn verfügbar war, fällt man in die Symbolsprache, von der Aufregung in die Ruhe, die aber keine unangemessene Beruhigung darstellt, sondern in der Ruhe erst die Tiefe des Geschehens zu ertasten sucht. Solche Symbolhandlungen und Gottesdienste gibt es nach katastrophalen Ereignissen, öffentlich und privat. Dass sich die Kirchen mit ihren Räumen und Symbolen absichtslos zur Verfügung stellen, ist ein eigener sakramentaler Vorgang, nämlich kontrafaktisch zur Zerstörung dem Mitleid und der Solidarität Ausdruck zu geben, auch wenn dadurch das Geschehene nicht geheilt werden kann. Auch dies ist eine Art von Kasualpastoral und darf nicht mit der zynischen Vokabel eines kompensatorischen Zeremonienmeisters der Gesellschaft diffamiert werden. In solchen Tagen wächst bei vielen Menschen das Bedürfnis nach anderen als bisherigen Ausdrucksformen ihrer Existenz und ihrer Gefühle.

      So werden die Kirchen ihre angesprochenen Ressourcen immer zur Verfügung stellen. Als Orte, wohin die Menschen sich zusammenfinden können in ihrem Bedürfnis nach Schutz und Heimat in der Situation der Fassungslosigkeit, als Räume, wo andere Ausdrucksmöglichkeiten geschenkt sind als die alltäglichen. Und zugleich werden sie sensibel, unindoktrinierend, aber deutlich das inhaltlich Andere mitbenennen, das diese religiöse Sprache trägt. Denn die kirchlichen Symbole haben nicht nur eine beleihbare Ausdruckskraft, sondern sie haben auch bestimmte inhaltliche Ausrichtungen.

      So wird man es auch jenen gönnen, die Christophorus-Plakette im eigenen Auto anzubringen, die ansonsten nicht viel mit Kirche und christlichen Inhalten zu tun haben. Dies ist nicht das Problem. Das Problem liegt in der Verantwortung, die die Kirche auch noch für diese ausgewanderten Symbole hat, insofern sie (z. B. bei Autosegnungen) darauf besteht, dass die Christophorus-Plakette kein Freibrief für rücksichtsloses und menschengefährdendes Fahren ist, sondern dass sich hier der Schutz des eigenen Lebens mit dem Schutz der anderen verbindet. Die Enteignung der Symbole geschieht nicht dadurch, dass sie frei verfügbar sind, sondern sie geschieht erst dann, wenn sie für Handlungen und Positionen benutzt werden, die nicht im Ursprung ihrer Inhalte und der Inhalte des Evangeliums liegen. Ähnliches gilt für die Pastoral der Sakramente, und zugleich hat die Pastoral hier wie dort keine andere Macht als die vertiefte Erfahrung der Gnade. Verweigerungen und Zwänge verschärfen das Problem.


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