Sakramente - immer gratis, nie umsonst. Ottmar Fuchs

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froh sein; Christ soll unser Trost sein … Wär er nicht erstanden, so wär die Welt vergangen. Seit dass er erstanden ist, so freut sich alles, was da ist.“39 Religiös unmusikalisch, beeindruckt ihn dieses Lied doch, diese Funktion der Religion als Auflehnung dagegen, dass alles am Ende zu Ende sei. Zum Glauben kommt er dadurch nicht, aber er sieht in der Liturgie eine „Hohlform“, in der den Menschen ihre subjektive Unwichtigkeit genommen wird, von einem Gott, der ihnen unbedingte Anerkennung schenkt und, weil er allmächtig, diese auch mit ewigem Leben verwirklicht.

      So steht hier die Liturgie des Ostertags für einen Gott, der das Flüchtige sucht und sammelt (vgl. Koh 3,15), der all die Myriaden von Individuen und ihre Einzelerlebnisse unendlich wahrnimmt und ihnen ewige Bedeutsamkeit verleiht. Dies geschieht kontrafaktisch zum leiblichen Tod, traut der Allmacht Gottes die neue Schöpfung in der Unendlichkeit von Leiblichkeit und Individualität zu. Die Liturgie wird hier tatsächlich als Vergegenwärtigung des elementaren Widerspruchs zwischen Tod und Leben erlebt: Der Ort des Verfalls wird zum Ort des Lebens, weil Gott der Asche und dem Staub neues Leben eingibt, dann ein für alle Mal.

      Das Ritual drückt nicht nur menschliche Bedürfnisse aus und verstärkt sie, sondern in ihm kann auch etwas von den Erfahrungen nicht Ableitbares, Fremdes und Sperriges entgegentreten, worin sich dann eine ganz neue Erfahrung ereignet.40 In dieser „symbolischen Differenz“ ereignet sich zwischen dem Menschen und einem Gegenüber jene Spannung, die ebenso anders sein darf, wie sie dann doch „passen“ muss.41 Dieses „Zusammenstimmen“ darf man allerdings nicht als Übereinstimmen missverstehen, sondern benennt, dass auch noch der schärfste Gegensatz zwischen Ritual und Erfahrung selbstverständlich mit der Erfahrung der Menschen zu tun hat. So kommt in den Blick, dass im Sakrament eine von Gott her geschenkte Wirklichkeit vergegenwärtigt wird, die zwar immer mit der Lebenswirklichkeit zu tun haben will, aber auch das göttliche Anderssein zu dieser Wirklichkeit zum Ausdruck bringt.

      Im Modell der „symbolischen Erfahrung“ wird mit aller Deutlichkeit auf diese „Differenz“ abgehoben, indem die Sakramente eben nicht (nur) als Ausprägungen menschlicher Grundbefindlichkeiten zu verstehen sind, sondern als spannungsreiche Begegnung des Menschen mit einer objektiv vorgegebenen Wirklichkeit. Zwischen beiden kann auch das Eigene durch etwas Fremdes in Frage gestellt werden.42 Die Erfahrung des Rituals spiegelt also nicht einfach die alltäglichen bis nichtalltäglichen Lebenserfahrungen der Menschen wider, sondern kann das Gegenteil zeigen, bis hinein in die „negative Dialektik“43 zwischen dem, was im Ritual symbolisiert, und dem, was im Leben erfahren wird. Dann erfährt man das Ritual als etwas, was mit der eigenen Erfahrung nichts zu tun hat. Denn etwa erlittener Schmerz oder fassungslose Wut können niemals liturgisch wegsymbolisiert werden.

      Diese heftige Dialektik ist bereits im Sakrament selbst enthalten. Denn jedes Sakrament44 vergegenwärtigt auf seine Weise das Geheimnis von Tod und Auferstehung Christi. Jedes Sakrament ist grundgelegt in der Taufe (vgl. Röm 6,1–11) und steht damit nicht als Heilszeichen dem Unheil der Welt gegenüber, sondern beinhaltet Unheil und Heil in sich selber. Zugleich kann in dem Zeichen daran geglaubt werden, dass Gott genau diese unvermittelbare Differenz von Glück und Unglück, von Tod und Rettung, von Kreuz und Auferstehung vertieft und zugleich heilsbedeutsam umfasst.45

      Sakramente sind Heilszeichen, weil sie in sich selber dem Leid der Welt und dem Unheil der Welt den Ort geben, den sie aufgrund der katastrophalen Erfahrungen der Menschen und der Menschheit tatsächlich haben. Auch hier gilt: Was nicht angenommen und aufgenommen ist, ist auch nicht erlöst. Gott hat sich in Christus mit der Welt verbunden, und diese Verbundenheit besitzt in sich alle Rissigkeit, alle Widerborstigkeit dessen, was dieser Verbindung widersteht. Gott leidet und klagt selbst in Christus auf der Seite der leidenden Menschen mit und löst so die Widersprüchlichkeit nicht einmal in sich selbst auf, sondern lässt sie zur eigenen Wunde (im Auferstandenen) und Hingabe (im Sakrament) werden. Gottes Seitenwechsel verkleinert nicht den Widerspruch, sondern verschärft ihn. Was beides zusammenhält, ist dieser solidarische Gott selbst und nichts anderes. Diese anderortige Qualität der Liturgie ist also nicht nur eine Frage des alles ohnehin umfassenden Geheimnisses Gottes, sondern beinhaltet auch das widersprüchlichste Verhältnis zwischen Leid und Heil, zwischen Bösem und Versöhnung, zwischen der symbolisierten und der aktuellen Erfahrung.46

      Es ist eben nicht nur so, dass Gott erlebt wird, wo Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen einen Widerhall finden, sondern auch, wo die Menschen Gottes Verborgenheit, Dunkelheit und Herzlosigkeit erfahren müssen. Wo diese sperrige Wirklichkeit nicht in das Verständnis von Sakramenten mit „aufgenommen“ wird, ist die Verhältnisbestimmung von Sakrament und Leben zu glatt. So sind die Sakramente ein Geschenk, das auch die Geschenklosigkeit Gottes und auch, im Kreuz, den Tod Gottes mit beinhaltet. Dies wirkt sich dann auch auf die Öffnung der Sakramentenpastoral aus, indem darin keine Ausschließungen möglich sind.

      Es geht in einer Religion, die sich tatsächlich auf den unendlich geheimnisvollen47 und zugleich unerschöpflich liebenden Gott hin auszustrecken vermag, immer um beides, um die Offenbarung aus den eigenen Wurzeln heraus und um die „Auflösung“ dieser Offenbarung in die Tiefe und Weite Gottes und der Welt hinein. Die Er-Lösung von einem angstbesetzten bzw. narzisstischen Selbstbezug zeigt sich in dieser Lösungs- und Erlösungshaltung allen und anderen Menschen gegenüber.

      Voraussetzung dafür ist, dass die Religionen bereits in ihren Wahrheitssystemen und -praktiken Gott als unergründlich ewig unbegrenzte Liebe verkünden und lebensgestaltend bezeugen. Religionen können Orte sein, diese Haltung einzuüben, wenn sie durchlässig sind für die ewige Unergründlichkeit Gottes, insofern dieser Gott alles noch einmal überholt, auch die je eigene Offenbarung.

      Dabei plädieren die Religionen, wenn auch leider oft nur für ihre eigenen Gläubigen, für einen guten Gott, trotz all des Bösen und der Leiden in dieser Welt. Sie verkünden jedenfalls keinen total bösen Gott, der am Scheitern, an Schrecklichem und Leiden der Menschen sein grausames Vergnügen hat. Die inhaltlichen Richtungsanzeigen, die (nicht nur) aus den monotheistischen Offenbarungen kommen, sind Liebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Diese in das unendliche Geheimnis Gottes hinein unbegrenzt zu denken erreicht und überschreitet die Religionsgrenzen.

      Im Christentum gibt es Lehraussagen, die diese Entgrenzung Gottes gegenüber aller Wirklichkeit eigens benennen. Das Dogma des vierten Laterankonzils formuliert,48 dass Gott zu allem Diesseitigen unähnlicher ist als ähnlich. Die christliche Wahrheit ist so angelegt, dass sie selbst überstiegen wird, geradezu in negativer Dialektik zu sich selbst. Hinter den Bekenntnissen und vor allem im Gotteslob tut sich die ganze unendliche Weite Gottes in ihrer Unerschöpflichkeit auf. So verstehen sich Religionen in dem Sinn symbolisch, dass sie eine Reise über sich hinaus antreten lassen in das Unausdenkbare, Unbestimmbare, Unmögliche, in das Nichtberechenbare. Dies geht aber nur, wenn sich Glaubenssysteme nicht integralistisch zeigen, sondern in dem Sinn als sakramental, dass sie immer nur Zeichen und Werkzeug für etwas sind, was sie selber nicht im Griff haben und was über sie hinausgeht.

      Es geht darum, die Verkleinerung Gottes zurückzunehmen, die mit eigenen Grenzziehungen und Blockierungen geschieht, in die Offenheit der ewigen Unerkanntheit und Unbestimmbarkeit hinein. Und in den Religionen ist es vor allem die Mystik, die dafür eintritt, dass die Bekenntnisworte nicht das letzte Wort haben, sondern dass es darüber hinaus Gotteserfahrungen in anderen Gefilden gibt, wie in der Musik, in der Kunst,49 aber auch in Ritualen und in der Poesie.50

      Es bleibt für die Religionen dann weiterhin richtig, was sie in ihren Offenbarungsräumen sagen, feiern, glauben und hoffen. Aber damit diese Systeme nicht selber in die Kälte kommen, indem sie Gott als Wenn-dann-Gefüge verwalten, werden sie sich auf diesen unendlichen Raum hin öffnen, in dem es beides nicht ohneeinander gibt, Liebe und Freiheit, Gericht und Versöhnung. Es geht um Gott, dessen inhaltliche Weite als Liebe mit der „unendlichen“ Weite des Universums mithalten kann. Um einen Gott, der nicht mickriger ist als das, was atheistisch-evolutionistische Positionen hinsichtlich des Universums erträumen.51

      Die


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