Sakramente - immer gratis, nie umsonst. Ottmar Fuchs

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aus ihrer wiederholbaren Tiefe heraus immer wieder Phantasie und Kreativität anregen, weil sie letztlich nie restlos verstanden werden können. Es bleibt ein Überhang an Vor-Gegebenheit im Symbolbereich, dem nicht immer und nicht alle Erfahrungen hinreichend entsprechen (können). Gewissermaßen laufen die Symbolvollzüge auch den Erfahrungen davon, gerade weil sie aus der Vergangenheit heraus vorgegeben sind.

      – Ein charakteristischer Aspekt vieler Rituale ist ihr liminaler, also grenzenberührender bis grenzenüberschreitender Charakter. Denn sie überbrücken aufbrechende Risse in Leben und Gemeinschaft, wie den Übergang von der Gesundheit zur Krankheit, vom Glück zum Unglück, vom Leben zum Tod, von der Kindheit zum Erwachsenensein usw. Diese besonderen „Rites de passage“ sind aber zu unterscheiden von dem prinzipiell schwellenüberschreitenden Charakter von Ritualen, insofern sie alle die Schwelle zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit überbrücken, also in dieser Hinsicht ganz bestimmte Passagen vom Sichtbaren und Handgreiflichen in die dahinterliegende Transzendenz eröffnen.13

      Man kann das relativ konstante, wenn auch kulturell unterschiedlich ausgeprägte prekäre Verhältnis von „unmittelbarer“ Begegnung und Ritualisierung auch mit Alltagsbeziehungen vergleichen. Wenn Beziehungen, Beziehungen der Freundschaft und der Liebe, noch im Anfangsstadium sind, ist die gegenseitige, ins Wort gebrachte Sehnsucht nach Vergewisserung noch sehr groß. Intensive und verlässliche Beziehungen der Freundschaft und der Liebe gelangen aber zu jener Reife, in der das gegenseitige Vertrauen nicht in jedem Augenblick vergewissert werden muss, sondern vorausgesetzt werden kann als etwas in der Beziehung dauerhaft Gegebenes, das man nicht in jeder Stunde neu zu machen hat. So kann man/ frau dann auch in Schweigen beieinandersitzen und dies als tiefe Beziehung erfahren. So ergeben sich Eigenrituale solcher Beziehungen in ganz bestimmten Gesten und sprachlichen Kurzformeln bzw. Symbolen, deren Bedeutung und Tiefe für die Beziehung vorausgesetzt wird und nicht eigens formuliert sein muss.

      Gerade dieses Beispiel kann aber auch eindrücklich deutlich machen, wie ambivalent die Ritualisierung von Beziehung sein kann, wenn sie die Oberhand gewinnt und überhaupt nicht mehr die unmittelbare Vergewisserung der Beziehung zulässt bzw. Konfliktgespräche verdrängt. Gab es im Anfang der Beziehung einen Vergewisserungszwang, so kann es später einen Ritualzwang geben, um das Problem der beiderseitigen erneuten Vergewisserung zu meiden. Dann gibt es irgendeinmal den Augenblick, dass man/frau feststellen muss, dass der Beziehung die eigene vitale Basis abhandengekommen ist. Erich Kästner hat diesen Augenblick in einer eindrucksvollen Weise (1928) in dem Gedicht „Sachliche Romanze“ festgehalten:

       Sachliche Romanze

      Als sie einander acht Jahre kannten

      (und man darf sagen: sie kannten sich gut)

      kam ihre Liebe plötzlich abhanden.

      Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

      Sie waren traurig, betrugen sich heiter

      versuchten Küsse, als ob nichts sei,

      und sahen sich an und wussten nicht weiter.

      Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

      Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.

      Er sagte, es wäre schon Viertel nach vier

      und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.

      Nebenan übte ein Mensch Klavier.

      Sie gingen ins kleinste Café am Ort

      und rührten in ihren Tassen.

      Am Abend saßen sie immer noch dort.

      Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort

      und konnten es einfach nicht fassen.

      Ähnlich kann auch ein religiöses Ritual funktionieren: nämlich dass es nur noch funktioniert und das eigentlich damit zu verbindende Leben ersetzt. Dies kann eintreten, wenn der kultische Vollzug einen Versuch darstellt, Gott für die eigenen Belange in Anspruch zu nehmen und damit die Beziehung zu Gott zu zerstören: mit einem Wenndann, das die Beziehung unter Bedingungen stellt. Nach der Ritualforscherin Mary Douglas ist Ritualismus jener Vorgang, in der in einer Gesellschaft die manchmal verunsichernden Erscheinungen unmittelbarer Religiosität (wie etwa in der Ekstase) zugunsten einer gesteigerten Kontrolle durch Rituale unterdrückt werden, die die lebendige Gottesbeziehung, vor allem die der Klage und Anklage, die widerständig ist, durch ein regelgeleitetes Verhältnis ersetzt.14

      Es gibt in der Geschichte von Religionen wie auch in Biographien von gläubigen Menschen eine Abfolge unterschiedlicher Schwerpunkte von „direkter“ Gottesbeziehung und Sakrament bzw. Liturgie, ein Pulsieren zwischen diesen beiden Formen der Transzendenzbeziehung. Und offensichtlich scheint das jeweilige Durchbrechen zur unmittelbaren und aus der eigenen Situation heraus formulierten Begegnung immer auch eine Unterbrechung und Kritik allzu selbstverständlich gewordener oder inhaltlich problematisch gewordener Symbolvorgänge bzw. Rituale zu sein. Dafür steht die biblische Prophetie, die immer wieder die Sicherheit kritisiert, die man mit Ritualen zu erwerben glaubt.

      Aus dieser Perspektive kann die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanums als Flexibilisierungsschub einer relativ festgefügten Liturgie angesehen werden zugunsten einer persönlichen Erfahrungsbeteiligung an Symbolvorgängen in Richtung auf eine „actuosa participatio“ (aktive Teilnahme bzw. Teilhabe) der Gläubigen. Mit der Liturgiekonstitution ist damit für das Gesamtkonzil etwas eröffnet worden, was alle Texte durchzieht, nämlich das Bestreben, kirchlichen Glauben und die Erfahrung der Gläubigen, Dogma und Pastoral, Liturgie und Leben in einer sich gegenseitig erschließenden Weise aufeinander zu beziehen.15

      Die relative Vorgegebenheit und Kontinuität des Rituals bildet die „natürliche“ Entsprechung für jene Vorgegebenheit, dass den Menschen die Liebe Gottes geschenkt ist, noch bevor sie diesbezüglich etwas leisten müssten. Diesen Glauben formuliert vornehmlich die Gnadentheologie16 und Rechtfertigungstheologie. In der Lehre der Sakramente gilt das Sakrament demnach als ein von Christus eingesetztes wirksames Gnadenzeichen.17 Zu den anderen, den erzählerischen, bekenntnis- und lehrhaften Eingaben der Tradition, verhält sich das Ritual wie die Energiemitte eines Sterns, in dessen Mitte viele Strahlen, Geschichten und Inhalte münden und aus dessen Mitte viele Strahlen kreativer Geschichten sich zu entfalten vermögen.

      Selbstverständlich ist Gott die personale Bedingung und Wirkursache dieses Symbolgeschehens und nicht das Symbolgeschehen selbst. Aber das Symbolgeschehen ist es, das durch sich selbst die Sicherheit dieser Ursache vermittelt. Die „Wirksamkeit“ der Sakramente aus ihrem Vollzug heraus (ex opere operato) bewahrt die Unbedingtheit der Gnade Gottes davor, von der Tätigkeit der empfangenden bzw. spendenden Person ursächlich abhängig zu sein. Was allerdings von der Tätigkeit ursächlich abhängt, sind selbstverständlich die Erfahrung dieser Gnade im eigenen Leben, die sprachliche Formulierung dieser Beziehung und das Innewerden ihrer Wirkmacht. Die katholische Sakramententheologie macht die Gnade nicht vom Glaubenserfolg der Empfänger/innen abhängig. Analog dazu könnte man die Theologie von der Selbstbewegung des Wortes, die nicht vom Verkündigungserfolg abhängig ist, bei Karl Barth auffassen.18

      Leonardo Boff formuliert den Zusammenhang so: „In der christlichen Tradition ist immer behauptet worden, dass die göttliche Gnade unfehlbar in der Realisierung des Sakraments gegenwärtig wird. … Die Gegenwart der göttlichen Gnade im Sakrament hängt nicht ab von der Heiligkeit sei es dessen, der das Sakrament spendet, sei es dessen, der es empfängt. Denn die Ursache der Gnade sind weder der Mensch noch seine Verdienste, sondern einzig Gott und Jesus Christus: … Wenn einmal der sakramentale Ritus vollzogen ist und die heiligen Symbole gesetzt sind, handelt Jesus Christus und kommt in unsere Mitte. Aber nicht kraft der Riten selbst; diese haben ja aus sich selbst nicht die geringste Kraft, sie symbolisieren nur. Sondern auf Grund des Versprechens, das Gott gegeben hat.“19 Ich würde noch ergänzen, das sich in ihnen verleiblicht, so dass sie zur Repräsentanz dieses Versprechens werden. Ein Gebrauch der Sakramente mit Bedingungen (wenn ich das und jenes tue,


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