Wie lernt Kirche Partizipation. Группа авторов
und solidarischem Handeln, sondern auf die langfristige Sicherung von pastoraler Versorgung“91 bezieht. Wie in anderen Bistümern auch besteht ebenso im Bistum Aachen die Herausforderung, in Form von verschiedenen Projekten und Konzepten nicht doch wieder in die Dynamik eines „mehr Desselben“ einzusteigen und dadurch Strukturen und Praktiken in den „alten Konzepte[n] Mitgliedschaft, Gefolgschaft und Macht ‚freiwillig‘ zu verlängern“92. Denn was damit nicht hinreichend gelöst würde, sind die pastoralen Herausforderungen der Gegenwart, wie sie unter anderem in der bereits angesprochenen „Milieuverengung“ deutlich zutage treten. Einen Fokus auf den angezeigten Habitus-Wechsel zu legen, wird auch in Zukunft verstärkt notwendig sein. Partizipation von freiwillig Engagierten ist nicht auf die Beteiligung an kirchlichen Aufgaben anlässlich einer in die Krise geratenen Sozialform von Kirche zu verengen. Vielmehr ist das in der Grundstruktur des freiwilligen Engagements liegende Innovationspotenzial auf ein relevantes Christsein vor Ort hin freizulegen.
(3) Die Soziologin Maren Lehmann stellt fest, dass „der Fehler […] so vieler Reformversuche der Kirche als Organisation [darin besteht, E. K.], dass sie nach zuviel Ordnung und zuviel Regelung suchen, wo es doch darauf ankäme, nach brauchbarer Unordnung […] zu suchen“93. Die Suche nach Ordnung, Regelung und Stabilisierung ist in Zeiten, in denen Vieles im Umbruch begriffen ist, besonders stark ausgeprägt. Sie kann auch hinter dem Projektauftrag vermutet werden, „Unterstützungs-Tools“ für freiwillig Engagierte zu entwerfen, die in Gremien, Räten und Leitungsteams innerhalb der Organisation Kirche verstärkt partizipieren (sollen). Demgegenüber wäre die brauchbare Unordnung zu suchen, die – so Lehmann – „nur auf der Ebene kommunikativer Begegnungen“ zu finden sei, also in den – wenn auch flüchtig bleibenden – Begegnungen „unter Leuten“94. Nicht zuletzt deshalb war und wird es auch in Zukunft entscheidend sein, einen Fokus auf das Lernen aus eigenen Erfahrungen in Form von Exposures „unter Leuten“ zu legen. Es kommt darauf an, immer wieder aus dem Eigenen herauszugehen und sich Orten auszusetzen, die ungeordnet und chaotisch sind, und zwar ohne diese gleich ordnen, homogenisieren oder normalisieren zu wollen, sondern darin gerade zu bezeugen „dass das Heil nicht aus einer Zugehörigkeit hervorgeht und dass man sogar zum Reich Gottes gehören kann, ohne davon zu wissen“95. Mit Lehmann gesagt: Die Identifikation von Zugehörigkeit bzw. „Mitgliedschaft und Anwesenheit wäre eine fatale Verwechslung“96.
(4) Wer etwas vermitteln will, der stößt – insbesondere im Hinblick auf das Phänomen Partizipation – auf das unhintergehbare Paradigma der Glaubwürdigkeit. In seinen Propädeutischen Überlegungen zur Glaubensvermittlung fragt Mussinghofs Vorgänger im Bischofsamt, Bischof Klaus Hemmerle: „Was heißt Vermittlung?“97 Seine Antwort lautet: „Die Sache ist die Methode; das meint: Die einzig gültige Methode ist die Sache selbst. Methode heißt ja Weg, Zugang.“98 Diese phänomenologische Einsicht formuliert Hemmerle in Bezug auf die „Sache des Glaubens“99 und seine Vermittlung, kann in gewisser Weise aber auch für diözesane Prozesse von Bedeutung sein: Inhalt und Methode gehören zusammen.100 Der Inhalt von Partizipation ist die Methode und die Methode ist der Inhalt von Partizipation. Anders gesagt: Die Vermittlung von Partizipation widerspricht sich überall dort, wo Partizipation nur proklamiert und nicht von Anfang an auch praktiziert wird. Insofern kann es gar nicht ausschließlich um ein Lernen von Partizipation, sondern immer nur auch um ein Lernen durch Partizipation gehen. Entscheidend ist der Weg, die Art und Weise, das „Wie“. Papst Franziskus nennt dies den „Weg der Synodalität, welcher der Weg ist, den Gott von der Kirche im dritten Jahrtausend erwartet“101. Dieser beginnt mit einem „Hören“, das „mehr ist als bloßes Hören“. Das synodale Hören ist vielmehr
„ein wechselseitiges Hören bei dem jeder (!) etwas zu lernen hat. Das gläubige Gottesvolk, das Kollegium der Bischöfe, der Bischof von Rom: der eine hört auf den anderen, und gemeinsam hören sie auf den Heiligen Geist, den Geist der Wahrheit (Joh 14,17), um das zu erkennen, was Er seinen Kirchen sagt (Apg 2,7).“102
In Zukunft gilt es vom Hören ausgehend die Vielfalt synodaler Formen (wieder) zu entdecken und zu praktizieren, auch und gerade dort, wo es um gesamtpastorale Prozesse im Sinne einer „partizipativen“ Kirchenentwicklung geht.
9. SCHLUSSWORT
„Verantwortung teilen“ ist der Titel für eine Entwicklung, die noch längst nicht an ein Ende gekommen ist. Mit dem Projekt wurde eine Lernplattform geschaffen, die es weiter zu vernetzen und zu bespielen gilt. Notwendig wäre die Selbstrelativierung durch die stärkere Einbindung in ein „Netz pastoraler Orte“, zu deren Knotenpunkten all jene Orte gehören, „an denen Prozesse der kreativen Konfrontation von Evangelium und Existenz stattfinden“103, von denen gelernt werden kann. Das Thema „Partizipation“ ist auch in Zukunft vor einer Verengung auf eine aufgrund des „Priestermangels“ notwendig gewordene Aufgabenteilhabe durch freiwillig Engagierte zu schützen.
Es geht bei der Frage nach Partizipation durch freiwillig Engagierte nicht darum, neue Experten auszubilden, die das überkommene und in die Krise geratene System einfach weiterführen. Das Thema Partizipation ist von bestimmten Logiken freizuhalten, wie etwa der Logik der Versorgung der einen durch die anderen, der Logik der Aufgabenverpflichtung, der Rekrutierung und der Mitgliedschaft im Sinne der institutionellen Eingliederung von „brauchbaren“ Fähigkeiten. Gleichsam hat auch die Organisation von Bildungsprozessen der Versuchung erneuter Dichotomisierungen zwischen „Hauptamtlichen“ und „Ehrenamtlichen“, zwischen „Lehrenden“ und „Lernenden“, zwischen „Experten“ und „Nicht-Experten“ zu widerstehen. Partizipation ist als Ausgangspunkt und nicht nur als (zu vermittelnder) Gegenstand ernst zu nehmen. Anstatt Partizipation strukturell zu verharmlosen, ist ehrlich auf bestehende „Differenzen zwischen Semantik und Systemstruktur“ hinzuweisen. Außerdem gilt: Je höher die Tendenz ist, im „Eigenen“ zu verharren, umso dringlicher sind Lernprozesse zu organisieren, die vom „Anderen“ ausgehen.
Neu zu entdecken ist auch das Prinzip der Gegenseitigkeit und eine Teamkultur, die aus mehr besteht als die Summe von Einzelverantwortungen. Partizipative Prozesse in der Kirche springen unterdessen zu kurz, wenn das Interesse nicht dem Leben von Menschen in der Perspektive der Frohen Botschaft gilt. Um was es geht, ist die Identität von Christinnen und Christen und darum, dass sie am Leben der Menschen von heute „dran“ bleiben und gemeinsam die erneuernde Kraft des Evangeliums – „Leben in Fülle“ (Joh 10,10) – erfahren.
Mehr denn je braucht es dazu Orte des Hörens und des offenen und ehrlichen Dialogs. Bucher erklärt die „Ehrlichkeit in einer strukturell nicht sehr ehrlichen, weil immer noch recht vermachteten kommunikativen kirchlichen Kultur […] [, zu] eine[r] Überlebensfrage der Kirche“104 schlechthin.
Darin könnte auch die Chance des Projekts „Verantwortung teilen“ liegen: Räume offen zu halten, in denen auf dialogische und ehrliche Weise gelernt und entdeckt wird, was es heißt, auf partizipative und relevante Weise Christin und Christ in der Welt von heute zu sein.
1 SPIELBERG, Bernhard: Lokal, lustvoll, lebensnah. Pfarrgemeinderäte zwischen Herein- und Herausforderungen, in: LANDESKOMITTEE DER KATHOLIKEN IN BAYERN: Handbuch Pfarrgemeinderat, Freiburg/Br. u. a. 2012, S. 74-80, hier S. 74.
2 Ebd. [Hervorhebung E. K.]
3 Vgl. SELLMANN, Matthias: Zuhören, Austauschen, Vorschlagen. Entdeckungen pastoraltheologischer Milieuforschung, Würzburg 2012, bes. S. 147-254. Vgl. EBERTZ, Michael N.: Anschlüsse gesucht. Ergebnisse einer neuen Milieu-Studie zu den Katholiken in Deutschland, in: Herder Korrespondenz 60 (4/ 2006), S. 173-177. Spielberg spricht in diesem Zusammenhang von der sogenannten „Exkulturation“, das heißt der „wachsende[n] Distanz zwischen der kirchlichen Praxis einerseits und dem Leben eines großen Teils der Menschen andererseits“. SPIELBERG, Lokal, lustvoll, lebensnah, S. 74.
4 EBERTZ, Michael N.: Kirche im Gegenwind. Zum Umbruch der religiösen Landschaft, Freiburg/Br. u. a. 1997, S. 135.
5 BUCHER, Rainer: Die Provokation annehmen. Welche Konsequenzen sind aus der Sinusstudie zu ziehen?, in: Herder Korrespondenz 62 (6/ 2008), S. 450-454, hier S. 454.
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