Wie lernt Kirche Partizipation. Группа авторов

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Jahre nach dem Konzil noch bestehenden Spannung gehört ein in Lumen Gentium 12 angelegter Konflikt, den Jochen Hilberath so beschreibt:

      „Wenn das Volk Gottes mit Hilfe des Geistes in den überlieferten Glauben ‚mit rechtem Urteil tiefer eindringt und ihn im Leben voller anwendet‘ (LG 12), dann braucht es in der Kirche Kommunikationssituationen und Verfahrensweisen, damit das Bemühen um einen consensus fidelium aus dem sensus fidei heraus möglich und fruchtbar wird.“7

      Eine Kirche, in der das Volk Gottes im ernsten Sinne des Wortes am Weg partizipiert, mutiert zwangsläufig vom erratischen Block zu einer „fließenderen“ Form.8

      1.4 BESONDERE FORMEN DER LEITUNG

      Aus der Grundsympathie für eine partizipativ angelegte Pastoral entstehen im Bistum Aachen zwei besondere Formen der Leitung der Pfarrei.9 Seit 1993 wird in einer begrenzten Zahl von Fällen die Leitung der Pfarrei nach c. 517 § 2 CIC/1983 praktiziert. Von der Anwendung dieses Kanons kann der Diözesanbischof bei Priestermangel Gebrauch machen. Er kann dann andere Personen an der Wahrnehmung der Seelsorgsaufgaben beteiligen und muss ihnen einen Priester, der nicht kanonisch ernannter Pfarrer ist, als sogenannten „Moderator der Seelsorge“ an die Seite stellen. Anders als andere Bistümer in Deutschland beauftragt das Bistum Aachen nie Einzelpersonen und keine Hauptberuflichen. Beauftragt werden vielmehr kleine Gruppen freiwillig Engagierter aus der Pfarrei. Damit wird deutlich, dass dieser Kanon auch nur Anwendung finden kann, wenn die Pfarrei schon vorher wesentlich von ehrenamtlichem Engagement getragen ist und insofern die Ressource von Freiwilligen reichhaltig vorhanden ist. Dem mit der Pfarreileitung nach c. 517 § 2 CIC/1983 beauftragten Freiwilligen sowie dem bestellten moderierenden Priester wird dann aus dem Pastoralteam des pastoralen Raums ein pastoraler Mitarbeiter/eine pastorale MitarbeiterIn, meistens Gemeindereferentinnen und Gemeindereferenten, als professionelle Begleitung mit einem bestimmten Beschäftigungsumfang an die Seite gestellt. Ein zweites besonderes Leitungsmodell ist als diözesanes Recht verankert und verdankt sich dem ersten Bistumstag 1996. Es ist das Modell „Gemeindeleitung in Gemeinschaft“ aus dem Jahr 1998, das ebenfalls eine erweiterte Pfarreileitung vorsieht, in diesem Fall aber bei vorhandenem kanonisch ernannten Pfarrer. Hier leiten vom Pfarreirat gewählte und vom Bischof beauftragte Ehrenamtliche zusammen mit Mitgliedern des Pastoralteams und dem Pfarrer die Pfarrei. Die Leitung erfolgt gemeinschaftlich, was nicht heißt, dass alle Rollen verschwimmen.

      Beide Wege sind anspruchsvoll und erfordern viel Kommunikation und Koordination. Von daher verwundert nicht, dass die Modelle nur in einer begrenzten Zahl von Pfarreien des Bistums Anwendung finden, zur Zeit aktuell in vier (Pfarreileitung nach c. 517 § 2 CIC/1983) bzw. drei (Pfarreileitung nach „Gemeindeleitung in Gemeinschaft“) Pfarreien.

      1.5 NEUORDNUNG DER PASTORALEN RÄUME

      Diese besonderen Leitungsformen für einzelne Pfarreien sind eingebettet in das seit 2000 verfolgte Konzept neuer pastoraler Räume. Wie in den meisten deutschen Diözesen hat es Strukturanpassungen aus Anlass des Priestermangels und wegen der veränderten Zugehensweisen der Menschen auf Kirche gegeben. So ist das Bistum Aachen aktuell in 71 pastorale Räume eingeteilt, die zwischen 7.000 und 25.000 Katholiken umfassen. 27 dieser Räume bestehen nach umfassenden Fusionsprozessen in der Rechtsform einer Pfarrei. Die anderen Räume bestehen aus 2 bis 19 selbständig existierenden Pfarreien, vor allem im ländlichen Raum. Für die pastoralen Räume hat der Bischof erstmals 2005 pastorale Leitlinien erlassen, die 2011 in revidierter Form bestätigt wurden.10

      Alle 71 Gemeinschaften der Gemeinden haben parallel zu diesen Prozessen der Strukturanpassung erstmals ein „Pastoralkonzept“ für ihren pastoralen Raum erarbeitet. Auf diese Weise sollte sichergestellt werden, dass nicht nur die „Organisation GdG“ ein Update erfährt, sondern vor allem auch der „Organismus GdG“ in seiner lebendigen Vielfalt gesehen und kultiviert wird. Auch wenn die Qualität dieser Konzepte durchaus verschieden ausfällt, so ist dennoch ein Anfang gemacht auf dem Weg einer mittelfristigen Pastoralplanung. Das Instrument ist vielerorts Katalysator für die Debatte um die Vision von Kirche, um Grundsätze des Handelns, um sozialraumorientierte und milieusensible pastorale Zielsetzungen, um schmerzhafte Abschiede und hoffnungsvolle Aufbrüche. Im Rahmen der Etablierung der pastoralen Räume sowie der Fusionsprozesse wurde 2013 auf der Grundlage einer neu entwickelten Satzung zum ersten Mal eine „GdG-Rats-Wahl“ durchgeführt, d. h. das entscheidende synodale Gremium der Ebene „Kirche am Ort“ ist nun der „Rat der Gemeinschaft der Gemeinden“ (GdG-Rat).11 Unterhalb des GdG-Rats ist es möglich, Pfarreiräte und/oder Gemeinderäte zu installieren, die lokale Zuständigkeit und Verantwortung haben. Dagegen ist der GdG-Rat „Planungs- und Entscheidungsorgan in allen grundlegenden Fragen der Pastoral, unbeschadet der Rechte der in den Pfarreien der Gemeinschaft der Gemeinden kanonisch ernannten Pfarrer“ (Satzung §3, 1). Der GdG-Rat ist ein pastorales Leitungsorgan: „Der GdG-Rat hat teil an der Leitung der Gemeinschaft der Gemeinden.“ (Satzung § 3, 3) Die Brisanz dieser Satzungspassagen ist noch längst nicht zu allen vorgedrungen, geschweige denn, dass sie schon die allgemeine Praxis prägen würde. „Verantwortung teilen“ will die Vorstände der GdG-Räte mit den Chancen, aber auch der Verantwortung dieser Satzungsaussagen so in Kontakt bringen, dass sie erkennen und dann auch praktisch umsetzen können, was an synodaler Sprengkraft hier enthalten ist (siehe unten Kapitel 4.).

      Nach dem Motto „Global denken – lokal handeln“ soll der GdG-Rat aus seiner überörtlichen Perspektive beurteilen und entscheiden, was pastoral besser lokal vor Ort anzugehen und umzusetzen ist und was angemessener und wirkungsvoller auf der Ebene des ganzen pastoralen Raums oder in noch einmal existierenden Substrukturen passieren soll. Gemäß dem von Christian Bauer geprägten Wortspiel „Nähe und Weite statt Enge und Ferne“ wahrt die neue Satzung strikt das Subsidiaritätsprinzip und weitet gleichwohl den Blick in eine Raumdimension, die vor allem im städtischen und rand-städtischen Raum eher dem Lebensgefühl und den Bewegungsräumen der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen entspricht.12

      1.6 NEUE WEGE GEHEN – GRÜNDEN!

      Das bisher skizzierte Profil der bistümlichen Pastoralentwicklung schärfte Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff gegen Ende seiner Amtszeit noch einmal durch die Akzentuierung der Motive des „neuen Wegs“ und des „Gründens“ – und zwar einerseits gegenüber seinen MitarbeiterInnen und Mitarbeitern im pastoralen Dienst:

      „Neue Gestalten von Kirche pflanzen, neue Formen von Gemeinschaften und Gemeinden gründen, das scheint mir tatsächlich ein Gebot der Stunde zu sein. Über das Wachsen entscheidet Gott – aber schaffen wir das, eine neue ‚Gründerphase‘ einzuläuten? […] Wir brauchen aber eine neue Balance zwischen der Verteilung von Phantasie, Energie und Zeit auf den Kanon von Grunddiensten einerseits und auf Aufbrüche andererseits.“13

      Andererseits auch gegenüber den gewählten Pfarrgemeinderäten im Bistum:

      „In dem Maße, wie wir das Taufbewusstsein aufbauen, können wir falschen Klerikalismus abbauen. Damit meine ich nicht nur den Klerikalismus, der manche Priester oder andere beauftragte Seelsorgerinnen und Seelsorger zuweilen meinen lässt, jenseits ihrer Kontrolle dürfe nichts passieren. Mit Klerikalismus meine ich auch die allzu schnelle Bereitschaft mancher Getauften, die eigene Verantwortung als Christ oder Christin an die ‚Profis‘ und die ‚Pastoralexperten und -expertinnen‘ abzugeben. Wir brauchen ein neues Zutrauen in die Wirkmacht unserer Taufe und als logische Konsequenz ein neues Vertrauen in die Gaben und Talente der Anderen, die ja auch von Gott Begabte und Berufene sind!“14

      Da bloße Appelle nicht reichen, hat das Bistum Aachen für die Berufseinführung ihrer Seelsorgeberufe und für deren Fortbildung das sogenannte „Aachener Gründertraining für Seelsorgerinnen und Seelsorger“ entwickelt, das 2017 zum dritten Mal durchgeführt wird. In diesem Training wird ganz konkret gefragt und eingeübt, wie das in der pastoralen Praxis umgesetzt werden kann, was der Bischof anmahnt:

      „Ich stehe dafür, dass wir neue Wege beschreiten, dass wir nicht nur Vertrautes verwalten, sondern Neues gründen. Ich stehe dafür, dass wir lernen, fehlerfreundlicher zu werden und die honorieren, die sich mutig auf den Weg machen, auch wenn sie manchmal in einer Sackgasse stecken bleiben. Das ist allemal besser als vor lauter Ängstlichkeit und Sorge immer nur etwas zu konservieren, dessen Zeit eigentlich abgelaufen


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