"Chemin Neuf" in kirchenrechtlicher Sicht. Andreas Friedel


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die CCN-Vorstellungsbroschüre und unterstreicht damit noch einmal die grundlegende Wichtigkeit dieser charismatischen Initiation:

      „Jeder Bruder und jede Schwester macht auf seine/ihre Art und Weise die grundlegende Erfahrung der ‚Taufe im Heiligen Geist‘. Die Taufe im Heiligen Geist ist eine Erneuerung der Taufgnade durch ein persönliches Engagement und Hingabe des eigenen Lebens an Christus.“156

      Die Texte von CCN geben mit Stichworten wie „Erneuerung der Taufgnade“ oder „totale Hingabe des Lebens“ oder „tiefe persönliche innere Erfahrung“ bereits eine erste Deutung mit.

      In der theologischen Literatur wird die Taufe im Heiligen Geist als eine Umkehrerfahrung beschrieben. Dieses Erlebnis wird als von außen kommend erfahren. Der Geistgetaufte hat den Eindruck, über sich hinausgeführt zu werden, und empfindet in der Regel ein außerordentliches Glücksgefühl, das auf die besondere Nähe Gottes zurückgeführt wird. Die Intensität hebt die Geisttaufe über alle anderen religiösen Erlebnisse des Empfängers hinaus. Sie wird von den meisten als starkes emotionales Erlebnis beschrieben. Dieses umfasst ein ganzes Spektrum von Gefühlsregungen: Freude, Trauer über das bisherige Leben, verbunden mit Buße und Glück über den neuen Weg, der sich auftut.157 Die Taufe im Geist ist für viele Charismatiker eine fundamentale Erfahrung. Sie markiert eine Grenze zwischen Vorher und Nachher. In diesem Ereignis offenbart sich das Absolute, das alles in einem neuen Licht erscheinen lässt. „Das unverhoffte Widerfahrnis, das den alltäglichen Lauf der Dinge sprengt, wird oft metaphorisch als ‚Tod und Auferstehung‘ beschrieben. Es ist nie bloß Negierung von Missständen, sondern positive Erfahrung neuen Lebens.“158

      2.1.4.2 Die charismatische Gebetspraxis

      Ein weiteres Merkmal charismatischer Gemeinschaften ist die ekstatische Art des Betens. Zu den Gestaltungselementen charismatischer Gebetstreffen gehören Singen, Beten, Lobpreis, Bibellesen, Stille, Erfahrungsberichte, persönliche Fürbitten und die praktizierten Charismen wie beispielsweise die Glossolalie oder die Prophetie. Das Gebet ist in der Regel begleitet durch Gebärden wie das Erheben der Hände, rhythmisches Klatschen, Handauflegung oder An-den-Händen-Fassen.159 Die Gebetsgebärden sollen verdeutlichen, dass es in der charismatischen Spiritualität keine Trennung zwischen Geistlichem und Körperlichem gibt, sondern der Mensch ganzheitlich mit Körper, Seele und Geist betet.160 In das Gebet bringen sich die Teilnehmer durch spontan formulierte Fürbitten, Gebete oder Lobpreisungen ein. Anstelle einer liturgischen Sprache wird eine umgangssprachliche Redeweise bevorzugt.161 In sogenannten Zeugnissen werden persönliche Glaubenserfahrungen weitergegeben, die dem Alltag entnommen sind.162 Das charismatische Liedgut hat einen betont rhythmischen Charakter und einen klaren inhaltlichen Schwerpunkt auf Lobpreis- und Anbetungsliedern. Die Melodien zeichnen sich durch leichte Singbarkeit und eine einfache Sprache aus.163

      Die CCN-Mitglieder und Sympathisanten treffen sich, je nach Zugehörigkeitsgrad, entweder täglich, wöchentlich oder monatlich zum gemeinsamen Gebet. Die Keimzelle von CCN war ein charismatischer Gebetskreis, und diese Art und Weise des Betens ist weiterhin lebendig. Nicht nur die internen Gebetsveranstaltungen sind vom charismatischen Geist durchdrungen. Auch bei Exerzitienkursen, Jugendfestivals und anderen pastoralen Veranstaltungen wird diese Art des Gebetes praktiziert. Michael Gmelch, der in Frankreich neue geistliche Gemeinschaften untersuchte, nahm unter anderem an Gebetsveranstaltungen von CCN teil. Er berichtet, jeder Teilnehmer steuere etwas zum Gebet bei, einen Psalmvers, eine persönliche Einsicht, ein belehrendes oder ein deutendes Wort. Er charakterisiert die Gebetsveranstaltungen mit den Begriffen „kommunikative Dichte und Dynamik“164 und beschreibt das Gebet als einen geistlichen Prozess, eine soziale Gotteserfahrung, die den Glauben aus einer falsch verstandenen Privatheit heraushebe. Gmelch weist darauf hin, dass in dieser Art des charismatischen Betens sowohl die großen Ereignisse der Welt als auch die Angelegenheiten des Alltags ihren Platz hätten. Gerade das Zeugnisgeben sei eine Art, das persönliche Leben ins Gebet zu bringen.165 Laurent Fabre führt aus, dass nur für einen außenstehenden Beobachter das charismatische Gebet spontan oder improvisiert erscheint, es jedoch in Wirklichkeit aus einer echten Verbundenheit und Harmonie unter den Betern erwächst. Er spricht von einer „charismatischen Disziplin“166 im Gebet und meint damit eine stringente Ordnung hinter der vordergründig wahrnehmbaren Ekstase und Spontaneität.

      2.1.4.3 Die außergewöhnlichen Gaben des Heiligen Geistes

      2.1.4.3.1 Die Glossolalie

      In den Gebetsversammlungen haben auch die außergewöhnlichen Gaben des Heiligen Geistes, die Glossolalie, die Prophetie und die Gabe der Heilung, ihren angestammten Platz.167 Alle drei Gaben werden bei CCN praktiziert.168 Fabre sieht den Ursprung der Gemeinschaft selbst durch diese Geschenke des Heiligen Geistes begründet,169 was die Ursprünglichkeit der charismatischen Komponente der Spiritualität unterstreicht. Die Gabe der Zungenrede ist für ihn die kleinste, aber klügste Gabe, weil sie für ihn ein Zeugnis der Einheit in Vielfalt darstellt.170 Eine Steigerungsform dazu stellt das Singen in Zungen dar. Die Form des gesungenen Sprachgebets wird in der Theologie als eine besondere Gattung der Glossolalie betrachtet.171

      In der theologischen Reflexion des Phänomens wird darauf verwiesen, dass die Glossolalie dem Menschen erlaubt, die nicht-rationale Seite seines Menschseins mit in den Glaubensvollzug einzubringen. In Erfahrungsberichten schildern Personen, die über die Fähigkeit der Zungenrede verfügen, sie würden Worte sprechen, die sie nicht verstehen, aber spüren, dass sie Gott damit aus der Tiefe ihres Herzens preisen.172 Eine psychologische Erklärungshypothese vermutet, die Zungenrede helfe dem stark verstandesmäßig orientierten Menschen der westlichen Gesellschaft, neue Potentiale an Kreativität und Spontaneität freizusetzen.173 Die Glossolalie wird damit auch als ein Protestphänomen gegen die prävalent rationale Kultur gesehen. Eine psychologische Erklärung betrachtet das Sprechen in Zungen als Ausdruck ungelöster seelischer Spannungen, die nicht unterdrückt werden und so heilsamen Zugang zum Unterbewusstsein ermöglichen können.174

      2.1.4.3.2 Die Gabe der Prophetie

      Eine weitere außergewöhnliche Gabe des Geistes stellt die Prophetie dar. Laurent Fabre erläutert, welche Bedeutung er dieser Gabe beimisst. Er betont, große und kleine Entscheidungen in der Gemeinschaft würden im Gebet getroffen. Die Prophetie sei dabei eine große Hilfe. Durch sie erhalte die Kommunität Orientierung bei der Entscheidungsfindung. Hier würden sich Leben und Gebet durchdringen.175 In charismatischen Kreisen unterscheidet man verschiedene Formen der Prophetie: Weissagungen, Mahnreden, prophetische Gebete, prophetische Lieder, Visionen und prophetische Taten. Die häufigsten Formen von Prophetie sind die Ermahnung, der Zuspruch, die Ermunterung und die Auferbauung.176 Das Spektrum der Prophetie umfasst, wie die Aufzählung zeigt, außeralltägliche Manifestationen, aber auch sehr gewöhnliche Ausdrucksformen menschlicher Kommunikation wie den Zuspruch oder die Ermahnung. Auch die Prophetie enthält besonders in den außergewöhnlichen Erscheinungsformen ein antirationalistisches Moment. Anhänger der charismatischen Erneuerungsbewegung gehen davon aus, dass Erkenntnis den Menschen nicht nur auf dem Weg des diskursiven Denkens zuteil wird, sondern auch auf dem Weg der inneren Schau und Intuition.177

      Im CCN-Glaubensalltag sind es häufig Bildworte, die als Prophetien betrachtet werden. Um den transzendentalen Ursprung dieser Eingebungen zu unterstreichen, heißt es in prophetischen Glaubenszeugnissen von CCN-Mitgliedern, diese Bibelworte seien ihnen „geschenkt worden“. Sie hätten die Worte „empfangen“ oder die Bibelstelle sei ihnen „eingegeben worden“.178 Mentale Bilder, die vor dem geistigen Auge des Beters entstehen, werden bei CCN als charismatische Prophetien betrachtet. Ein Bild von einem Baum, mit tiefen Wurzeln, weit ausladenden Äste und vielen Früchten, wird zum Hinweis auf eine tiefe Verwurzelung in der Kommunität und zugleich auf die Fruchtbarkeit der apostolischen Arbeit.179 Eine Vision von einem bunten Blumenstrauß in einer Vase wird als ein Aufruf verstanden, die Vielfalt und Vielstimmigkeit bei einer Tagung gelten zu lassen.180 Das biblische Bild vom wunderbaren Fischfang, das während eines Gebetes vor dem inneren Auge des Beters auftaucht, wird vom Beter interpretiert als Aufforderung, sich weiterhin in einer CCN-Unterorganisation einzubringen.181 Diese Art der inneren Schau oder Prophetie wird in CCN-Texten


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