Todwald. Günter Huth
bis jetzt noch nicht vor.«
Es dauerte einen Moment, ehe Johanna diese Information einigermaßen verdaut hatte. Schließlich ließ sie sich zur Seite sinken und lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. »Eberhard, bitte nimm mich in den Arm. Ich muss irgendwie die schlimmen Bilder von einer verstümmelten Leiche aus meinem Kopf kriegen.«
Eberhard Brunner ließ sich nicht zweimal bitten.
Dr. Karaokleos, der Rechtsmediziner, stand im Sektionssaal 2 des Würzburger Instituts für Rechtsmedizin. Fritz Schwarz, der Obduktionsassistent, hatte gerade den Torso der unbekannten Leiche aus dem Main mit einer Rollbahre aus der Kühlkammer geholt. Noch immer lag der Körper auf der Plastikplane. Schwarz stellte die Bahre neben den Sektionstisch, ging auf die andere Seite des Tisches und zog mit Schwung den Leichnam mitsamt der Plane auf die Edelstahlfläche des Tisches.
Schwarz, der absolut abgehärtet war, was Leichen in sämtlichen Verfallsstadien betraf, betrachtete einen Augenblick den gliederlosen Toten.
»Schon merkwürdig, wenn nur so ein zerstückelter Rumpf vor einem liegt.«
Dr. Karaokleos band gerade die Gummischürze zu, die bis hinunter zu seinen Knöcheln reichte. »Das stimmt«, gab er seinem Mitarbeiter recht. »Hoffen wir, dass wir ein paar brauchbare Hinweise finden, damit wir diesem Schlächter auf die Spur kommen.« Er griff nach ein paar Gummihandschuhen und streifte sie sich über. Schwarz kontrollierte zwischenzeitlich die bereitliegenden Skalpelle und Zangen sowie die Knochensäge. Dann schaltete er das Diktiergerät ein, das zwischen den beiden starken OP-Lampen über der Leiche hing. Bedient wurde es von Dr. Karaokleos mittels eines Fußschalters.
»Also, dann wollen wir mal«, erklärte der Rechtsmediziner und trat auf den Kontakt. Zunächst begann er mit der äußeren Besichtigung der Leiche. Er beschrieb ausführlich den Zustand der Haut nach mehrtägigem Aufenthalt im Wasser. Der Leib des Toten war durch die bei der Verwesung entstehenden Fäulnisgase stark aufgedunsen. Zentimeter für Zentimeter suchte der Mediziner den Körper nach irgendwelchen Auffälligkeiten oder Verletzungen ab.
Schließlich untersuchte Dr. Karaokleos die vier Stümpfe und die Schnittfläche am Hals und diktierte die Befunde. Schließlich gab er seinem Assistenten einen Wink.
»Herr Schwarz, bitte fotografieren Sie die Stümpfe möglichst detailliert. So wie es aussieht, war hier ein Fachmann am Werk. Bei den Schnitten wurden sehr scharfe Messer, möglicherweise sogar Skalpelle, benutzt und die Knochen wurden mit Hilfe einer Amputationssäge durchtrennt. Auch die Schnittführung folgt genau den Gelenken und wurde nicht willkürlich angesetzt.«
Schwarz zog seine Gummihandschuhe aus und holte die Kamera. Dabei fragte er: »Sie meinen, der Täter besitzt fachliche Kenntnisse?«
»Ich bin mir sicher, der Bursche hat jedenfalls anatomisches Wissen. Dadurch kommt natürlich trotzdem ein weiter Täterkreis in Frage.«
Nachdem Dr. Karaokleos die Besichtigung der Vorderseite des Torsos beendet hatte, drehten die beiden die Leiche auf den Bauch. Der Rechtsmediziner deutete mit dem Skalpell auf die Tätowierung. »Hiervon bitte ein paar Großaufnahmen!«
Schwarz beeilte sich, dem Wunsch nachzukommen.
Plötzlich stutzte der Rechtsmediziner und beugte sich über den Körper. Wortlos wies er mit der Skalpellspitze auf eine Stelle unterhalb des Ansatzes des letzten Rippenbogens. Schließlich erhob er sich wieder.
»Herr Schwarz, wir unterbrechen die Obduktion. Bitte rufen Sie Herrn Hauptkommissar Brunner an. Er soll sofort hierherkommen. Das sollte er gesehen haben.«
Der Sektionsassistent legte die Kamera zur Seite und eilte zum Telefon, das an der Wand befestigt war. Die Nummer der Mordkommission war gespeichert.
Eine halbe Stunde später betrat Brunner den Sektionssaal 2. Der Leichengeruch, der dem Kommissar entgegenschlug, war so abartig, dass er das Gefühl hatte, gegen eine Mauer zu laufen. Er verzog das Gesicht und kämpfte gegen einen Würgereflex. Brunner war zwar diesbezüglich einiges gewöhnt, sommerliche Wasserleichen übertrafen aber alles Übliche.
Als Dr. Karaokleos Brunners bleiches Gesicht sah, drehte er sich zu Schwarz um. »Herr Schwarz, bitte stellen Sie die Entlüftungsanlage höher, sonst kippt uns der Herr Kommissar noch aus den Schuhen.«
»Hallo Doc«, grüßte Brunner und schüttelte den Kopf, »ich kann einfach nicht verstehen, wie Sie das aushalten.«
Der Rechtsmediziner lachte leise. »Alles Gewohnheit. Dort drüben steht eine Dose mit Eukalyptussalbe. Schmieren Sie sich was unter die Nase.«
Brunner befolgte den Rat, dann stellte er sich neben den Mediziner. Der Anblick des Torsos beeinträchtigte ihn nicht. Da hatte er schon weitaus schlimmere Leichen gesehen.
»Herr Brunner«, begann Dr. Karaokleos und machte eine ausholende Handbewegung, die den gesamten, noch immer auf dem Bauch liegenden Torso einschloss, »was fällt Ihnen an dem Toten auf?«
Eberhard Brunner war klar, der Rechtsmediziner hatte ihn nicht umsonst hierhergebeten. Langsam scannte er mit den Augen die Körperoberfläche der Leiche. Die Tätowierung konnte es nicht sein, denn über die hatten sie schon am Fundort gesprochen. Plötzlich sah er es. Die kurze Wundnaht war wegen der schwärzlichen Haut nur schwer zu erkennen.
»Was hat das zu bedeuten?«
Dr. Karaokleos nahm ein Skalpell zur Hand. »Das werden wir gleich wissen.« Er setzte das scharfe Messer an und öffnete mit einem Schnitt die Naht, dabei vergrößerte er die Wunde so, dass man sie gut auseinanderziehen konnte. Anschließend gab er Schwarz ein Zeichen und der verstellte die beiden beweglichen OP-Lampen. Jetzt leuchteten sie direkt in die Öffnung. Der Rechtsmediziner griff mit den Fingern hinein und tastete mit angespannter Miene. Schließlich gab er ein zufriedenes Brummen von sich. »Dachte ich es mir doch.«
Eberhard Brunner sah ihn fragend an. »Was ist los?«
»Diesem Herrn wurde zu seinen Lebzeiten operativ eine Niere entfernt!«
Brunner wollte sich vergewissern. »Sie wollen sagen, ein Arzt hat ihm vor seinem Tod eine Niere entnommen?«
Dr. Karaokleos nickte zustimmend. »Ich muss das natürlich noch durch die Untersuchung der inneren Organe bestätigt finden, aber ich denke, da gibt es keinen Zweifel. Eine Entnahme post mortem würde keinen Sinn machen. Innerhalb kürzester Zeit wäre das Organ unbrauchbar. Man musste den Mann also bis zur Entnahme am Leben erhalten. Ob das Opfer bis zur späteren Enthauptung noch lebte, werden weitere Untersuchungen ergeben. Die Gliedmaßen wurden jedenfalls von einem Fachmann entfernt. So viel kann ich jetzt schon sagen.« Karaokleos machte eine Pause. »Das wollte ich Sie auf jeden Fall wissen lassen. Jetzt werde ich mit der Obduktion fortfahren. Sie können natürlich gerne dabeibleiben, wenn Sie Ihr Wissensdurst quält …«
Brunner winkte ab. »Vielen Dank, Doc, den Rest kann ich dann Ihrem Protokoll entnehmen. Er winkte Dr. Karaokleos und seinem Assistenten freundlich zu, dann verließ er zügig den Sektionssaal. Die reine Luft vor dem Institut für Rechtsmedizin empfand er wie einen erfrischenden Trunk. Während der Fahrt ins Büro dachte er darüber nach, was die soeben gewonnene Erkenntnis für seine Ermittlungsarbeit bedeutete.
Zwei Tage später, am frühen Nachmittag, saß Kerner an seinem Schreibtisch und diktierte gerade einige Briefe. Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er das Klopfen fast überhört hätte.
Auf sein »Herein« streckte seine Sekretärin den Kopf durch die Tür. »Herr Kerner, hier ist Frau Rechtsanwältin Helsing-Wiesmann. Sie hätte sie