Todwald. Günter Huth

Todwald - Günter Huth


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Gesträuch ein, hinter dem der blaue Müllsack lag. Wenig später wurde seine Vermutung bestätigt. Im Uferbewuchs steckte ein großer Müllsack fest, der leicht vom Wasser umspült wurde. Wie vermutet, waren die Ratten bereits aktiv gewesen und hatten Löcher in die Folie gefressen. Eine schwache Brise wehte auf den Angler zu und er verzog angeekelt das Gesicht. Es stank massiv nach Fäulnis und Verwesung. Wie es aussah, hatte hier jemand einen Tierkadaver entsorgt. Von Neugierde geplagt, griff Mark sich einen längeren trockenen Ast vom Boden und stocherte in einem der Löcher herum, dabei riss die Folie weiter auf. Plötzlich erstarrte der Mann und die Augen quollen ihm vor Schreck fast aus den Höhlen.

      »Oh mein Gott!«, stöhnte er, ließ den Ast fallen, drehte sich um, stützte sich an einem schief gewachsenen Weidenstamm ab und erbrach würgend sein Frühstück in den Ufersand. Keuchend kam er wieder zu Atem. Das Bild eines von Ratten angefressenen männlichen Geschlechtsteils, das er durch das Loch im Plastiksack erkannt hatte, war ihm ins Gehirn eingebrannt. Er wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn und wankte zu seinem Angelplatz. Er kramte nach seinem Handy und tippte mit zitternden Fingern die Notrufnummer ein. Es dauerte einige Zeit, bis er dem Koordinator in der Einsatzzentrale den Grund seines Anrufs erklärt hatte. Der Mann bat ihn, bis zum Eintreffen der Polizei vor Ort zu bleiben. Vollkommen geschockt ließ sich Mark T. auf seinen Hocker sinken. Ihm war immer noch speiübel. Langsam trank er einen Schluck des mittlerweile erkalteten Kaffees. Jetzt erst stellte er fest, dass der Schwimmer an der einen Angel völlig untergetaucht und die Angelschnur straff gespannt war. Offenbar hatte ein Fisch angebissen. Wie in Trance beugte er sich nach vorne und holte die Angel ein. Zappelnd kämpfte ein großer Karpfen gegen den Widerhaken, der sich durch seine Oberlippe gebohrt hatte. Mit routinierten Bewegungen löste der Angler den Fisch vom Haken und entließ ihn wieder in den Fluss. Seine Lust auf Beute war ihm gründlich vergangen. Eilig verschwand der Fisch in der Tiefe seines Elements. Mark T. sah ihm nach. Hier an dieser Stelle würde er sicher nie mehr seine Rute auswerfen.

      Vierzig Minuten später sah der vormals so ruhige Angelplatz von Mark T. ganz anders aus. Überall standen Einsatzfahrzeuge und der Fundplatz war von der Feuerwehr vorsichtig von Gesträuch befreit worden, damit die Kriminalpolizei sowie die Spurensicherer an den angeschwemmten Plastiksack herantreten konnten, ohne eventuelle Spuren zu zerstören.

      Erster Kriminalhauptkommissar Eberhard Brunner, Leiter des Kommissariats 1 der Mordkommission Würzburg, stand mit blauen Überziehern an den Schuhen und Gummihandschuhen an der Fundstelle. Die Feuerwehrleute hatten, nachdem die Spurensicherer die Auffindesituation mehrfach fotografiert und die Umgebung nach Spuren abgesucht hatten, den Plastiksack vorsichtig aus dem Unterholz befreit und auf eine große Plastikfolie gezogen. Der Gestank, der dem Sack entwich, war unbeschreiblich. Etwas Entlastung brachte die Eukalyptussalbe, die sich die Ermittler unter die Nase geschmiert hatten.

      Dr. Samuel Karaokleos, der Rechtsmediziner, schien allerdings gegen diese Ausdünstung des Todes völlig gefeit zu sein. Ebenfalls mit Schuhüberziehern und Gummihandschuhen ausgerüstet, stand er nachdenklich neben dem Sack und wartete, bis der Polizeifotograf mit einem Nicken sein Einverständnis zur Weiterarbeit gab.

      Zu Brunner gewandt meinte Dr. Karaokleos: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich in diesem Plastiksack eine vollständige Leiche befindet. Dafür ist er zu klein.« Er beugte sich mit einem Skalpell in der Hand über den Sack. »Na, dann wollen wir mal sehen, was wir hier Schönes haben.«

      Brunner verzog das Gesicht. Der Mann hatte wirklich ein Gemüt wie ein Fleischerhund. Mit einem einzigen fließenden Schnitt schlitzte der Rechtsmediziner den Plastiksack in seiner ganzen Länge auf und klappte die Folie zur Seite. Der Gestank war einfach unbeschreiblich.

      »Dachte ich es mir doch«, stellte Dr. Karaokleos zufrieden fest, »ein klassischer Torso!«

      Tatsächlich fehlten dem zum Vorschein gekommenen Körper alle Extremitäten und der Kopf.

      »Eindeutig männlich, auch wenn die Ratten sich schon bedient haben.« Der Mediziner betastete die durch die Verwesung bereits schwärzlich verfärbte Haut der entstellten Leiche, die sich bei der Berührung leicht löste.

      »Eine typische Waschhaut, was dafür spricht, dass er schon einige Zeit im Wasser liegt. Auch der Leib ist entsprechend aufgedunsen. Die Gase haben ihn an die Wasseroberfläche getrieben.«

      Karaokleos hob den Torso im Gesäßbereich leicht an. »Sehen Sie hier.« Er deutete auf eine kleine Tätowierung auf der einen Gesäßhälfte, die wegen der farblichen Hautveränderungen allerdings nur schwer zu erkennen war. »Sieht wie zwei ineinander verschlungene Ringe aus. Das hilft Ihnen vielleicht bei der Identifizierung des Toten. Ich werde bei der Leichenöffnung auf jeden Fall detaillierte Fotos hiervon anfertigen lassen.«

      Brunner bedankte sich. »Können Sie etwas zum Todeszeitpunkt sagen?«

      Karaokleos erhob sich. »Das ist schwer zu sagen. Bei den relativ hohen Wassertemperaturen würde ich meinen, vier bis sechs Tage. Nach der Obduktion kann ich sicher Genaueres sagen.« Er zog seine Gummihandschuhe aus und warf sie auf die Plastikfolie. »Lassen Sie den Torso bitte in dem Plastiksack transportieren, damit keine Spuren verloren gehen. Außerdem würde ich das Ufer absuchen lassen. Womöglich wurden die fehlenden Körperteile irgendwo anders angetrieben.« Er musterte die Schnittstellen der abgetrennten Gliedmaßen am Körper. »Hier war kein Stümper am Werk. So wie der Täter Arme und Beine abgetrennt hat, verfügt er zumindest über gewisse anatomische Grundkenntnisse.«

      Der Leiter der Mordkommission sah den Rechtsmediziner fragend an. »Woraus schließen Sie das?«

      »Nun, hier hat einer nicht wild gewütet. Die Schnitte sind an der richtigen Stelle gesetzt und die Knochen wurden, wie es scheint, mit einer medizinischen Säge durchtrennt. Das sieht man sehr gut an der Schnittstelle. Die Zahnung ist deutlich feiner als bei einer normalen Fleischsäge. – Aber wie gesagt, bei der Obduktion kann ich das besser beurteilen. Für mich steht auf jeden Fall fest, dass der Täter in Ruhe arbeiten konnte. Die Glieder wurden sicher nicht hier am Main abgetrennt.«

      Brunner bedankte sich für den Hinweis, dann winkte er die beiden Männer heran, die in einiger Entfernung an einem Leichenwagen warteten. Sie luden den Torso vorsichtig mitsamt der Folie in einen Kunststoffsarg. Fünf Minuten später war der Wagen in Richtung Würzburg zum Rechtsmedizinischen Institut unterwegs. Dr. Karaokleos beeilte sich, hinterherzukommen, damit er das Ausladen der Leiche überwachen konnte.

      »Wenn Sie die fehlenden Gliedmaßen finden, lassen Sie es mich wissen«, rief er dem Kriminalbeamten noch zu, dann schwang er sich hinter das Steuer seines Fahrzeugs und gab Gas. Er pfiff leise vor sich hin. Das schien ein interessanter Fall zu werden. Er liebte seinen Beruf.

      Brunner griff zum Mobiltelefon und forderte zusätzliche Einsatzkräfte und Leichenhunde an, da das Mainufer oberund unterhalb der Fundstelle abgesucht werden musste. Er ahnte, hier stand ihm ein schwieriger Fall ins Haus.

      Die angeforderten Einheiten waren eineinhalb Stunden später vor Ort. Brunner wies die Beamten ein, dann schwärmten sie aus. Es dauerte keine halbe Stunde, dann kam die erste Fundmeldung herein. Mainaufwärts hatte der Leichenhund angeschlagen und die Beamten fanden eine weitere Plastiktüte im Gestrüpp, vielleicht zweihundert Meter vom ursprünglichen Fund entfernt. Darin befanden sich zwei Beine und zwei Arme. Sosehr sich der Suchtrupp aber auch abmühte, der Kopf blieb unauffindbar.

      Brunner forderte einen weiteren Leichenwagen an und ließ die abgetrennten Gliedmaßen in die Rechtsmedizin schaffen. Jetzt war es die Sache von Dr. Karaokleos, die abgetrennten Teile wieder so zusammenzusetzen, dass man die Identität des Toten feststellen konnte.

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      Der Himmel der Lust lag am Rande von Aschaffenburg in einem Industriegebiet und war ein über die Grenzen der Stadt hinaus bekanntes Etablissement für käufliche Liebe aller Art. Gäste dieses Tempels der körperlichen Freuden kamen aus den angrenzenden Landkreisen, aber auch aus dem Nachbarbundesland Hessen, insbesondere auch aus der Finanzmetropole


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