Im Fahr. Susann Bosshard-Kälin

Im Fahr - Susann Bosshard-Kälin


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halb fünf Uhr machte mir zu schaffen. Wie ein Fest kam es mir vor, wenn wir am Sonntag erst um halb sechs Uhr geweckt wurden. Ich gewöhnte mich an den regelmässigen Wechsel von Arbeit, Gebet und Erholung – und heute schätze ich ihn. Wir arbeiten nie mehr als zwei Stunden am Stück, beten aber auch nicht während Stunden ohne Unterbruch. Der Rhythmus schont die Kräfte. Von allem etwas, aber von nichts zu viel.

      An meiner Einfachen → Profess am 28. Juli 1959 bekam ich den Namen Fidelis. Ich hatte mir verschiedene Namen vorgestellt, Priska, Katharina oder Adelheid. Priska sei ein Modename, und Katharina und Adelheid – na ja! Die frühere Schwester Fidelis, 1943 gestorben, sei eine Fröhliche gewesen und gläubig. Weshalb also nicht wieder eine Schwester Fidelis?

      Die Freiheit, meine geistige Freiheit, gab ich im Kloster nie auf. Ich blieb mir selbst treu, vielleicht zu sehr, denke ich manchmal. Ich liess mir nichts aufzwingen, so will ich es formulieren. Geschieht etwas, was ich annehmen muss, dann tue ich es und habe damit keine Schwierigkeiten. Mit Veränderungen in unserem Alltag habe ich manchmal Mühe und denke, ich hätte vielleicht anders entschieden. Aber ich muss es ja nicht verantworten. Das gibt Freiheit. So gesehen bin ich verwöhnt. Äusserliche Freiheiten bedeuteten mir nie viel. Ich musste schon daheim gehorchen und auf andere Rücksicht nehmen. Und ich erfahre ja auch Freiheiten seit ein paar Jahren. Wir können jedes Jahr zwei Wochen in die Ferien fahren, dürfen den Termin, den Ort und die Begleitung auswählen und erhalten hundert Franken Feriengeld zur Pension dazu.

      An meinem 29. Geburtstag, am 27. August 1962, wurde ich für immer in die Gemeinschaft aufgenommen. Ich war angekommen!

      Die Glaubenszweifel kamen erst später. Ich kann mir das gut erklären. Erst wenn man so intensiv im Glauben lebt, wenn man Zeit findet, sich darüber Gedanken zu machen, kommen sie. Ich empfand sie aber nie als negativ, im Gegenteil. Vor meinem Klostereintritt hatte ich wohl eher einen Kinderglauben, eingeimpft mit der Erziehung. Es waren nicht Zweifel an der Berufung für das Kloster, sondern am Glauben selbst. Ich fragte mich ernsthaft: Gibt es Gott überhaupt? Durch diesen Prozess muss vermutlich jede Klosterfrau gehen. Ich versuchte, möglichst wenig darüber zu reden, ab und zu die Augen zu schliessen und zu hoffen, es komme wieder besser. Diese Phasen erlebte ich immer mal wieder. Erst jetzt im Alter sind sie weniger geworden. Nach jedem dieser «Abstürze», am Tiefpunkt, konnte in mir drin wieder etwas wachsen. Ich denke, ohne dieses Ringen wäre mein Glaube an der Oberfläche geblieben. Verdrängung und Resignation scheinen mir schlimmer zu sein. Glaube bedeutet für mich zu wissen, dass ich von Gott geliebt bin.

      Während vieler Jahre arbeitete ich im Klosteratelier, wo kirchliche Textilien für Pfarreien, die → Paramente, gefertigt werden. Neben dem Weben von Stoffen in Seide, Wolle und Leinen gehörte das Zuschneiden und Nähen von Gewändern dazu. 1966 wurde es fast von einem Tag auf den anderen sehr streng. Schwester Paula, die die Paramentenwerkstatt aufgebaut und jahrelang geleitet hatte, trat aus dem Kloster aus. Wir übrig gebliebene Schwestern hatten zu schauen, dass der Betrieb weiterlief. Unverhofft übergab man mir immer mehr Leitungsaufgaben. Ich wurde verantwortlich für den Materialeinkauf, die Verkaufsstrategie, die Verhandlungen mit den Pfarrherren. Waren das Lektionen für später?

      Im April 1988 starb die langjährige Vorsteherin unserer Gemeinschaft, Schwester Raphaela Rast, im Alter von nur 61 Jahren. Ein Schock für uns alle. Ich war mittlerweile 55 Jahre alt. Und ich erinnerte mich, wie ich vor der Einfachen Profess verkündet hatte, nur ins Kloster eintreten zu wollen, wenn ich nie Priorin werden müsse.

      Gehorsam hat Priorität! Die geheime Wahl fiel auf mich. Ich wurde Priorin des Klosters Fahr. Tags zuvor war ich noch eine der dreissig Schwestern, und plötzlich trug ich als deren Vorsteherin eine grosse Verantwortung, ohne Vorbereitung und Ausbildung. Das ist im Kloster so. Aber auch damals erlebte ich, wie so oft, eine Kraft, die mir geschenkt wurde. Ich blieb erstaunlich ruhig.

      Nun kamen alle Anliegen von aussen an mich heran, auch die Fragen der Schwestern. Es galt etwa, Arbeitseinsätze neu zu regeln, wenn jemand ausfiel. Vieles läuft im Priorat zusammen, die ganze Organisation des Klosteralltags. Und bei Problemen mit Angestellten oder in der Schwesterngemeinschaft war ich natürlich die Anlaufstelle. Ich darf sagen, dass ich immer viel Hilfe von meinen Mitschwestern erfuhr. Aber die Verantwortung lag letztendlich bei mir.

      Der Stress kam dann später, als junge Frauen im → Noviziat grosse Schwierigkeiten hatten und ich als Vermittlerin und Verantwortliche gegen innen und aussen nach Lösungen suchen und Kompromisse finden musste. Das war eine belastende Situation, die mich viel Energie kostete. Da waren zwei intelligente Frauen, die sich nicht in unsere Gemeinschaft einfügen konnten. Eine musste ich schliesslich wegschicken, der anderen gaben wir eine zweite Chance. Aber schliesslich trat auch sie aus. In dieser Angelegenheit hatte ich von der Gemeinschaft wenig Rückhalt, was meine Entscheidungen betraf. Das konnte ich auch nicht erwarten, hatten die Schwestern doch kaum Hintergrundinformationen. Die Geschehnisse zehrten an meiner Gesundheit. Die Belastung wurde so gross, dass eine aggressive und sehr schmerzhafte Polyarthritis ausbrach. Sie hatte wohl in mir geschlummert. Ich litt. Nur dank starker Spritzen, die gut wirkten, und Medikamenten, die ich vertrug und heute noch wöchentlich zu mir nehme, bin ich schmerzfrei. Gott sei Dank!

      Vieles bleibt in Erinnerung von meinen 15 Jahren als Priorin, zum Beispiel der Brand unserer Scheune 1989. Ein Pyromane hatte in der frühen Morgenstunde des 3. April im Stall Feuer gelegt. Das Gebäude brannte bis auf die Grundmauern nieder. Glücklicherweise kamen weder Mensch noch Tier zu Schaden. Danach gab es unendlich viel zu tun. Für die Ökonomieverwaltung war damals noch der → Propst zuständig. Das hatte sehr viele Vor-, aber auch Nachteile. So konnte ich als Priorin nicht mitentscheiden und eingreifen, als kein moderner Laufstall erstellt, sondern die neue Scheune samt Miststock an gleicher Stelle, viel zu nahe beim Restaurant, aufgebaut wurde. Einfältige Entscheide, meiner Meinung nach!

      Die Kirchenrenovierung und der Einbau eines Lifts im Kloster erfolgten ebenfalls während meiner Amtszeit. Schwester Irene war damals Leiterin der Bäuerinnenschule und für mich eine wertvolle Stütze. Ich war dankbar, mit dem Schulbetrieb wenig zu tun zu haben. Grosse Erfolge konnte ich während meiner Amtszeit nicht vorweisen. Ich leitete die Gemeinschaft, so gut ich es konnte. Und ich spürte: Ich muss diese Aufgabe nicht allein tragen, die Gemeinschaft steht hinter mir, und Gott trägt mich. Natürlich sind Fehler geschehen, aber ich glaube, keine gravierenden.

      Mit dem Einsiedler Abt kam ich gut aus. Er mischte sich in all den Jahren nie ein, beriet mich aber klug, wenn ich ihn fragte. In einer Abstimmung in den Siebzigerjahren hatten wir übrigens die Möglichkeit zu entscheiden, ob wir uns vom Kloster Einsiedeln trennen wollten. Das Resultat war ein Nein. Ich bin froh darüber. Wir sind doch seit Jahrhunderten mit Einsiedeln verbunden. Ohne den Rückhalt der dortigen Mönchsgemeinschaft über all die Zeit würden wir heute wohl kaum mehr existieren. Nach der Reformation und dann nach der Klosteraufhebung hätten wir ohne die Unterstützung Einsiedelns nicht neu anfangen können. Es galt allerdings immer wieder Wege zu finden, sich zu verstehen. Und als Fahrer Klostergemeinschaft ein Stück weit unabhängig zu bleiben.

      Und heute: Es muss etwas geschehen in der katholischen Kirche. Die Männer fürchten grosse Veränderungen, die auch Unsicherheiten mit sich bringen würden. Der Vatikan ist das Problem – und seine verhärteten Strukturen. Sind in Rom weiterhin Leute, die man andernorts nicht brauchen kann, kommt kein Leben in einen Veränderungsprozess.

      Das Thema der Frauen in der Kirche bewegt mich. Die Männer hocken auf ihren Privilegien. Einige sehen, dass man Lösungen finden muss, andere pochen – bewusst oder unbewusst – auf ihre vermeintlichen Rechte. Sie meinen, sie allein seien Kirche, und die Frauen dürften mitlaufen. Die Kirche würde anders aussehen, hätten Frauen gleich viel Macht und Möglichkeiten. Die Seelsorge, die Liturgie wären anders, die Mitmenschlichkeit auch. Die Männer denken, die Macht gehöre ihnen. Das war aber nicht immer so. In den ersten Jahrhunderten des Christentums hatten die Frauen durchaus ihren Platz. Man müsste zu den Wurzeln der Urkirche zurück. Waren nicht die Frauen bei Jesus am Kreuz, waren nicht sie die Ersten an seinem leeren Grab?

      Seit 14 Jahren bin ich wieder Schwester Fidelis und nicht mehr die Mutter Priorin. Ich durfte mein Amt abgeben. Obwohl ich noch für sechs weitere Jahre gewählt war. Ich bat den damaligen Abt kurz vor meinem siebzigsten Geburtstag, zurücktreten zu dürfen. Er lehnte ab. Erst sein Nachfolger, Abt Martin Werlen, gewährte mir


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