Im Fahr. Susann Bosshard-Kälin
Gassmann zur neuen Priorin gewählt. Aber erst im September trat sie ihre neue Funktion an. Als Leiterin der Bäuerinnenschule wollte sie den laufenden Ausbildungsgang zu Ende begleiten. Das kam uns beiden zugute, hatten wir doch Zeit, die Amtsübergabe in Ruhe zu planen, zu besprechen und zu organisieren.
Ins Glied zurückzutreten, fiel mir nicht schwer. Im Gegenteil, es war sehr entlastend, die Verantwortung in andere, jüngere Hände abgeben zu dürfen. Natürlich ist es ein grosser Unterschied, ob jemand abgesetzt beziehungsweise nicht mehr gewählt wird oder ob man freiwillig abgeben darf. Seither halte ich mich bewusst zurück, mische mich fast nie ein. Ich schätze sehr, wie Priorin Irene unsere Gemeinschaft führt.
Ich weiss nicht, wohin wir als Gemeinschaft gehen werden. Aber wir haben nicht das Recht aufzuhören, zu resignieren. Auf keinen Fall. Aus der Tradition heraus haben wir eine Verpflichtung. Es ist bedeutend für die Stadt Zürich und das Limmattal, dass hier seit Jahrhunderten ein katholisches Kloster steht, wo Frauen leben, die an Gott glauben und die beten. Einen solchen Ort muss es auch in Zukunft geben. Das weiss der Herrgott. Wir renovieren doch nicht, damit wir ein Altersheim werden! Etwas wird passieren. Ich glaube, wir müssen das einfach gelassener sehen.
Eintritt ins Kloster Fahr: 20. Oktober 1957
Einfache Profess: 28. Juli 1959
Feierliche Profess: 27. August 1962
Schwester Beatrice
«Wer wird einmal das Kloster übernehmen? Den Ruf des Herrn hören nur wenige in dieser lauten Welt.»
geboren am 17. Dezember 1947 als Beatrix Agnes Beerli aus Steckborn (TG)
Das Klosterareal mit den grossen Gärten ist weitläufig. So ist Schwester Beatrice oft mit dem Fahrrad unterwegs. Sie sorgt für die kleine Schafherde.
Bei der Weinlese und im Klostergarten vor der Pforte. Hier hat sie die Schülerinnen der Bäuerinnenschule in Gartenpflege ausgebildet. Sie kennt sich hervorragend aus mit Heilkräutern, Gemüse und Blumen.
Der Garten ist mein Paradies. Da spüre ich Luft, Atem und Wind – Zeichen des Heiligen Geists. Der ist mir seit 48 Jahren ein wichtiger Begleiter im Klosterleben. Wo ist er, frage ich mich, wenn es stürmt und ich im Propsteigarten den Boden lockere?
Zusammen mit Schwester Christa bin ich für unsere Klostergärten verantwortlich. Schwester Christa besorgt die Blumen, ich vor allem das Gemüse. Wir sind beide siebzig, nicht mehr die Jüngsten. Glücklicherweise packt Schwester Monika mit an, und dazu immer wieder Frauen von aussen, die tage- oder auch wochenweise Praktika bei uns im Garten und in den Reben machen. Diese externe Hilfe ist grossartig. Dennoch plagt mich ab und zu der Gedanke: Wer übernimmt, wenn wir nicht mehr können? Unsere Gärten sind seit Jahrhunderten wichtiger Bestandteil des Klosters, sie haben auch schon Anerkennungspreise erhalten. Aber sie sind aufwendig zu pflegen. Ich überlege mir, was ich tun werde, wenn ich aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr im Garten sein kann. Im Haus wäre es mir vermutlich langweilig und in der Küche zu streng. Dann verscheuche ich diese pessimistischen Gedanken schnell wieder und erfreue mich am Jetzt. Der Garten ist Medizin für mich. Ich habe grosse Freiheiten, niemand sagt mir: Das darfst du oder das darfst du nicht. Hier kann ich arbeiten, beten und meditieren.
Ich bin jeden Tag draussen. Auch im Winter, wegen des Nüsslisalats im Tunnel und meiner neun Schafe. Nie hätte ich es mir erträumt, mal Schafe zu pflegen – als Klosterfrau! Wir brauchten «biologische Rasenmäher», da der Garten mit fünfzig Aren zu gross wurde. Wo früher Stangenbohnen, Zwiebeln und Kohl in grossen Mengen wuchsen, säten wir Wiese. Dort weiden nun seit 1998 Schafe. Mir wurden sie anvertraut. Heute habe ich eine kleine Herde. Sie sind meine Freundinnen. Wenn ich «Lump!» rufe, strecken alle neun Tiere ihren Kopf, kommen zu mir und wollen gestreichelt werden. Im Sommer leben sie im Freilaufstall im Garten. Wenn ich abends den Zaun kontrolliere, spazieren sie mit. Sie wissen, ich habe immer ein Stückchen Brot im Sack oder einen Apfel. Solange der Wolf nicht kommt, bin ich zufrieden. Im Winter sind meine Tiere im Klosterstall, neben den Kühen, Säuen und Kaninchen. Bei gutem Wetter dürfen sie auf die Wiesen rund ums Kloster. Tiere gehören einfach ins Fahr, und die kleinen und grossen Besucher haben grosse Freude an ihnen. Das höre ich immer wieder.
Mein Gartenjahr hat über 300 Tage. Im Dezember und Januar ists etwas ruhiger, dann habe ich Zeit für die Sommerplanung und Samenbestellungen. Aber ab Februar geht es im Treibhaus schon wieder los mit Aussäen und Setzen. Dabei richte ich mich nach den Mondphasen, und selbstverständlich kombiniere ich nützliche Mikroorganismen. Wir gärtnern biologisch und in Mischkulturen. Die Beeren, Salate, Gemüse und auch die Kräuter sind fürs Restaurant und für uns. Den Blumenkohl setze ich im Propsteigarten zwischen Ringel- und Sonnenblumen sowie Salvia. Bohnen, Sellerie und Randen wachsen nebeneinander, ebenso Karotten, Zwiebeln und Lauch. Es darf im Beet ungeniert turbulent und bunt sein, Wirrwarr tut den Pflanzen gut. Gegen vieles ist ein Kraut gewachsen, davon bin ich überzeugt. Mein liebstes ist Rosmarin. Auf der grossen Kräuterspirale wachsen ausserdem Dill, Minze, Liebstöckel, Fenchel, Malve, Petersilie, Schnittlauch, Eisenkraut, Kapuziner und Ringelblumen, Thymian und Majoran, ungefähr zwanzig verschiedene Kräuter. Von Mai bis Oktober biete ich Gartenführungen für Interessierte an. «Hereinspaziert in den Fahrer Klostergarten», heisst es dann, und es darf an den Pflanzen gerochen oder ein Kraut probiert werden. Die Leute mögen diese begleiteten Führungen und lassen sich inspirieren. Das Tor zum Propsteigarten steht immer offen. Das ist mir wichtig. Menschen sollen dort Kraft schöpfen dürfen. Ist es nicht eine Armut, wenn Eltern mit ihren Kindern nur noch im Grossverteiler einkaufen und die Kleinen keine Ahnung mehr haben, wie und wo etwas wächst?
Mein Klosteralltag ist dicht und vielfältig. Ich stehe um fünf Uhr auf. Zwanzig Minuten später bete und singe ich mit der Gemeinschaft das erste → Chorgebet in der Klosterkirche. Der Rhythmus von Arbeit und Gebet – Ora et labora – gefällt mir, und er hält mich gesund. Mit dem Älterwerden schätze ich diesen Rhythmus immer mehr. Ich bin ja in erster Linie Benediktinerin und nicht Klostergärtnerin.
Die Arbeitszeiten sind jeweils kurz, ich muss speditiv sein und gut planen. Vier-, fünfmal täglich von draussen ins Kloster und zurück, nicht selten verschwitzt, regennass und dreckig, dann Händewaschen und Tenuewechsel – das ist nicht ohne! Aber ich habe gelernt, fix und flexibel zu sein. Neben dem Klosteralltag gibt mir die Natur den Fahrplan vor, und ich muss mich nach ihr richten. Wenn für den nächsten Tag Regen angesagt ist, gilts noch, vorher den Boden zu lockern. Wenn Setzlinge pikiert werden müssen, dann kann man damit nicht ewig warten, und bei Sommerhitze muss entsprechend oft und gezielt gewässert werden. Um Viertel vor neun Uhr bin ich im Garten, und schon zwei Stunden später heisst es, alles Werkzeug aus der Hand legen, husch, husch, Hände waschen und umziehen fürs Mittagsgebet und das Mittagessen, hopp! Meist bin ich nach ein Uhr wieder draussen, bis kurz vor drei. Und nach dem Zvieri und der geistlichen Lesung ab vier bis zur → Vesper um Viertel vor sechs. Nach der → Komplet um acht gehe ich oft ein letztes Mal in den Garten und schaue zu den Schafen. Wir Schwestern sind wohl alle fleissig und können die Ärmel hochkrempeln – damals wie heute. Wir kommen aus ähnlichen familiären Verhältnissen und sind das Werken gewohnt. Arbeit ist doch auch eine Art Gottesdienst, nicht?
Ich mag es, Neues auszuprobieren. So ging ich auf eine Anfrage ein und betreibe nun in Uitikon zweimal im Jahr einen kleinen Marktstand. Dort verkaufe ich im Frühling meine Setzlinge und eigens gemachtes Kräutersalz, im Herbst Gemüse und meine Wallwurzsalbe. Die Döschen sind jeweils im Nu weg.
Mir ist nie etwas zu viel. Diese Haltung lernte ich schon daheim. Wir waren eine fleissige und sozial denkende Familie, hatten immer ein offenes Haus und oft Gäste mit am Tisch. Am 17. Dezember 1947 kam ich in Hörhausen, auf dem Seerücken im Thurgau, zur Welt.