Krafttraining - Die 100 Prinzipien. Jan Pauls

Krafttraining - Die 100 Prinzipien - Jan Pauls


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Muskeln haben ein annähernd ausgewogenes Verhältnis von roten zu weißen Fasern, andere zeigen ein Überwiegen eines bestimmten Fasertyps. Extreme Verhältnisse können 90:10 betragen, d. h. 90 % der Gesamt fasern gehören zu Typ I oder Typ II. Die Faserverteilung ist genetisch festgelegt. Ein hoher Anteil weißer Muskelfasern ist sehr günstig für Schnellkraftsportler, z. B. Springer, Gewichtheber oder Kugelstoßer. Ein hoher Anteil roter Fasern begünstigt Ausdauerleistungen, z. B. Marathon, Triathlon oder Skilanglauf. Durch sportliches Training ist es möglich, Muskelfasern in ihren Nachbartypus umzuwandeln, insbesondere Typ-IIx in Typ-IIa. Eine Erhöhung des Anteils an Typ-II-Fasern ist nach heutigem Kenntnisstand durch Training nicht zu erreichen. Lediglich eine völlige Ruhigstellung, z. B. im Gipsverband, kann vorübergehend eine Fasertransformation in Richtung des schnell zuckenden, weißen Typus erzeugen. Wird die ruhig gestellte Muskulatur dann wieder ihren gewohnten Belastungen ausgesetzt, findet eine Re-Transformation in den langsameren Fasertyp statt.

      Daher brauchen insbesondere Schnellkraftsportler eine gute Veranlagung in Form eines genetisch bedingten hohen Anteils an weißen Muskelfasern in ihrer leistungsbestimmenden Muskulatur. Beim Bodybuilding hingegen scheint die anlagebedingte Faserverteilung keine so bedeutende Rolle zu spielen wie z. B. im Gewichtheben, da bei erfolgreichen Bodybuildern z. T. sehr hohe Anteile roter Muskelfasern gefunden wurden. Für das Training der weißen Muskelfasern müssen hohe Lasten bewegt werden oder mittlere Lasten mit explosiven Krafteinsätzen, da ihre Rekrutierungsschwelle hoch ist. Für das Training roter Muskelfasern, die eine niedrige Rekrutierungsschwelle haben, ist die Kontraktionsdauer der entscheidende Faktor.

      Somit gibt es keine ideale Trainingsintensität, um das gesamte Faserspektrum intensiv zu trainieren. Vielmehr muss eine Methodenkombination angewendet werden, um sowohl die roten wie die weißen Fasern zu einem Muskel- und Leistungszuwachs zu zwingen. Um zumindest möglichst viele Fasern in die Belastung einzubeziehen, muss das Trainingsgewicht mindestens 80–85 % der Maximalkraft betragen. Wird die Serie bis zur Erschöpfung trainiert und nachfolgend das Gewicht reduziert, um durch weitere Wiederholungen auch die roten Fasern zu ermüden, dürfte eine breite Wirkung zu erwarten sein.

      Neben den genannten Fasertypen I, IIa und IIx gibt es noch den Typ IIc. Dieser Mischtyp ist vermutlich in einem Wandlungsprozess begriffen und spricht für die Anpassungsfähigkeit des Typenspektrums. Beim normalen Erwachsenen beträgt der Anteil dieser Fasern nur etwa zwei Prozent.

      VERWEISE:

      

Schnelligkeit (14)

      

Bewegungstempo (58)

      

Schnellkraft (27)

      

Rekrutierung (21)

      

Wiederholungszahl und Intensität (18)

21Rekrutierung
Die Rekrutierung motorischer Einheiten folgt dem Größenordnungsprinzip

      Das Nervensystem kann nicht jede einzelne Muskelfaser getrennt aktivieren. Vielmehr versorgt ein motorischer Nerv eine große Anzahl von Muskelfasern. Wenn dieser Nerv den Befehl zur Anspannung übermittelt, kontrahieren alle angeschlossenen Muskelfasern. Dieses funktionelle System eines motorischen Nervs und »seiner« Muskelfasern nennt man eine motorische Einheit (im folgenden ME genannt). Die Einbeziehung einer ME in den Kontraktionsvorgang heißt Rekrutierung. ME bestehen immer aus dem gleichen Fasertyp, d. h. entweder aus roten, langsamen Typ-I-Fasern oder aus weißen, schnell zuckenden Typ-IIFasern. Die Einheiten vom Typ-I sind kleiner als die vom Typ-II, d. h. sie besitzen weniger Muskelfasern. Kleine ME werden insbesondere für die Feinsteuerung von Bewegungen eingesetzt, während bei großräumigen, kraftvollen Muskeleinsätzen die großen ME zugeschaltet werden müssen. Wenn ein Muskel sich langsam mit immer stärkerer Kraft anspannt, werden zunächst die kleinen Typ-I-Einheiten aktiviert. Mit zunehmender Kontraktionsstärke folgen die größeren Typ-I-Einheiten, dann die kleineren Typ-II-Einheiten, und schließlich die größten ME (ebenfalls Typ-II) mit ihrem sehr hohen Faser- und Kraftpotential. Da diese Reihenfolge der Faseraktivierung von dem amerikanischen Neurophysiologen Elwood Henneman 1965 ausführlich beschrieben wurde, nennt man dieses Phänomen auch das Henneman’sche Rekrutierungsprinzip.

      Spannt sich der Muskel mit einer geringen Kraft an, werden also nur Typ-I-Fasern aktiviert. Erst bei sehr hohen Krafteinsätzen werden auch die größten Typ-II-Einheiten zugeschaltet. Das bedeutet für die Trainingspraxis, dass man nur mit hohen Gewichten das gesamte Faserprofil in das Training einbeziehen kann. Da die Typ-I-Fasern allerdings ausdauernder sind als die Typ-II-Fasern, müssen sie auch länger angespannt werden, um eine trainingswirksame Erschöpfung herbeizuführen. Das bedeutet, dass mit kurzzeitigen, hohen Krafteinsätzen vorwiegend die Typ-II-Fasern trainiert werden, mit länger andauernden, niedrigeren Krafteinsätzen vorwiegend die Typ-I-Fasern.

      Da die Kontraktionszeiten für die Kraftentwicklung bei den einzelnen Fasertypen allerdings unterschiedlich lange dauern, ist die verzögerte Rekrutierung der großen ME nicht gleichzusetzen mit dem Moment ihres Kraftbeitrags im Anspannungsprozess. Die Typ-IFasern benötigen nämlich mehr als doppelt soviel Zeit zur Kontraktion wie die Typ-IIx-Fasern und deutlich mehr als die IIa-Fasern. Inwieweit nun bei sehr schnellkräftigen Bewegungen im Sport die schnell zuckenden Muskelfasern früher bzw. selektiv aktiviert werden können, ist noch nicht ausreichend geklärt. Es wäre ja für sehr schnelle Muskelanspannungen wünschenswert, dass die schnell zuckenden Fasern sofort aktiviert werden und nicht erst der umständliche Weg über das Größenordnungsprinzip der Rekrutierung genommen werden müsste. Bei Katzen und Fischen wurde bei Jagd- bzw. Fluchtbewegungen eine selektive Aktivierung schnell zuckender ME bereits bewiesen. Eventuell wird hierfür die Aktivierung langsamer ME vom Zentralnervensystem gehemmt und dadurch das Henneman-Prinzip außer Kraft gesetzt. Zumindest wird die Steilheit des Kraftanstiegs einer Kraft-ZeitKurve, die als Maß für die Schnellkraftfähigkeit gilt, im Wesentlichen durch die Kontraktion der schnell zuckenden Fasern bestimmt. Eine schnellstmögliche Einbindung dieser ME in den Anspannungsprozess ist für eine schnellkräftige Bewegung also leistungsbestimmend.

      VERWEISE:

      

Muskelfasertypen (20)

      

Bewegungstempo (58)

      

Schnellkraft (27)

      

Maximalkrafttraining (25)

      

Trainingssteuerung (11)

22Endkontraktionen
Endkontraktionen und Spitzenkontraktionsprinzip erhöhen die Muskelaktivierung

      Die intensive Aktivierung vieler Fasern eines Muskels mit hohen Frequenzen ist eine günstige Voraussetzung für einen effektiven Trainingsreiz. Durch elektromyographische Messungen (EMG), bei denen Elektroden auf oder in den Muskel gebracht werden, kann die relative Höhe der Aktivierung bestimmt werden. Das heißt, dass man mit dieser Methode messen kann, bei welcher Übung bzw. Übungsausführung ein Muskel besonders intensiv aktiviert wird. Im Zuge von EMGUntersuchungen stellten die Wissenschaftler Wolfgang Buskies und Wend-Uwe Boeckh-Behrens die Empfehlung für sogenannte Endkontraktionen auf ein solides Fundament. Eine Endkontraktion ist die Muskelanspannung am Ende der konzentrischen Bewegungsbahn einer Übung, wenn Ursprung und Ansatz des


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