Achtsamkeit für Superfrauen. 5-Minuten-Pausen vom Alltag.. Shonda Moralis

Achtsamkeit für Superfrauen. 5-Minuten-Pausen vom Alltag. - Shonda Moralis


Скачать книгу
Luft weg. Sie fühlt: totale Überraschung, Verwirrung. Sie denkt: Was, wenn ich diesen Job verliere? Wie bezahle ich dann meine Miete? Ihr Körper reagiert mit Druck auf der Brust, hochgezogenen Schultern und Hitze, die ihr zu Kopf steigt. Ein Gefühl von Angst und Panik ergreift sie.

      Während Janes Dreieck des Bewusstseins an allen Ecken lodert und sie dem Chaos hilflos ausgeliefert ist, laufen unzählige Kampf-oder-Flucht-Reaktionen ab, die sich in unserem Körper automatisch in Gang setzen, wenn er sich einer Gefahr gegenübersieht. Gut so, wenn es sich um eine reale Bedrohung handelt. Wenn du zum Beispiel auf einer belebten Straße stehst und plötzlich siehst, wie ein Auto mit hoher Geschwindigkeit auf dich zurast: Adrenalin wird ausgeschüttet, das Herz pumpt Blut in die Muskeln, dein Körper ist bereit, schnell zur Seite zu springen. Auch dein Gehirn geht in den Überlebensmodus. Der präfrontale Cortex, zuständig für Aufmerksamkeit, Organisation und die Fähigkeit, eine Situation mit Abstand zu betrachten, drosselt seine Aktivität, während die Amygdala, die den emotionalen Gehalt einer Situation bewertet und besonders auf Bedrohung reagiert, auf Hochtouren läuft. Leider ist es in unserem heutigen überaktiven Leben so, dass wir ständig und überall Gefahr wittern, auch wenn keine reale Bedrohung besteht.

      In ihrem Büro ist Jane relativ sicher. Aber ihr Körper kann nicht zwischen einer realen und einer eingebildeten Gefahr unterscheiden und schaltet in den Kampf-oder-Flucht-Mechanismus. Je nachdem, wie bewusst Jane die Situation erlebt, sind zwei Reaktionen denkbar: Wenn sie an diesem Morgen von Achtsamkeit weit entfernt ist, wird sie emotional unter Druck geraten und ebenfalls Ärger aufbauen. Die beiden Kolleginnen werden sich in einer nutzlosen Auseinandersetzung aufreiben und dabei viel Zeit und Energie verschwenden, die sie besser verwenden würden, um eine Lösung für das Problem zu finden.

      Wenn sich Jane jedoch ihre hochgezogenen Schultern und den Druck auf der Brust bewusst macht, wird sie das Bedürfnis spüren, ein paar Mal tief Luft zu holen – einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen –, und dadurch ihrem Gehirn signalisieren, dass es falscher Alarm war. Der Kampf-oder-Flucht-Mechanismus fährt herunter, der präfrontale Cortex kann wieder normal arbeiten. Jane fühlt keinen emotionalen Druck mehr, richtet ihre Aufmerksamkeit auf ihr Dreieck des Bewusstseins und ist in der Lage, ihre Reaktion auszuwählen, anstatt in blinder Panik zu handeln. Sie hat die körperlichen Symptome der Kampf-oder-Flucht-Reaktion als solche erkannt, hat sich wieder im Griff und kann gelassen zusehen, wie Susan ihren nur allzu vertrauten Zyklus durchläuft. Auch wenn Susan total durchdreht, wird sich Jane nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen und sagen, dass sie die Sache in Ordnung bringen wird. Auf dem Weg zu Taras Büro wird sie weiter tief ein- und ausatmen. Wenn sie die Tür erreicht, wird sie fähig sein, sachlich über das Missgeschick zu reden, Lösungsvorschläge zu machen und den Schaden zu begrenzen. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wie die Sache ohne die Hilfe von Achtsamkeit ausgegangen wäre. Egal, auf welche Spitze des Dreiecks des Bewusstseins wir unsere Aufmerksamkeit richten, wir können dadurch auf jeden Fall unsere Reaktion auf negative Impulse besser kontrollieren, egal, ob es sich um den Stau in der Rushhour, um eine immer länger werdende To-do-Liste oder um nervende Kollegen handelt.

      Die Achtsamkeitslehre geht zwar auf den Buddhismus zurück, ist jedoch eine ganz und gar weltliche Methode, Gehirn und Gemüt zu trainieren. Was nicht heißt, dass nicht auch Gläubige davon profitieren. Trotz des Hypes in den Massenmedien ist Achtsamkeit keine Modeerscheinung. Achtsamkeit ist eine praxiserprobte Methode, deren Wirksamkeit wissenschaftlich belegt ist. Große Unternehmen wie Google, Aetna, General Mills, Intel, Goldman Sachs oder Dow Chemical bieten ihren Angestellten Achtsamkeitstraining an. Arbeitswissenschaftler*innen bestätigen, dass regelmäßig praktizierte Achtsamkeit zu weniger Krankheitstagen und vermindertem Stress führt, das allgemeine Wohlbefinden fördert und die Menschen kreativer, innovativer und kooperativer macht. Das Ergebnis sind eine positive Arbeitsatmosphäre und zufriedenere, motivierte Mitarbeiter*innen. Eine in Zusammenarbeit mit Hausarztpraxen durchgeführte Studie zum Thema achtsame Kommunikation in Familien ergab, dass Stress und Burn-out abnehmen, während sich das Klima verbessert und die Belastbarkeit zunimmt.4 Die Forschung zeigt, dass Achtsamkeit nicht nur Stress reduziert, sondern auch geistige Kräfte freisetzt, die wir normalerweise nicht oder nur in Ausnahmefällen mobilisieren können. Viele sprechen deshalb von Achtsamkeit als Superpower. Hunderte von Studien beweisen die positiven Effekte von Achtsamkeit im Team, bei Führungskräften und in Organisationen. Sie fördert die Gesundheit und das Wohlergehen aller.

       Ich denke 99 Mal nach und finde nichts. Ich höre auf zu denken, schwimme in der Stille, und die Erkenntnis kommt zu mir.

      Albert Einstein, Wissenschaftler

      Ich bin kein Sportfan. Aber mein sechsjähriger Sohn hat neuerdings seine Liebe zu Basketball und allem, was dazugehört, entdeckt. Das schließt auch unser lokales Team, die Philadelphia 76ers, mit ein. Als ich kürzlich dazukam, wie er und mein Mann ein Spiel ansahen, kam die Rede auf Starspieler Ben Simmons. Meine Jungs schwärmten von Simmons’ Geschicklichkeit, Präsenz und Fähigkeiten als Teamplayer. Ich schaute zu, wie er hoch konzentriert und elegant über das Feld stürmte. „Ich wette, er meditiert“, sagte ich spontan. Mein Mann lächelte über diese – wie er meinte – unsinnige Bemerkung. Aber mir war es ernst. Simmons strahlt diese ruhige, konzentrierte Aufmerksamkeit aus, die ein Ergebnis langjähriger Meditationspraxis ist. Und wie jede vernünftige Person, die beweisen will, dass sie recht hat, sprintete ich zu meinem Laptop und googelte: Meditiert Ben Simmons? Mein Achtsamkeits-Radar ist offenbar gut eingestellt: Meditation gehört zu Ben Simmons’ Trainingsprogramm – er meditiert „seit seinem elften Lebensjahr“. Sag ich doch! Ich sonnte mich einen Augenblick in meinem Triumph und freute mich über meine Intuition, muss aber einräumen, dass es nicht wirklich eine Überraschung war. Seit Jahren studiere und lehre ich Achtsamkeit. Ich weiß, dass Spieler von den Chicago Bulls, den Seattle Seahawks, den San Francisco 49ers, den Atlanta Falcons und auch viele Athleten anderer Disziplinen meditieren. Doch zu meiner – schwachen – Verteidigung kann ich sagen, dass ich daran in dem Moment nicht dachte. Ich sah nur einen jungen Mann, der mit unbeirrbarer, konzentrierter Leichtigkeit Regie in einem Basketballspiel führte. Noch mal: Sag ich doch!

      Jeder Mensch hat ein individuelles Level an Gelassenheit und Emotionalität. Vielleicht war Ben schon als Kind „supergechillt“. Manche von uns bleiben selbst im größten Chaos ungerührt, während andere bei jeder kleinsten Störung aus dem Häuschen geraten. Wie auch immer, die gute Nachricht ist: Wir können uns Achtsamkeit und Gelassenheit aneignen, unabhängig von unserer natürlichen Veranlagung, unserem Alter und unserer Lebenssituation. Und zum Glück müssen wir weder Profisportler sein noch mit zehn Jahren begonnen haben, um von den weitreichenden Auswirkungen zu profitieren. Wer Achtsamkeitsmeditation regelmäßig praktiziert, kann die erworbene Eigenschaft in allen Bereichen seines Lebens anwenden, in jeder Situation und bei der Verwirklichung jedes Ziels oder Traums. Wenn wir ruhig, fokussiert und gut gelaunt sind, können wir unsere Leistungsfähigkeit besser ausschöpfen.

      Achtsamkeit bedeutet, sich bei jeder beliebigen Tätigkeit bewusst auf den Moment zu konzentrieren und ihn zu akzeptieren, ohne ihn zu bewerten. Meditation bedeutet, sich eine Zeit zuzugestehen, in der wir nichts als unsere Achtsamkeit praktizieren. Wir suchen uns etwas, auf das wir uns konzentrieren (zum Beispiel das natürliche Heben und Senken unserer Bauchdecke beim Atmen). Wir achten darauf, dass unsere Gedanken nicht wandern (was jedem immer wieder passiert), und wenn sie es tun, bringen wir sie jedes Mal sanft zu dem gewählten Fokus (die Atmung) zurück.

      Wir müssen keine unbequeme Haltung einnehmen, nicht Om singen und keine Räucherstäbchen anzünden, um zu meditieren. Es reicht, auf einem Stuhl oder einem Kissen am Boden Platz zu nehmen. Aber wir müssen regelmäßig praktizieren. Wenn du Klavierspielen oder Basketballspielen lernen willst, reicht es auch nicht aus, darüber zu lesen oder es einmal zu versuchen, um spielen zu können wie Beethoven oder Ben Simmons. Dasselbe gilt für die Meditation. Wir müssen regelmäßig meditieren, um unsere Fähigkeit zur achtsamen Aufmerksamkeit aufzubauen. Wer täglich meditiert, legt damit den Grundstein für ein ruhigeres, entspannteres und achtsameres Leben.

       Gewohnheiten schränken die Freiheit nicht ein. Sie schaffen


Скачать книгу