Die katholische Kirche und die Medien. Wolfgang Beck
des 21. Jahrhunderts die öffentlichen Debatten so stark wie der Begriff der Medien- und Informationsgesellschaft, mit dem ein kultureller Entwicklungsprozess beschrieben wird. Dessen Anfänge liegen im 19. Jahrhundert und münden in eine ausgefaltete „Kultur der Digitalität“16 des 21. Jahrhunderts.
Der Begriff der Medien korrespondiert einerseits mit Fragen der Öffentlichkeit, die zeit- und epochenbedingt in unterschiedlicher Verhältnisbestimmung zum Privaten liegen.17 Andererseits berührt die Frage nach den Medien die technische Entwicklung der Moderne wie auch die gesellschaftlichen Prozesse der Aufklärung.
Unterschiedliche Ansätze für soziologische und philosophische Medientheorien sind im 20. Jahrhundert entstanden. So beschäftigt sich Umberto Eco (1932–2016)18 mit der Kritischen Medientheorie der Frankfurter Schule (vor allem Theodor W. Adorno und Max Horkheimer) und setzt sich von deren Interpretation der Medien als Verfallsphänomen ab. Er entwickelt ein positives Verständnis der „Massenkultur“19, zu der auch die Medien gehören. Eco beobachtet im Umgang mit modernen Medien und Phänomenen der Massenkultur zwei Typen von Haltungen: den Apokalyptiker20, der (die) in einer undifferenzierten Kritik die eigene Sorge vor dem kulturellen Zerfall ausdrückt, und den Integrierten (die Integrierte), der (die) gleich ganz ohne kritische Reflexion der Massenmedien auszukommen scheint.
Hans Magnus Enzensberger bemüht sich weniger um eine vermittelnde und differenzierende Bewertung von Medien und betrachtet sie vor allem in ihrer Verbindung mit gesellschaftlichen Machtstrukturen, also der Politik. Medien sind bei ihm daher auch als Teil der volkswirtschaftlichen Prozesse zu verstehen, als ein Teil der „ökonomischen Struktur der Gesellschaft“21. Ein zentrales Anliegen ist bei ihm im Wissen um die gesellschaftsprägende Kraft der Medien als Inbegriff kommunikativen Handelns22 gerade auch deren demokratische Kontrolle.23 Enzensberger knüpft hier an Gedanken von Berthold Brecht24 an, der sich als Literat intensiv mit dem Medium Rundfunk beschäftigt hat und schon in den 1920er Jahren dessen propagandistische Potenziale reflektiert.25
Zu den wiederkehrenden Fragestellungen der Medientheorien gehört ganz maßgeblich das Verhältnis von Technik und Inhalt. Eine weitere, grundlegende Unterscheidung ergibt sich aus der Gegenüberstellung von Kommunikations- und Distributionsmedien: Während Kommunikationsmedien von der Vielfalt unterschiedlicher Sender, der damit einhergehenden Dezentralität und deshalb demokratisierenden Effekten zu bestimmen sind, zeichnen sich Distributionsmedien durch eine monopolartige Stellung der Sender mit eingeschränkter Interaktivität aus. Enzensberger bestimmt Distributionsmedien daher allein aufgrund ihrer technologischen Struktur als „ein undemokratisches, zentralistisches Herrschaftsmodell“26. Alle Medien können nach Enzensberger als Kommunikationsmedien wirken, zielen aber aufgrund ihrer technischen Eigenarten unterschiedlich stark darauf ab und benötigen daher eine demokratische Kontrolle.27 Schon hier wird erkennbar, dass die Rolle des Publikums ausgeprägt als eine aktive verstanden wird, die auf die Kommunikationsverläufe der Medien Einfluss nimmt und dies im Sinne seiner demokratischen Rechte auch tut. Inwiefern dies auf einer allzu optimistischen Sicht von Konsument_innen im Sinne eines „emanzipatorischen Mediengebrauchs“28 beruht, gilt unter Medientheoretiker_innen als umstritten, dürfte aber gerade mit der Verbreitung des Internets und der Etablierung der Social Media realistischer geworden sein.
Von besonderer Bedeutung ist die philosophische Betrachtung der Medien hinsichtlich des Konzeptes vom „herrschaftsfreien Diskurs“ bei Jürgen Habermas, wenngleich er sich selbst nur am Rande seiner Theorie mit Massenmedien beschäftigt. Medien gehören für ihn offenbar so sehr zu den Selbstverständlichkeiten menschlicher Kommunikation, dass sie kaum in ihrer Eigenart betrachtet werden müssen. In seiner „Theorie des kommunikativen Handelns“ wirken Medien lediglich verstärkend, auch weil das emanzipatorische Potenzial jeglicher Kommunikation ihre problematischen Elemente weit übersteigt.29 Hier erweckt der Theorieansatz von Habermas einen ausgesprochen idealistischen Eindruck.
In der Soziologie hat sich vor allem Niklas Luhmann mit dem Entwurf der Systemtheorie der Bedeutung von Massenmedien30 gewidmet. Sie zeichnet sich einerseits durch einen beeindruckenden Universalitätsanspruch (es gibt keine gesellschaftlichen Phänomene, die nicht systemtheoretisch aufzufassen wären) wie durch eine Inkompatibilität mit anderen Theorieansätzen aus. Für Luhmann besteht die Gesellschaft aus Systemen, die auf sich selbst bezogen und aufgrund ihrer eigenen Instabilität auf den Selbsterhalt ausgerichtet sind (Autopoiesis). Er betrachtet die Funktion der Medien vor dem Hintergrund eines sehr unwahrscheinlichen Gelingens von Kommunikation, zudem verhindern die Medien als „Zwischenschaltung von Technik“31 die direkte Kommunikation. Im System der Massenmedien gelten Medien als Techniken zur Ermöglichung von Dialog, wo dessen Unmittelbarkeit unterbrochen ist.
Die hier lediglich angedeuteten Theorieansätze veranschaulichen die entstandene Vielfalt und Unübersichtlichkeit der Medienreflexionen in den unterschiedlichen Feldern von Medienwissenschaft32, Kommunikationswissenschaft, Philosophie und Soziologie, die einer anwachsenden Notwendigkeit der Medienreflexion geschuldet sind.
Die zunehmende Innovationsgeschwindigkeit von einer intergenerationalen Entwicklung zu einer intragenerationalen Abfolge von Neuerungen33 ereignet sich vornehmlich im Bereich moderner Medien. Die mögliche Live-Übertragung von privaten Kameraaufnahmen mit dem Smartphone in den Formaten der Social Media steigert34 diese Beschleunigung35 und kann als Symbol für einen gesamtgesellschaftlichen Trend betrachtet werden, der aufgrund seiner rasanten Entwicklung wie auch seiner umwälzenden Dramatik als umfassend erlebt wird. Diese weitreichenden Dimensionen der Wandlungsprozesse sind für den Soziologen Ulrich Beck Anlass, von einer „Verwandlung“36 der Welt zu sprechen, um deren überfordernde37 Dimension auszudrücken. Die bloße Rede von einer „digitalen Revolution“ erscheint ihm demgegenüber als unzureichend.38 Der Philosoph Christoph Türcke identifiziert vor dem Hintergrund dieser Entwicklung in der „Logik der Sensation“39 ein zentrales Merkmal einer als „erregt“ erfahrenen Mediengesellschaft und verortet sie im Kontext des europäischen Aufbruchs der Neuzeit.40 Diese soziologische Analyse verbindet sich häufig mit Forderungen nach einem stärkeren regulativen Eingreifen, etwa in medienpädagogischen Kontexten und einem kulturpessimistischen Habitus.41 Die gesellschaftlichen Modi von Empörung und Erregung innerhalb öffentlicher Debatten lassen sich dabei als Teil einer durch digitale Medien geprägten politischen Kultur verstehen.42
Das 20. Jahrhundert kann nicht zuletzt aufgrund der Entstehung von Massenmedien, vor allem von Rundfunk, Film und Fernsehen und in seinem letzten Jahrzehnt des Internets, als wichtige Wendemarke betrachtet werden. Nach einer anfänglichen Phase mit einer Ausrichtung etwa des Rundfunks auf Unterhaltungsprogramme in der Weimarer Republik entsteht erst in den 1930er-Jahren ein Bewusstsein für die politische Relevanz der neuen Massenmedien.43 Das aufkommende Bewusstsein für deren strategische Verwendung im Rahmen der politischen Propaganda wie gerade auch als Instrument wirtschaftlichen Marketings charakterisieren das 20. Jahrhundert als wichtige Umbruchphase. Das Verhältnis von Medien, insbesondere von Presse, Radio und Film zu ihrer propagandistischen Nutzung, wird im Rahmen geschichtswissenschaftlicher Aufarbeitung immer wieder behandelt.44 Es wäre aber zu kurz gegriffen, wollte man diese Problematik der Instrumentalisierungen und Manipulationen auf bestimmte Epochen und wenige Akteure begrenzen. Generell gilt, dass es keine weltanschauliche oder politische Neutralität geben kann. Deshalb sind gerade die Pluralität von Akteuren und das Vermeiden von Monopolstellungen zentraler Bestandteil einer demokratischen Medienpolitik.
2.1.1. Medientheorie
Gerade im 20. Jahrhundert hat sich die theoretische Reflexion zum Medienbegriff in eine Vielzahl von Ansätzen und Theorien unterschiedlicher Fachrichtungen ausdifferenziert.45
Der Medienwissenschaftler Marshall McLuhan (1911–1980) entwickelt in der Faszination für das Fernsehen eine Kulturtheorie der Medien46 und spricht vom Ende der „Gutenberg-Galaxis“47, in dem der Buchdruck zum bestimmenden Medium geworden war. McLuhan analysiert Strukturen moderner Mediengesellschaften48, die von ihm zwar an der Beobachtung des Fernsehens (insbesondere in den nordamerikanischen Gesellschaften) festgemacht werden, aber