Die Essenz der Landschaftsfotografie. William Neill

Die Essenz der Landschaftsfotografie - William Neill


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der das Bedürfnis des Menschen nach unberührten Landschaften betont, aber es entsprach nicht meinem Wunsch-Baum-Portfolio. Manchmal ist Büchermachen nicht so einfach, wenn der Fotograf nicht gleichzeitig auch der Redakteur ist.

      Die auf Seite 38 gezeigte Aufnahme Trees Growing on Moss-Covered Boulders gehört zu meiner Kollektion an Baumbildern. Wie so oft begann auch der Weg zu diesem Bild mit einer Entdeckung und mit Staunen. Ich fand die Eleganz und Zielstrebigkeit dieser Baumwurzeln absolut verblüffend. Die Bewertung des Bildes beruht auf drei wesentlichen Kriterien: auf der technischen Gesamtqualität; auf meinem Gefühl, dass dieses Bild so gut ist wie meine besten Baumfotos; und darauf, dass mich das Bild emotional wieder in den Moment zurückversetzt, in dem es entstanden ist.

      Um dieses Bild zu machen, musste ich mein Stativ auf einem beinahe senkrechten, matschigen Hang positionieren und an meiner 4 × 5-Großformatkamera ein 90-mm-Weitwinkelobjektiv verwenden, was 24 mm im Kleinbildformat entspricht. Der Abhang schränkte meine Möglichkeiten stark ein und zwang mich dazu, einen engen Ausschnitt zu wählen – ich benutzte schon das weitwinkligste Objektiv, das ich hatte. Die Aufmerksamkeit des Betrachters konzentriert sich auf die beiden Wurzeln, die sich an den Felsen schmiegen. Der Stein ist nicht komplett zu sehen, aber in seinen enormen Ausmaßen angedeutet. Der umliegende Wald hat seinen Auftritt im Bild durch die Stämme, die am oberen Rand sichtbar sind. Der heftige Regen der vergangenen Nacht hatte eine Menge Blätter zu Boden geschickt, die die wundersame Szene um eine weitere Dimension bereicherten. Der Regen und das weiche Licht machten es möglich, kräftige, gesättigte Farben auf den Film zu bannen.

      Haben Sie ein Motiv umfassend erkundet, was hoffentlich dazu führt, dass sich Ihre eigene Vorstellung davon vertieft und verdichtet, dann werden Sie wahrscheinlich weitere Themen in Ihren Fotografien entdecken, die sich zu neuen Portfolios ausbauen lassen. Während ich diese Zeilen schreibe, sinniere ich über neue Motive in meiner eigenen fotografischen Arbeit, die ich weiterentwickeln könnte. Wenn Sie diese Gedanken kreativ weiterdenken, führt Sie dies vielleicht zu Motiven, die sich aus Ihrer persönlichen Begeisterung für etwas ergeben, aber von anderen Fotografen noch nicht bearbeitet worden sind. Das vergrößert das Potenzial für Belohnung in Form von persönlicher Zufriedenheit, für die Vervollkommnung Ihres Auftritts als Fotograf und für die Vermarktung Ihrer Werke. Das Bildermachen selbst ist nur die erste kreative Phase; die zweite umfasst die Auswahl, Bearbeitung und Präsentation Ihrer Aufnahmen in einer Weise, die Ihren ganz eigenen Stil und Ihre Perspektive widerspiegelt.

      Entscheiden Sie sich für ein Thema, das Sie begeistert, entwickeln Sie Tiefe, seien Sie streng bei der Bildauswahl – oder einfacher gesagt: Fokussieren Sie sich.

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      Striated Wall of an Ice Cave (Streifen an der Wand einer Eishöhle) | Jasper National Park, Alberta, Kanada | 1995

      VON TRAINING UND ARBEIT

      WIE EIN REDAKTIONELLER AUFTRAG EIN UNERWARTETES BILDRESULTAT NACH SICH ZOG

      Wann immer Ansel Adams im Alter Vorträge hielt, wies er darauf hin, dass er sechzig Jahre lang als Werbefotograf gearbeitet hatte. Obwohl er durch seine Kunst berühmt geworden war, nahm er Aufträge an und widmete sich Projekten, die ihm halfen, seine Rechnungen zu bezahlen, und die ihm Reisen ermöglichten, bei denen er sich nebenher seinen persönlichen Aufnahmen widmen konnte.

      Seine berühmten Bilder von Zitterpappeln in New Mexico sind in einer Pause seines Projekts für Kodak im Südwesten der USA entstanden. Während er im Zweiten Weltkrieg das japanische Internierungslager von Manzanar bei Lone Pine in Kalifornien dokumentierte, schuf Adams zwei Ikonen der Landschaftsfotografie: Winter Sunrise, Sierra Nevada, from Lone Pine, California und Mount Williamson, Sierra Nevada, from Manzanar, California. Adams war oft und lange draußen unterwegs, ganz gleich, ob er nun für einen Auftrag fotografierte oder für sich selbst.

      Nichts bringt Ihre Fotografie besser voran als Training und harte Arbeit. Übend bereitet man sich und seine Abläufe darauf vor, ein großartiges Bild zu machen. Die Experimente der Vergangenheit, das Scheitern, das Kopfrechnen für die Belichtung, die Fähigkeit, das Stativ schnell aufzubauen, bevor sich das Licht verändert, das Wissen darum, wie man eine Komposition verfeinert, um wirklich die beste Bildgestaltung zu erzielen: All dies zusammengenommen ist von Nutzen. Es gibt keine Abkürzung zu dem Erfahrungsschatz, auf dessen Grundlage man instinktiv handelt. Erst nach vielen Jahren harter Arbeit läuft die Entscheidungsfindung intuitiv ab, kommt die eigene Sichtweise ans Licht. Der Schlüssel zur eigenen Sichtweise ist Intuition, nicht etwa Technologie oder Ausrüstung.

      1995 reisten meine Frau und ich nach Banff und in den Jasper National Park in Kanada, um an meinem Buch The Color of Nature zu arbeiten. Der Auftrag lautete, türkisfarbene Gletscherseen sowie Gletscherspalten und Eishöhlen zu fotografieren, um ihr vom Eis gefiltertes blaues Licht zu zeigen. Ich erfuhr von einer Eishöhle, in der ich hoffentlich das leuchtende Blau finden würde, das ich in anderen Aufnahmen gesehen hatte. Als ich in der Höhle herumspazierte, wirkte das Licht allerdings nicht so sehr blau. Etwa eine Stunde lang fotografierte ich in der Nähe des Höhleneingangs, wo etwas Licht einfiel. Schließlich befand ich, dass ich das Blau nun auf den Film gebannt haben müsste, sofern es überhaupt vorhanden war.

      Dann schaltete ich einen Gang höher. Während ich an dem Auftrag zum Buch gearbeitet hatte, waren mir einige interessante Formen weiter hinten in der Höhle aufgefallen. Die Streifenmuster aus eingefrorenem Geröll und die ausgehöhlten Wände versprachen großes Potenzial. Eine weitere Stunde lang arbeitete ich in äußerst spärlichem Licht und machte Belichtungen von vier bis acht Minuten Länge. Ich spielte mit der Bildgestaltung, um zu sehen, wie die Linien der Muster im Bildausschnitt verliefen. Ich veränderte das Verhältnis von Höhlenboden zu Eis im Bild, wechselte zwischen Hoch- und Querformat und veränderte den Kamerastandpunkt für unterschiedliche Perspektiven. Endlich zufrieden wanderte ich zum Auto zurück.

      Die erste Stunde, die ich »arbeitend« verbrachte, hatte Ähnlichkeit mit dem Anfertigen von Skizzen. Ich nahm mir Zeit, mich in die Stimmung des Ortes einzufühlen. Währenddessen landeten kontinuierlich Wassertropfen auf mir und meiner Ausrüstung. Ich tröstete mich damit, dass es hier drin trockener war als draußen im strömenden Regen. Die technischen Herausforderungen – die extreme Schärfentiefe (ich konnte ohne Probleme die eisige Höhlendecke über meinem Kopf berühren) und die langen Belichtungszeiten – waren denen ähnlich, die ich in vielen Fotosituationen zuvor »trainiert« hatte, zum Beispiel in den engen Felsschluchten der Slot-Canyons im Südwesten der USA. So, wie ich es dort und in anderen Situationen mit sehr wenig Licht gelernt hatte, glich ich den Schwarzschild-Effekt aus. Dieser Effekt erfordert verlängerte Belichtungszeiten, damit der Film richtig belichtet wird, also verdopple ich den Wert, den mir mein Belichtungsmesser anzeigt. Ich richtete meine 4 × 5-Kamera nahe der Höhlendecke so gut wie möglich aus, konnte dadurch f/32 als moderate Blende einstellen, und meine Belichtungszeiten wurden nicht zu lang. Bei f/64 hätten sie bei fast einer halben Stunde gelegen. Nach vielen Jahren der Übung waren mir diese Lösungen in Fleisch und Blut übergegangen.

      Meine Aufnahmen vom blauen Eis waren dann gar nicht so blau und fanden im Buch keine Verwendung. Die Mächtigkeit des Eises an dieser Stelle ließ für eine blaue Färbung nicht genug Licht durch. Die Resultate der Aufnahmen aus jenem Höhlenteil, der mich fasziniert hatte, waren wesentlich besser. Das auf Seite 42 gezeigte Foto aus der Eishöhle ist als Abzug in einer limitierten Auflage in Galerien ausgestellt worden und hat Eingang in den Bildband Landscapes of the Spirit mit meinen besten Aufnahmen gefunden. Außerdem ist es in mehreren Zeitschriftenartikeln veröffentlicht worden. Wie auch immer: Ohne meinen Arbeitsauftrag hätte ich die Höhle nie gefunden. Manchmal sind die Bilder aus der Kategorie »Arbeit« die gleichen wie jene aus der Kategorie »Kunst«. Bei meinem Eis-Bild hat nur die »Kunst«-Variante funktioniert. Manchmal gelingt keines von beiden. Das Einzige, dessen ich mir sicher bin: Übung macht den Meister.

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      Cloud Reflections and Mt. Moran at the Oxbow Bend on the Snake


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