Böse Heiler. Ashish Bhalla

Böse Heiler - Ashish Bhalla


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ich sie überzeugen? Oder ist ihr die Beziehung zu dieser Heilerin wichtiger?

      Endlich kommt sie zurück und nimmt wieder auf dem Thron Platz. »Ich bin nicht überzeugt«, sagt sie. »Warum können Sie mich nicht parallel zu meiner Heilerin behandeln wie mein alter Gynäkologe?«

      »Weil ich anders arbeite.« Ich erkläre ihr, dass manche Kräuter im Körper an denselben Rezeptoren andocken wie die Medikamente und daher deren Wirkung abschwächen. Das wäre eine mögliche Erklärung, warum die Medikamente des Gynäkologen nicht gewirkt haben. Außerdem erkläre ich ihr, dass ihr Immunsystem durch ihre ständige Anspannung sehr geschwächt wird. »Daher empfehle ich Ihnen Meditationen und Yoga, damit Sie Ihrem Gleichgewicht wieder näherkommen.«

      Sie hebt die Hand, um mich zu unterbrechen. »Ich weiß, worauf diese Empfehlung hinausläuft. Ich habe mich über Ihre Praxis gut erkundigt. Auch über den akademischen Yogalehrer, mit dem Sie diese Praxis hier aufgezogen haben. Also nichts gegen Christian Wolf. Aber ich bin nur eine kleine Bibliothekarin. Verstehen Sie?!«

      »Nicht ganz«, gebe ich zu.

      Daraufhin erklärt sie mir, dass sie seit fünf Jahren Yoga macht. Daher habe sie wirklich den allergrößten Respekt vor einem Meditations- und Yoga-Experten mit jahrzehntelanger Erfahrung.

      Sie hat sich wirklich gut erkundigt. Sie weiß sogar, dass Christian als Gesundheitswissenschaftler mit Yoga-Techniken aus weniger bekannten Traditionen arbeitet und sie individuell auf die Symptome der einzelnen Patienten abstimmen kann. Damit sie lernt, ihre Anspannung zu lösen, empfehle ich ihr genau das.

      Da verschränkt sie wieder die Arme vor der Brust. »Sie haben natürlich recht«, sagt sie mit spitzer Stimme. »Als Bibliothekarin muss ich mir standesgemäß meinen privaten Yogalehrer leisten.«

      Ihr Scherz ist zwar bitter, aber ich muss trotzdem schmunzeln. »Sie sind bei uns bestimmt günstiger dran als bei Ihrer Heilerin. Da Sie schon etwas von Yoga verstehen, brauchen Sie nur zwei bis drei Schulungseinheiten bei Christian Wolf, um sich die für Sie passenden Instruktionen zu holen. Ich verschreibe Ihnen ein paar hochdosierte Kräuter. In drei Monaten kommen Sie zur Kontrolle. Dann sehen wir, wie es wirkt. Dann noch eine Abschlusskonsultation in sechs Monaten. Ich denke, das sollte reichen.«

      Noch immer sitzt sie mit verschränkten Armen und Beinen da. Mir ist klar: Wenn ich es nicht schaffe, ihre Defensivhaltung aufzulösen, wird sie gleich aufstehen, gehen, ihre Heilerin weiterhin mit Geld füttern und nie gesund werden. Daher sage ich ihr: »Bevor Sie entscheiden, bitte ich Sie um fünf tiefe Atemzüge.«

      Sie verharrt in ihrer angespannten Sitzposition.

      Meiner Meinung nach steht sie an einer steilen Klippe und braucht sehr viel Kraft, um das Gleichgewicht zu halten. Aber wenn sie auch nur einen kleinen Schritt von der Klippe weggeht, wird alles viel leichter. Daher wiederhole ich: »Bitte. Nur fünf tiefe Atemzüge.«

      »Na schön.« Sie beugt sich vor, schließt die Augen und tut es. Aber sie bleibt nicht bei fünf Atemzügen stehen. Sie nimmt sich zwölf. Dann öffnet sie die Augen. »Ich habe mich entschieden«, sagt sie. »Ich werde meine Heilerin nicht so einfach aufgeben. Ich werde sie auch nicht vor den Kopf stoßen. Ich werde ihre Kräuter und Globuli weiterhin kaufen, aber vorerst nicht einnehmen. Zumindest drei Monate lang nicht. Bis zu unserem ersten Folgetermin. Können Sie damit leben?«

      »Klar.«

      Den Nachsatz, dass sie mit ihrem Geld schließlich machen kann, was sie will, spreche ich nicht aus. Der Rest ist binnen weniger Minuten erledigt. Ich verschreibe ihr zwei rezeptpflichtige indische Pflanzen in Kapselform, welche ihre körperliche, aber auch die mentale Kraft stärken. Zudem verordne ich ihr typenspezifische Yoga-, Atem- und Meditationstechniken. Meine Empfehlung, sich diesbezüglich an Christian zu wenden, nimmt sie an. Außerdem vereinbaren wir, dass sie sich in den nächsten Tagen an eine Gynäkologin wendet, die ich ihr ebenfalls empfehlen kann, damit wir anhand der Abstriche jetzt und in drei Monaten sehen können, ob es Fortschritte gibt.

      Drei Monate später kommt Veronika Allsitter zum vereinbarten Termin. Mein erster Eindruck: Obwohl sie erhobenen Hauptes zur Tür hereinkommt, wirkt sie niedergeschlagen. Noch wesentlich bedrückter als bei der ersten Konsultation. Das trifft mich unerwartet, zumal Christian mir von zwei Terminen mit ihr berichtet hat. Speziell die Tattva-Yoga-Übungen hätten bei ihr gut angeschlagen.

      Wortlos überreicht sie mir die gynäkologischen Befunde.

      Der Abstrich zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs vor drei Monaten zeigt leichte Zellveränderungen. Die Gefahr, dass sich tatsächlich Krebs entwickelt, ist gegeben.

      Ich blättere weiter zum aktuellen Befund. Eine deutliche Entzündung, aber keine Zellveränderungen mehr. Das ist der erhoffte Fortschritt. Ich bin erleichtert. Ihr Immunsystem hat offenbar Tritt gefasst. Es besteht erstmals seit zwei Jahren kein Krebsrisiko mehr. Sie ist von der steilen Klippe einen entscheidenden Schritt weit weggekommen. Jetzt müssen wir nur dafür sorgen, dass es keinen Rückfall gibt.

      Veronika Allsitter wirkt jedoch alles andere als erfreut. Bitter hält sie die Lippen zusammengepresst. Als ich sie fragend ansehe, atmet sie mehrere Male tief durch. »Ich war eben mit dem neuen Befund bei meiner Heilerin.« Sie atmet noch einmal durch. »Sie hat sich gar nicht für mich gefreut. Obwohl sie nicht gewusst hat, dass ich ihre Kräuter nicht mehr nehme. Da habe ich ihr die Wahrheit gesagt.« In Veronika Allsitters Augen bilden sich Tränen, die sie trotzig wegwischt. »Ich war wirklich eine Idiotin.«

      »Stimmt«, sage ich geradeheraus.

      Das bringt sie zum Lachen.

      »Aber Sie sind in bester Gesellschaft«, füge ich hinzu. »Selbst die intelligentesten Menschen fallen auf falsche Heiler herein.«

      Das löst ihre Verbitterung. Sie freut sich sehr über den Befund. Sogar bei den Zysten ist eine leichte Besserung sichtbar. Dass die Kräuter und die täglichen Yoga-Übungen ihr guttun, hat sie schon in den vergangenen Wochen bemerkt. Die letzten Regelschmerzen waren etwas weniger schlimm.

      Nach dem Termin bei mir will sie den Mann anrufen, mit dem es damals nach dem Konzert so fein war. Sie ist zwar nicht mehr mit ihm in Kontakt. Aber sie hat in Erfahrung gebracht, dass er noch Single ist.

      Ich drücke ihr die Daumen.

      Weitere drei Monate später kommt Veronika Allsitter wieder. Mein erster Eindruck: Sie ist sichtlich beschwingt. Es geht ihr viel besser. Kräuter, Yoga-, Atem- und Meditationsübungen, frisch kochen und eine Runde laufen, dafür nimmt sie sich täglich Zeit, komme was wolle. Ihre Menstruation sei stabiler geworden, zuletzt beinahe schmerzfrei, erzählt sie. Sie fühle sich nicht mehr so angespannt und könne mit allen möglichen Problemen viel leichter umgehen. Die Zysten haben sich laut dem letzten Befund deutlich zurückgebildet. Der Abstrich vom Gebärmutterhals zeigt weiterhin eine Entzündung.

      Nach einer kurzen Untersuchung verordne ich ihr zusätzlich eine ayurvedische Pflanze, welche antientzündliche Qualitäten aufweist und sie im Gesamten stärkt.

      Der Virus ist noch nicht besiegt. Aber Veronika Allsitter weiß jetzt: Sie kann ihn unter Kontrolle bringen.

      Mittlerweile ist sie ganz gesund. Sie hat zwei Jahre lang unter ihren gesundheitlichen Problemen und deren Folgen für ihr Liebesleben gelitten. Zwei Jahre ihres Lebens hat sie verpfuscht. Dieser Pfusch hat sie in Summe rund 10.000 Euro gekostet. Trotzdem ist sie vergleichsweise glimpflich davongekommen. Christian Wolf und ich begegnen ständig Opfern selbsternannter Heiler. Manchmal sind sie dermaßen verantwortungslos, dass die von ihnen verursachten Probleme noch größer und die Ausgaben der Patienten noch höher sind als bei Veronika Allsitter.

      Ewig schade

      Behutsam, als wolle sie den Sessel nicht belasten, nimmt Elisabeth Kemäter mir gegenüber Platz. Dabei ist sie eine kleine und sehr schlanke Person, geradezu zierlich.

      Ich schenke ihr ein Glas lauwarmes Wasser ein und schiebe es über den kleinen Tisch. Mit einer leichten Verbeugung nimmt sie es und trinkt einen Schluck.

      »Nun, was kann ich für Sie tun?«, frage ich, nachdem sie das Glas vorsichtig


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