Böse Heiler. Ashish Bhalla
die wir doch vermeintlich alle brauchen können, brauchen wir im Einzelfall wirklich. Meist reicht eine abwechslungsreiche, gesunde Ernährung vollkommen aus, um unserem Körper alle benötigten Vitamine und Spurenelemente zuzuführen.
In unserer Überflussgesellschaft haben wir eher das Problem, dass wir unserem Körper zu viel von allem zuführen. Ein wenig fasten wäre oft wesentlich heilsamer als ein zusätzlicher Vitaminshake. Aber auch eine generelle Empfehlung zu fasten wäre unseriös. Wenn Menschen fasten, die nicht fasten sollten, können sie sehr viel Kraft verlieren.
Zuweilen entsteht rund um bestimmte Produkte ein regelrechter Hype. Begonnen hat es mit dem Vitamin-C-Hype in den 1990er-Jahren. Damals wurde der Bevölkerung eingeredet, wir würden an einem flächendeckenden Vitamin-C-Mangel leiden. Auf Basis dieses Glaubens werden seither Pillen verkauft, die laut der Werbung dafür so gut für den Körper wie ein ganzer Obstkorb sind. Dass das synthetisch produzierte Vitamin C nur Ascorbinsäure ist und nicht dieselbe Wirkung auf den Körper hat wie jenes aus frischem Obst, sagt niemand dazu. Denn damit würden die Menschen ja wieder mehr Obst essen und die durchwegs teureren Nahrungsergänzungsmittel nicht mehr kaufen.
Neuerdings ist es Vitamin D, das wir angeblich alle zusätzlich einnehmen sollten, weil wir zu wenig an die Sonne kommen. Dieser Mythos spricht viele Menschen an, die täglich viele Stunden im Büro verbringen und sich am Ende schlapp fühlen. Also besorgen wir uns Vitamin D rezeptfrei in der Apotheke. Dass ein Absinken des Vitamin-D-Spiegels in der dunklen Jahreszeit ganz normal ist und durch Laborbefund ausgewiesene Fälle von Vitamin-D-Mangel unter dem gesunden Grenzwert nicht die Regel sind, wird bei diesem Hype ausgeblendet. Die meisten Menschen schlucken Vitamin D auf Verdacht ohne Laborbefund. Womöglich gehen sie dann noch weniger an die Sonne und an die frische Luft.
Viele Scharlatane negieren die Individualität und Komplexität des menschlichen Körpers und der medizinischen Zusammenhänge. Meist weil sie diese Komplexität selbst nicht verstehen und nicht in Erklärungsnotstand kommen wollen. Oder weil leichtgläubige Patienten die Botschaft, dass ein Mittel sie von ihrem Leiden befreien wird, so gerne hören.
Als kritischer Konsument alternativmedizinischer Leistungen sollten Sie stets bedenken: Alles hat auch einen ökonomischen Aspekt. Das Geschäft mit dem einen Mittel für alle hat diesen ökonomischen Aspekt in ganz besonderem Ausmaß. Wenn anfänglich wohlmeinende Alternativmediziner mit dem Weiterverkauf eines Produktes Erfolg haben, können sie allzu leicht auf die schiefe Bahn der ökonomischen Motive geraten. Nämlich dann, wenn sie viel von dem Produkt billig einkaufen, damit die Gewinnspanne beim Weiterverkauf etwas höher ist. Vielleicht sind sie sogar so nett, den Preisvorteil an ihre Kunden weiterzugeben. Dennoch: Ihren Lagerbestand wollen sie natürlich so schnell wie möglich absetzen, denn schließlich haben sie ja beim Einkauf vorinvestiert. Daher empfehlen sie allen ihren Patienten nach Möglichkeit dieses Mittel. Dabei achten sie dann tendenziell nicht so genau auf die individuellen Umstände.
In ökonomischer Hinsicht risikoloser ist das Geschäftsmodell, in dem ein Alternativmediziner nicht vorher investieren und ein Lager halten muss, sondern einfach per Kommission am Vertrieb von Produkten in seiner Praxis beteiligt ist. Davon haben mir schon mehrere Patienten berichtet und so war es auch im Fall von Herrn Kurböck.
Zuweilen liegen in den Wartezimmern der Alternativmediziner Broschüren auf, die ein bestimmtes Produkt anpreisen. Sie als Patient können das Mittel, das der Alternativmediziner natürlich wärmstens empfiehlt, auch wenn er es nicht verschreiben darf, direkt per Bestellschein beziehen.
Alles ganz legal, denn Sie bestellen es ja selbst. Wenn etwas schiefgeht, weil Sie das Produkt nicht vertragen, sind nur Sie selbst in rechtlicher Hinsicht verantwortlich. Abgesehen davon könnten Sie nur in den seltensten Fällen wirklich den Nachweis erbringen, dass es das bestellte Mittel war, das Ihre Beschwerden verursacht hat. Daher Finger weg von Bestellscheinen.
Wenn ein bestimmtes Produkt Sie interessiert, lassen Sie sich am besten in Ihrer Apotheke beraten. Meistens bekommen Sie dort gleichwertige Produkte wesentlich günstiger.
Manche Alternativmediziner haben sogar ihre eigene Produktlinie, womöglich mit ihrem Bild oder ihrer Unterschrift auf den Etiketten, weil sie ja für die Qualität der Produkte quasi persönlich bürgen. Hier besteht dann umso mehr die Gefahr, dass Vertriebsüberlegungen die Empfehlungen für Patienten beeinflussen. Es steht nicht mehr im Vordergrund, was dem einzelnen Patienten guttut. Es steht im Vordergrund, was aus dem Lager muss.
Manchen werden diese Produkte vielleicht wirklich helfen, etwa durch Autosuggestion und den Placebo-Effekt, bei anderen werden sie gar nichts bewirken und einer letzten Gruppe werden sie schaden. Da Sie nicht wissen können, zu welcher dieser Gruppen Sie gehören, lautet, noch einmal, unser Rat: Lassen Sie die Finger von Standardprodukten von Alternativmedizinern und hüten Sie sich auch vor den Alternativmedizinern, die ein Mittel für alle anpreisen.
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