Böse Heiler. Ashish Bhalla

Böse Heiler - Ashish Bhalla


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die Menschen anhand ihrer Strahlung einzuschätzen. In ihren Mann habe sie sich deswegen auf den ersten Blick verliebt. Aber erst nach der Hochzeit habe sie sich ihm anvertraut. Er habe ihr geraten, eine Ausbildung als Medium zu machen.

      Der Arzt habe das Gespräch unterbrochen, indem er sie zur Therapie bat, aber sie sei nun neugierig gewesen. Sie habe sich ein Herz gefasst und beim Arzt nachgefragt. Er habe ihr gesagt, dass seine Frau ausgewählte Patienten von ihm als therapeutisches Medium begleite. So habe es angefangen.

      Die »Frau Doktor« habe sie wirklich intensiv mental unterstützt. Erst in letzter Zeit habe Elisabeth Kemäter bemerkt, dass sie wieder etwas schwächer geworden sei. Da habe sie gedacht, vielleicht habe sich die Wirkung der Kräuter in Verbindung mit der Ozontherapie abgenutzt. Sie wollte von mir wissen, ob ich nicht noch andere Kräuter habe, die ihr neue Kraft geben können.

      Es gibt Momente, da muss ich in meinem Berufsleben als Arzt erst einmal tief durchatmen. Um nicht vorschnell zu urteilen, untersuche ich sie gründlich. Fazit: Ihr Zustand ist noch schlimmer, als die Blickdiagnose offenbart. Obwohl es mir menschlich schwerfällt, ist es meine Pflicht, ihre Hoffnung in die unnütze Therapie zu zerstören. Allerdings versuche ich, ihr die Wahrheit so schonend wie möglich beizubringen. Ich erkläre ihr, warum es möglich ist, dass speziell im Internet Therapien von Patienten empfohlen werden, obwohl diese Therapien erwiesenermaßen nichts bringen.

      Das Problem ist, dass Patienten in manchen Fällen nicht einschätzen können, ob die Behandlung erfolgreich war. Das ist besonders häufig bei Krebs der Fall, denn Krebs spüren die Betroffenen die längste Zeit nicht. Manche Behandlungen wirken zwar nicht gegen den Krebs, aber sie sorgen dafür, dass die Patienten ein besonderes körperliches Wohlbefinden entwickeln. Sie fühlen sich gestärkt. Ich habe oft Krebspatienten, die sich bestens fühlen. Wenn sie nicht wüssten, dass sie an Krebs leiden, hätten sie gar kein Problem. Sie hätten gar keinen Grund, zu mir zu kommen. Ihre Lebensqualität wäre nicht gemindert. Bis zu einem gewissen Punkt.

      Mit der falschen Therapie wächst der Krebs im Körper ungehindert weiter. Viele Krebsarten bilden Metastasen, also Tochtergewebe, die sich über den ganzen Körper verbreiten können. Irgendwann kommt der Punkt, ab dem das Immunsystem gegen zu vieles gleichzeitig kämpfen muss. Dann wird der Körper ganz schwach und verfällt.

      Elisabeth Kemäters Augen weiten sich vor Entsetzen, als sie das hört.

      Offenbar habe ich genau den Prozess beschrieben, den auch sie durchmacht. Ich nehme ihre Hände in meine und beschwöre sie. »Bitte fahren Sie ins Spital. Immerhin haben Sie noch keine Schmerzen. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.«

      Elisabeth Kemäter verlässt meine Praxis heulend. Ich bin nicht sicher, ob ich jemals wieder von ihr hören werde.

      Zwei Monate später bekomme ich von ihr einen Anruf. »Ich bin geheilt«, berichtet sie mir mit jubelnder Stimme.

      Sie erzählt, dass sie nach dem Besuch bei mir geradewegs zu jenem Arzt und seiner »Frau Doktor« gefahren ist und ihnen berichtet hat, was ich gesagt habe. Das hätten die beiden sehr ernst genommen und sie an eine Klinik in Deutschland verwiesen. Dort sei sie nun acht Wochen lang wirklich intensiv von früh bis spät behandelt worden. Heute ist sie endlich entlassen worden. Der Chefarzt habe ihr persönlich attestiert, dass ihr Körper krebsfrei sei.

      Da kann ich nur den Kopf schütteln. »Frau Kemäter, bitte verzeihen Sie, aber das kann ich beim besten Willen nicht glauben. Bei Ihrem Zustand wäre eine vollständige Heilung in nur acht Wochen wirklich ein Wunder.«

      Ich erkläre ihr, dass sie mir das nicht glauben muss, dass sie es aber überprüfen soll. Sie hat eine Möglichkeit, festzustellen, ob ihr Körper wirklich frei von Krebszellen ist. Eine histologische Untersuchung kann ihr hundertprozentige Sicherheit geben.

      Sie seufzt hörbar. »Herr Doktor Bhalla, ich hätte gehofft, dass Sie sich mit mir freuen. Vielleicht schaffen Sie das, wenn wir uns das nächste Mal begegnen. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute.«

      Bevor ich weiter auf sie einreden kann, beendet sie das Gespräch.

      Wenige Wochen später erhalte ich einen Anruf von ihrem Pfarrer. Elisabeth Kemäter hat ganz plötzlich starke Schmerzen an der Wirbelsäule bekommen. Die Rettung musste sie ins Spital bringen. Die Ärzte dort haben festgestellt, dass ihr ganzer Körper voller Metastasen ist. Der Pfarrer sagt, sie wolle in ihren letzten Tagen keine Besuche. Aber er solle mir etwas ausrichten. Elisabeth Kemäter möchte mir danken für meine Warnungen und sich entschuldigen für das letzte Telefonat, das sie so vorschnell beendet hat.

      Zwei Wochen später informiert mich der Pfarrer vom Tod von Elisabeth Kemäter. Zum Glück musste sie nicht mehr sehr lange leiden. Der Pfarrer sagt mir auch, welche Art von Krebs sie getötet hat. Es war eine besonders aggressive Krebsart, bei der allerdings mit einer rechtzeitigen Chemotherapie hohe Heilungschancen bestanden hätten.

      Elisabeth Kemäter könnte heute noch leben, wäre sie nicht einem Arzt auf vermeintlich alternativmedizinischen Abwegen in die Hände gefallen und seiner »Frau Doktor«, die selbst natürlich nie Medizin studiert, sondern den Titel quasi informell mit der Ehe übernommen und daraus gemeinsam mit ihrem Mann ein zweifellos lukratives Geschäftsmodell entwickelt hat. Zum Zeitpunkt ihres Todes war Elisabeth Kemäter erst 48 Jahre alt.

      Die Scharlatanerie boomt

      Veronika Allsitter und Elisabeth Kemäter sind keine Einzelfälle. Immer wieder sind mein Kooperationspartner Christian Wolf und ich mit alternativmedizinischer Pfuscherei und tragischerweise auch mit dadurch verursachten Todesfällen konfrontiert. Mit Todesfällen, die völlig unnötig sind.

      Zur Vermeidung möglichst vieler solcher Schicksale haben Christian und ich beschlossen, dieses Buch zu schreiben. Denn wie kaum jemand anderer sind wir beruflich mit Patienten konfrontiert, die uns zeigen, was in der Alternativmedizin alles schiefgeht. Selbsternannte Heiler überschreiten ihre Möglichkeiten und Befugnisse bei weitem und behandeln Patienten offensichtlich falsch. Diejenigen, die dabei nur finanziellen Schaden davontragen, können noch von Glück reden.

      So wichtig die Alternativmedizin als Ergänzung zur klassischen Medizin sein mag, so schwer ist sie auch greifbar. Ihr weites Feld ist unübersichtlich wie ein Dschungel. In diesem Dschungel lauern neben Experten bestimmter alternativmedizinischer Fachrichtungen jede Menge unter Umständen lebensgefährliche Scharlatane.

      Das Wort Scharlatan kommt vom italienischen »ciarla«. Das bedeutet »Geschwätz«. Scharlatane nehmen seit jeher den Mund zu voll. Sie suggerieren eine Kompetenz, die sie nicht haben. Es gab und gibt sie nicht nur in der Medizin. In allen möglichen Fachgebieten und Branchen tauchen diese angeblichen Experten auf, denen es an Expertise mangelt. Hellseher, die nicht hellsehen können, Regenmacher, die keinen Regen machen können, Baumeister, deren Gebäude einstürzen, Aktienhändler, deren Papiere sich als wertlos herausstellen, Pseudowissenschaftler und Pseudogelehrte aller Art.

      In der Medizin waren und sind Scharlatane diejenigen, die ihre Heilungsversprechen auf fragwürdigem oder gar keinem Wissen begründen und diese Versprechen so auch niemals halten können. Der Begriff »Scharlatan« ist dabei so negativ besetzt, dass er landläufig sofort mit »Betrüger« gleichgesetzt wird.

      Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied zwischen Scharlatanen und Betrügern. Betrüger sind jene, die, um ihren Profit zu steigern, bewusst etwas versprechen, das ihr Produkt oder ihre Dienstleistung nicht hält. Solche Verbrecher gibt es in jeder Branche. Auch in der Alternativmedizin gibt es eine Menge solcher Gestalten. Sie stellen allerdings nicht das Gros der Scharlatane dar, mit denen wir uns hier befassen wollen.

      Die meisten Menschen, die wir hier als Scharlatane bezeichnen, sind jene, die nicht bewusst betrügen und dennoch falsche Heilsversprechen abgeben. Sie sind deshalb keine Betrüger, weil sie tatsächlich mehr oder weniger an die Heilkraft ihrer Methoden glauben. Sie geben vielleicht sogar ihr Bestes. Es kommt ihnen meist gar nicht in den Sinn, dass sie Scharlatane sein könnten. Manchen Patienten helfen sie vielleicht sogar, oft allein durch einfühlsame Zuwendung und Berührung. Diese Patienten kommen wieder zu ihnen und geben ihnen positive Rückmeldungen. Kommen Patienten nicht wieder, gehen sie vielleicht davon aus, dass ihre Behandlung


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