Böse Heiler. Ashish Bhalla

Böse Heiler - Ashish Bhalla


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Kemäter seufzt leise. »Eigentlich weiß ich gar nicht … Vielleicht verschwende ich nur Ihre kostbare Zeit.« Verschämt senkt sie den Blick.

      »Sie verschwenden meine kostbare Zeit«, antworte ich mit gespielter Strenge, »wenn Sie mir nicht sofort sagen, was los ist.«

      Das erlaube ich mir, denn wir kennen uns flüchtig. Sie kommt aus dem Nachbarort. Bei diversen lokalen Feierlichkeiten sind wir einander bestimmt schon dutzende Male begegnet. Ich weiß, dass sie in einer Logistikfirma arbeitet und dass sie die gute Seele in ihrer Pfarrgemeinde ist. Deshalb hat es mich auch nicht gewundert, dass es ihr Pfarrer war, der mich um einen Termin für sie bat. »Also los«, sage ich.

      Erneut seufzt Elisabeth Kemäter leise. »Ich weiß es nicht. Vielleicht komme ich nur zu früh in die Menopause. Ich fühle mich so …« Ihr Kopf sinkt noch tiefer.

      »Kraftlos?«, frage ich.

      »Ja. Dabei ernähre ich mich gesund, mache Nordic Walking, achte auf genügend Schlaf. Auch meine Laborwerte sind in Ordnung.«

      Überraschend flink und mit jetzt beflissener Miene zieht sie einen Befund aus ihrer Handtasche und reicht ihn mir. Danach versinkt sie wieder zwischen ihren Schultern.

      Ich überfliege den Befund. Tatsächlich unauffällig, abgesehen von einem leicht erhöhten Wert bei der Blutsenkung. Das kann alles und nichts bedeuten. Meistens steckt eine harmlose Entzündung dahinter. In seltenen Fällen kann es aber auch Krebs sein. Ich mustere sie eingehend. »Haben Sie Probleme mit dem Zahnfleisch?«

      Sie schüttelt den Kopf. »Mein Zahnarzt sagt, wenn nach dem großen Atomkrieg irgendwas übrig bleibt, dann ist das mein Gebiss.« Immerhin lächelt sie jetzt und zeigt mir tatsächlich strahlende Zähne.

      »Irgendwelche Schwellungen haben Sie auch nicht bemerkt?«, frage ich weiter.

      Sie schüttelt den Kopf. »Keine Schwellungen, keine Schmerzen. Seit vier Monaten nehme ich alle erdenklichen Vitamine und Spurenelemente zusätzlich zum Essen. Und ich trinke zweieinhalb Liter Wasser am Tag.«

      »Sehr brav.« Ich zwinkere. »Also stehen wir vor einem Rätsel.«

      Ich frage nach ihren Lebensumständen. Dafür nehme ich mir Zeit. Aber es ist nichts weiter auffällig, außer dass sie sich offenbar sowohl im Beruf als auch in der Pfarrgemeinde sehr für andere einsetzt. Das mag zwar anstrengend sein, ist jedoch noch kein Grund für ein andauerndes Schwächegefühl. Zumal sie ansonsten alles richtig macht. Sie raucht nicht, trinkt nur selten Alkohol, ernährt und bewegt sich altersgemäß vorbildlich, erfährt auch viel Zuwendung von Familie und Freunden, weshalb sie meint, sie könne sich nicht wirklich als alleinstehend bezeichnen, obwohl sie allein lebt. Gemäß ihren Worten müsste sie kerngesund sein. Ihre zusammengesunkene Körperhaltung steht allerdings in krassem Gegensatz zu diesen Worten.

      Da mir das Gespräch keine konkreten Anhaltspunkte liefert, wird es Zeit für die körperliche Untersuchung. Ich bitte sie, den Mund zu öffnen und sehe mir ihre Zunge an. Die ist unauffällig. Nun nehme ich ihre Hände und beginne mit der Pulsdiagnostik. Was ich dabei spüre, entspricht ganz ihrer Körperhaltung. Sie ist tatsächlich schwach. Irgendetwas stimmt nicht mit ihr.

      Ich bitte sie hinüber zur Liege hinter den Paravent und ersuche sie, den Oberkörper freizumachen. Aber auch das Abklopfen und Abhören bringt kein spezifisches Ergebnis, außer dass Herz und Lunge sich normal anhören.

      Mit ihrer Erlaubnis taste ich auch ihre Brust ab, fühle jedoch zum Glück keine Knoten. Sollte sich irgendwo ein Tumor verstecken, dann ist er entweder noch klein oder er versteckt sich sehr gut.

      Fazit: Ich kann nicht genau sagen, woher diese große Schwäche kommt. Genau dieser Umstand bereitet mir Sorgen.

      Ich ersuche Elisabeth Kemäter, sich wieder anzuziehen und auf dem Patientenstuhl Platz zu nehmen. Dessen Stabilität wird sie jetzt brauchen. Ich teile ihr das Ergebnis meiner Untersuchung mit. »Es muss nicht Krebs sein, aber es könnte Krebs sein.«

      Sie sackt noch weiter in sich zusammen und wendet sich ab. »Das ist ein Albtraum«, murmelt sie.

      »Wie gesagt, es muss nicht Krebs sein«, versuche ich ihr ein wenig Mut zu machen. Aber ich muss ihr auch sagen, dass es etwas Ernstes sein kann. Das gehört so schnell wie möglich abgeklärt.

      Zum Glück gibt es Möglichkeiten, Genaueres herauszufinden. Ich schreibe ihr eine Überweisung zur Computertomographie und zur Mammographie und empfehle ihr ein Spital mit einem Brustkompetenzzentrum. Vorsicht ist besser als Nachsicht. Der schlimmste Fall, also in diesem Fall Krebs, sollte entweder durch exakte Untersuchungsmethoden ausgeschlossen oder so schnell wie möglich erkannt und behandelt werden. Außerdem verschreibe ich ihr einige Kräuter, damit es ihr von der Kraft und von der Psyche her besser geht.

      Ein ganzes Jahr lang höre und sehe ich nichts mehr von Elisabeth Kemäter. Das ist in meiner Ordination nichts Ungewöhnliches. Ich bin kein Hausarzt, der für eine fixe Gruppe von Patienten die zentrale Ansprechstelle in Sachen Gesundheit ist. Ich bin Wahlarzt. Nur jene Patienten, für die ich einen Therapieplan mache, will ich zur Kontrolle wiedersehen. Wenn ich Personen an andere Stellen weiter verweise, dann erwarte ich nicht unbedingt, dass sie wiederkommen.

      Über die Terminanfrage von Elisabeth Kemäter nach einem Jahr freue ich mich. Schließlich bin ich neugierig zu hören, wie es ihr ergangen ist.

      Ich nehme meine Patienten gerne wie ein guter Gastgeber in Empfang. Daher gehe ich üblicherweise durch den kleinen Gang, der zu meinem Behandlungsraum führt, hinaus ins Wartezimmer.

      Auch Elisabeth Kemäter gehe ich entgegen. Bei ihrem Anblick erschrecke ich innerlich. Sie sieht elend aus. Den Kopf hält sie zwar nicht gesenkt wie bei ihrem Besuch vor einem Jahr. Aber dass sie schwer krank ist, sieht auch jemand, der keine medizinische Ausbildung hat. Sie ist blass, ihre Wangen sind eingefallen. Vor einem Jahr war sie schlank, jetzt wirkt sie ausgezehrt. Ihre Körperhaltung hingegen wirkt trotzig. Erhobenen Hauptes reicht sie mir die Hand, sichtlich bemüht um einen kräftigen Händedruck, der gleichwohl schwach ausfällt.

      Ich beginne unser Gespräch trotz meiner Bestürzung mit der Frage, was seit ihrem letzten Besuch passiert ist.

      Daraufhin erzählt mir Elisabeth Kemäter, dass sie vor vielen Jahren einmal auf einer Krebsstation zu Besuch war. Die von der Chemotherapie aufgedunsenen Gesichter haben sie danach bis in ihre Träume verfolgt. Aus dem Schlaf aufgeschreckt sei sie immer an dem Punkt, wo sie im Traum in die Krebsstation eingeliefert wurde. Daher habe sie es nicht über sich gebracht, in das von mir empfohlene Spital zu gehen. Mit anderen Menschen über ihr Problem reden wollte sie auch nicht, denn sie habe niemanden belasten wollen. Stattdessen habe sie sich im Internet schlau gemacht, was man bei Krebs so alles tun könne. Da sei sie auf einen Arzt gestoßen, also einen echten Schulmediziner, keinen seltsamen Kurpfuscher. Über diesen Arzt wurde von mehreren Seiten berichtet, dass er Krebspatientinnen ohne Chemotherapie geheilt habe. Deshalb sei sie zu ihm gegangen. Er habe eine Mammographie mit ihr gemacht, und tatsächlich: Brustkrebs. Daraufhin habe sie mit ihm die Alternativen zur Chemotherapie erörtert und sich für Vitamininfusionen, Hyperthermie und Ozonspritzen entschieden.

      An dieser Stelle muss ich den Impuls unterdrücken, die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. Alle diese Therapien wurden wissenschaftlich untersucht und haben bei Krebs nachweislich keinen Effekt gezeigt.

      »Bei den Therapien habe ich sofort gemerkt, dass sie gut wirken«, fährt Elisabeth Kemäter mit ihrer Erzählung fort. Sie habe natürlich auch brav die Kräuterpillen genommen, die ich ihr verschrieben habe. Die Kombination habe der Arzt auch ausdrücklich befürwortet. Dann habe sie die Frau des Arztes kennengelernt. Sie beschreibt sie als »beeindruckende, feine Dame«. Die lud sie einmal zum Tee ein, weil der Herr Doktor noch mit einem anderen Patienten beschäftigt war. Sie seien auf die Heilkraft der geistigen Welt zu sprechen gekommen und darauf, dass es viel mehr zwischen Himmel und Erde gäbe, als wir uns vorstellen können. »Da konnte ich als Gläubige der Frau Doktor nur zustimmen«, sagt sie.

      Die »Frau Doktor« habe ihr anvertraut, dass sie schon in der Kindheit die Strahlungen, die von Menschen, Tieren und Pflanzen ausgehen, gesehen habe. Das sei für sie so normal gewesen, dass sie erst mit


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