Nur Flausen im Kopf? - Jugendliche verstehen. Michael De Boni

Nur Flausen im Kopf? - Jugendliche verstehen - Michael De Boni


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also das Lernen von erwünschten Verhaltensweisen erleichtern.

      Welche Funktionen und Kompetenzen sind von der Umbauphase betroffen?

      Die folgende Zusammenstellung zeigt das breite Spektrum der Funktionen und Kompetenzen, die es während der Adoleszenz zu entwickeln und zu fördern gilt. Ihre neuronalen Grundlagen sind in dieser Zeit noch nicht voll betriebstauglich, diese »frontalen Funktionen« müssen sich erst noch herausbilden. Die Inhalte der Tabelle wurden aus vielfältigen Quellen der Fachliteratur zusammengestellt, wobei der Wortlaut möglichst beibehalten wurde. Es werden in der Literatur teilweise gleiche oder ähnliche Funktionen beschrieben, die aber durch ihre verschiedenen Nuancen feine qualitative Unterschiede sichtbar machen und Hinweise auf spezifisches Verhalten geben. So gesehen, kann diese Sammlung der verschiedenen frontalen Hirnfunktionen auch als Basis für ein Diagnoseinstrument verwendet werden.

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      Dem Gehirn beim Umbau helfen!

      Im Umgang mit Jugendlichen können aus der Sicht der Gehirnentwicklung Erzieherinnen und Erzieher nur eines tun: dem Gehirn beim Umbau helfen, Struktur und Sicherheit gewähren, aber auch viele Trainingsmöglichkeiten für die »Feinverdrahtung« anbieten. Dies kann nur gelingen, wenn die erwachsenen Bezugspersonen bereit sind, beim »Gerüstbau« zu helfen, aber nach »Bauabschluss« das »Gerüst« auch wieder zu entfernen. Konkret heißt das: Diskussionen, Wertediskussionen, ethische Fragen erläutern, Verhalten hinterfragen, Konsequenzen aufzeigen, Probleme strukturieren helfen, Modell sein …

      Die Tatsache, dass Jugendliche sich in einer schwierigen Entwicklungssituation befinden, impliziert also nicht, dass die Umwelt mit übertriebener Nachsicht und Rücksicht oder gar mit überzogener Toleranz reagieren soll. Im Gegenteil: Die steuernden und kontrollierenden Funktionen müssen immer wieder neu geübt werden, und dazu braucht es möglichst viele Gelegenheiten. Es geht dabei nicht um militärischen Drill oder um Machtdemonstrationen, die nur kontraproduktiv wirken und Resistenz erzeugen: Widerstand. Es gilt also die Devise: Unterstützung und Förderung vor Repression und Strafe. Dabei ist es wichtig, dass die noch weniger entwickelten Funktionen immer wieder trainiert werden können, zum Beispiel: Aufmerksamkeit, Selbstkontrolle, Emotionskontrolle, aber auch das Arbeitsgedächtnis, Planen und Organisieren. Der Reifungsprozess erzwingt nach Jäncke (2009) gleichsam eine »sinnvolle pädagogische Stimulation«. Denn die Reifung hängt entscheidend davon ab, welche neuronalen Netzwerke während der Reifung stimuliert werden und welche nicht. Der Reifungsvorgang ist für Jäncke so etwas wie ein Bonsai-Gärtner, der den Frontalcortex in Abhängigkeit von bestimmten Rahmenbedingungen modelliert. Am wichtigsten sei dabei der Gebrauch der jeweiligen Netzwerke. Netzwerke, die gebraucht würden, etablierten sich im Zusammenhang mit der Reifung und würden nicht eliminiert, während ungenutzte Netzwerke ihre Verbindungen abbauten. Kinder und Jugendliche, die vom Frontalcortex kontrollierte Funktionen häufig nutzten, würden diese Funktion und ihre kontrollierenden Netzwerke besser etablieren. »Für den Schulalltag (aber auch für die Erziehung im Allgemeinen) bedeutet dies, dass die LehrerInnen, die Schulorganisation und insbesondere die Eltern sich diesen Gegebenheiten anpassen« (Jäncke 2009, S. 43).

      Das Bild der »Baustelle im Gehirn« taugt gut für den pädagogischen Umgang mit Jugendlichen. Wer schon einmal gebaut oder umgebaut hat, weiß, dass es normal ist, wenn nicht immer alles nach Plan verläuft. Dennoch werden Mittel und Wege gesucht, den Bau voranzutreiben. Wenn aber Fehler übersehen werden, wirken sich diese in späteren Bauphasen unter Umständen massiv aus. Ein allzu nachlässiger Umgang mit den Sicherheitsbestimmungen auf der Baustelle, aber auch bei statischen Berechnungen kann katastrophale Folgen haben. Auf der andern Seite muss auf der Baustelle Vertrauen in die Mitarbeiter vorausgesetzt werden, man kann niemanden auf Schritt und Tritt überwachen.

      Die ständige Kontrolle des Architekten und des Bauführers ist eine wichtige Voraussetzung, damit das geplante Gebäude in der vorgegebenen Zeit erstellt wird. Dennoch kann es zu Verzögerungen in den Bauphasen kommen. Dies gilt analog für den »Umbau« des Jugendlichengehirns: Entwicklungsfortschritte sind zwar zu erwarten, so können Eltern und Lehrpersonen davon ausgehen, dass in einem bestimmten Lebensalter der Grundanstand eingehalten wird und sich langsam Fähigkeiten entwickeln, die ein Miteinander erleichtern. Diese Fähigkeiten sind aber nicht immer auf tragfähigen neuronalen Strukturen aufgebaut, und es kann zu »Kurzschlüssen« kommen. Jugendliche, Eltern und Lehrpersonen müssen mit dieser gegenseitigen Zumutung umzugehen lernen. So sind es nicht die Lehrenden und Erziehenden auf der einen Seite, die die Jugendlichen auf der andern Seite erziehen und belehren. Der Umgang miteinander auf der Baustelle erfordert vielmehr gegenseitige Lernbereitschaft.

      »Absicherung der Baustelle« – Merkpunkte

      • Statt Schuldgefühle zu generieren, orientiert man sich besser an Lösungen und entwickelt gemeinsam Ziele und Lösungswege.

      • Strukturierungshilfen geben, wo der/die Jugendliche sich noch nicht genügend/angemessen selbst strukturieren kann, und zwar, wenn erforderlich, bis ins junge Erwachsenenalter hinein.

      • Humanistische Fehlerkultur, d.h. angemessene Fehlertoleranz – Möglichkeiten schaffen, aus Fehlern zu lernen (Reflexion fördern).

      • Langsam »Selbsthilfeprogramme« entwickeln.

      • Weder über- noch unterfordern.

      • Sinnvolle soziale Beiträge ermöglichen.

      • Selbst- und Impulskontrolle aufbauen helfen.

      • Lernwirksame Feedbacks geben.

      • Lernaufgaben definieren, Zielvereinbarungsgespräche führen.

      • Orientierungshilfen mit Auswahlcharakter geben, sodass Hilfen tatsächlich als Hilfen und nicht als Zwang verstanden werden.

      • Entscheidungssituationen ermöglichen.

      • Aufmerksamkeitsspanne langsam ausbauen, Konzentrationsphasen trainieren.

      • Aufbau von selbsttätigem Handeln.

      Denken und Fühlen kombinieren

      Gefühl und Denken, Emotionen und Kognitionen lassen sich nicht trennen. Es geht immer um ein Zusammenspiel zwischen limbischen Strukturen, frontalen Hirnregionen und kognitiven Hirnstrukturen.

      Der Umbau ist das eine, das wir im Umgang mit Jugendlichen immer im Auge behalten sollten; in der Schule können uns aber auch andere Erkenntnisse aus der Hirnforschung nützlich sein, nicht zuletzt alles, was mit »Lernen« zu tun hat. Inhaltliches und soziales Lernen in der Schule gelingt dann besonders gut, wenn die physiologischen Gegebenheiten des Gehirns ausgewogen mitberücksichtigt werden. Ein wichtiges Fazit von Gerhard Roth ist, dass neues Wissen im Gehirn der Lernenden durch das »teils bewusste, teils halbbewusst-intuitive, teils unbewusste Zusammenfügen von bereits vorhandenem Wissen entsteht. Der Lehrende kann diese Prozesse nicht direkt steuern oder gar erzwingen, sondern nur durch Rahmenbedingungen erleichtern« (Roth 2009b, S. 24). Dabei wird, wie aus der folgenden Abbildung hervorgeht, die große Bedeutung des limbischen Systems für das Lernen hervorgehoben.

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