Liebesmühen. Detlef Klöckner

Liebesmühen - Detlef Klöckner


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sagt, ihr zu verzeihen hänge entscheidend davon ab, ob er begreife, warum das geschehen sei. Warum gerade ihm, der immer treu war, und warum gerade jetzt?1

      Prolog

      Von Deinen Sinnen hinaus gesandt geh bis an Deiner Sehnsucht Rand

      Rainer Maria Rilke

      Bisweilen beschleichen uns Ahnungen, und manchmal sind wir überzeugt, dass es schlecht enden wird. Aber oft bricht es aus heiterem Himmel über uns herein, sind es schockierende Entdeckungen, die uns viel zu spät vor Augen führen, dass etwas Grundlegendes nicht mehr in Ordnung ist. Tatsächlich verschleiern solche Episoden wie die geschilderte eher, was im Schatten des Alltags schon länger schief gelaufen ist und die Beteiligten unglücklich gestimmt hat. All die erduldeten Kränkungen, das Nachlässige und Lieblose, die beiläufigen Gehässigkeiten, die wir bei Lichte betrachtet gar nicht gewillt sind hinzunehmen, übersehen und verdrängen wir so lange, wie es uns gelingt, irgendwie damit zurecht zu kommen. Bis es nicht mehr geht oder eine Belanglosigkeit das Fass zum Überlaufen bringt.

      Seitensprünge wie jener von Frau F. müssen sich nicht zutragen, passieren aber immer wieder. Im Fremdgehen zeigen sich die Widersprüche und Rückschläge eines Lebens, das einstmals angetreten war, sich alles zu sein. Ohne Fehl und Tadel, ohne das unschöne Andere auszukommen, ist unmöglich. In jeder Liebesbeziehung kommt es zu Vertrauensbrüchen, hat man Geheimnisse voreinander und geht auch eigene Wege. Manches davon spielt keine Rolle, manches tut der Beziehung sogar gut, anderes bekommt ihr schlecht.

      Nur mit den Lügen ist es so eine Sache. Die meisten Lügen fliegen früher oder später von selbst auf. Dafür kennt man sich zu gut und teilt zu viel. Und obwohl wir wissen, wie schnell es schief gehen kann, handeln wir immer wieder mal auch im Verborgenen. Auch Liebende hintergehen sich und schummeln Dinge aneinander vorbei. Unerkannt scheint manches einfacher zu gehen, und unbeobachtet wird mancher Schritt auch erst getan. Cosi fan tutte!Hin und wider tut es jeder.

      Seltsamerweise glaubt die Mehrheit dennoch felsenfest, Untreue sei der überwiegende Ausdruck eines mangelhaften Charakters. (So denken zumindest die Hintergangenen.) Nicht gar so viele halten die fehlende erotische Standfestigkeit für eine Konsequenz wahrhaftiger, nämlich nicht zu bändigender Leidenschaft oder schreiben es wenigstens schicksalhaften Verwicklungen zu. (So argumentieren oft die Romantischen und Wankelmütigen.) Wenn das an sich Verwerfliche ohnehin vorkommt, dann sollten Affären wenigstens gekonnt vertuscht werden. Zu viel amouröses Durcheinander bringt das Leben unnötig aus dem Lot und gehört sich einfach nicht. (So mahnen die Sturmerprobten.) Ob mehr mit moralischer Entrüstung, mehr mit lustvollem Fatalismus oder durch die weise Brille der Erfahrung betrachtet, Unverlässlichkeit in der Liebe ist anrüchig und trägt den dicken Stempel des Vermeidbaren.

      Leidvolle Sequenzen gehören aber ebenso zur Liebe wie die auf ewig geschworene Treue; und obwohl Leid die untrennbare Kehrseite der Leidenschaft ist, soll kein Kummer die Liebe trüben und die Treue niemals nachlassen. Dennoch passiert es und es verändert die Beziehung. (Illouz 2011) Da helfen keine Schwüre und keine Tabus. In jeder Liebesbeziehung stellt sich vielmehr die Frage, was dem Einzelnen so schwer fällt zu lassen, beziehungsweise welche anderen Motive neben unseren liebevollen Absichten noch in uns arbeiten. Was sind das für ›dunkle Antriebe‹, die uns in Schwierigkeiten bringen? Anders gefragt: Lohnt es der Mühen, Dinge aufhalten zu wollen, die scheinbar nicht aufzuhalten sind, und umgekehrt bedacht, lohnt es der Probleme, die uns manches Unbedachte und unsere andere Seite einbringen?

      Solchen Fragen soll hier auf den Grund gegangen werden, wobei es um den flagranten Treuebruch gar nicht in erster Linie geht. Leidenschaftliche Fiasken und ihre misslingenden Vertuschungsversuche sind der übliche Stoff eines Dramas, der nur deshalb zu Krisen führt, weil Paare ihn ausschließen. Katastrophen in der Machart des Paares F. werden in den folgenden Kapiteln quasi nebenher besprochen. Viel schwieriger ist es, und darauf liegt die Aufmerksamkeit des Buches, die normalen Entwicklungen und Wendungen einer Liebesbeziehung, sozusagen die einfachen komplizierten Dinge des gemeinsamen Lebens, hinzubekommen.

      Dieses Buch hat das Mühevolle einer Liebesbeziehung zum Thema. Es geht der Frage nach, wie man leidvollen Entwicklungen und Irrungen konstruktiv und liebevoll begegnen kann. Liebesmühen dreht sich hauptsächlich um das Zwangsläufige, um die unaufhaltbaren Veränderungen eines Paares, die erlittenen Enttäuschungen, Ermüdungen und den einsetzenden Überdruss; schlicht, es geht um die unvermeidbaren Störungen einer Lebensgemeinschaft, die auf Liebe beruht, und um die Haltung, mit der man Krisen und Traumata sinnvoll begegnen kann.

      Normalerweise ist es so, das wir uns um anstehende Korrekturen so lange herumdrücken, wie es nur eben gelingt, ohne Konsequenzen durchzukommen. Da ist es in der Liebe nicht anders als im sonstigen Leben. Besonders in Liebesdingen legen wir großen Wert darauf, dass sich möglichst wenig ändert. Die Liebe, so wie sie begonnen hat, ist einmalig in ihrer Art, soll sich nicht wandeln. »Verweile doch, du bist so schön!« ist keine Poesie für schlichte Gemüter. Hinter Fausts Flehen steckt Goethes Verständnis über die Paradoxie einer gesitteten und gleichsam leidenschaftlichen Lebensführung. (Goethe 1998) Nun wissen wir aber, es ist uns nicht vergönnt, die Zeit anzuhalten, auch in der Liebe nicht. Gerade Paarbeziehungen unterliegen unaufhaltsamen Wandlungen.

      In der Unaufhaltbarkeit des Wandels ist die Liebesbeziehung dem griechischen Drama ähnlich. Das dramatische Schauspiel besitzt eine weitläufig vorgezeichnete Choreographie. Es unterliegt Gesetzmäßigkeiten und muss nicht schlecht enden, aber sein Verlauf wird den Protagonisten aufgezwungen. Die Entwicklungen einer Liebesbeziehung finden auf eine vergleichbare Weise statt, und zwar einfach, weil wir die Beziehung leben, aus keinem anderen Grund. Innerhalb des Ablaufes haben wir es natürlich in der Hand, Einfluss zu nehmen, darauf nämlich, welche Entscheidungen wir treffen und welche Haltungen wir einnehmen wollen. Aber niemand kann den grundlegenden Entwicklungsprozess einer Liebesbeziehung umschreiben. Das Skript der psychologischen Wandlungen steht fest, alles Weitere ist individueller Natur und wird von den Umständen geprägt.

      Zunächst hört sich diese Aussage seltsam fatalistisch an. Sind es denn nicht in erster Linie vermeidbare Situationen, Umgangsweisen und unvorhersehbare Schicksalsschläge, die eine Beziehung belasten und in die schwierige Richtung navigieren? Das auch, aber neben den problematischen Ereignissen, die auf unserem persönlichen Mist gedeihen, für die wir Verantwortung tragen, findet unterschwellig eine kontinuierliche Umwälzung statt, die langsam, aber stetig unsere Wahrnehmung und unser Handeln transformiert. Diese Entwicklung ist das psychologische Resultat ständig anwachsender Erfahrungen miteinander. Sie verläuft jenseits des Einflusses unseres guten oder schlechten Willens.

      Der Romantiker in uns schreit wahrscheinlich längst laut auf: Muss es denn wirklich immer kompliziert werden und kann es nicht nur schön und leicht bleiben? Nein, einfach und ›wie von selbst‹ geschieht das nie auf Dauer, weil nichts bleibt, wie es beginnt. Was einem Paar absehbar widerfährt und wie ein Paar die vorgezeich neten Veränderungen meistern kann und sogar davon profitiert, ist das Thema dieses Buches: Es geht um Herausforderungen, die man verweigern kann, an denen man scheitern kann oder an denen man gemeinsam wächst.

      Trotz eigener Erfahrungen und zugetragener Geschichten, die sich mit der Eingangsszene vergleichen lassen, und im Bewusstsein um vielerlei Anfechtungen anderer Art sind unsere Sehnsüchte unbeirrbar auf die ewig störungsfrei verbundene Liebe gerichtet. Das untermauern zahlreiche Untersuchungen zum Thema. Im tiefsten Inneren scheint der moderne Mensch der Vision verfallen zu sein, dass eine Zweisamkeit in Liebe unantastbar und unveränderlich zu sein hat. Was der beflügelnde Traum geflissentlich übersieht, sind die Fährnisse des alltäglichen Lebens. Eine erotische Dreiecksbeziehung – also ein Beziehungsgeflecht, in dem normalerweise eine Person leidenschaftliche Beziehungen zu zwei anderen unterhält, wovon die eine meist unterschlagen wird – ist dabei nur eine Variante an sich verwickelter Gefühlslagen und Tatsachen, mit denen ein Paar zurecht kommen muss.

      In Wirklichkeit balancieren wir ständig zwischen widerstreitenden Motiven


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