Liebesmühen. Detlef Klöckner
existenzielle Schieflagen. Dennoch verzehren wir uns nach dem Bild der einfachen und erhabenen Liebe. Wir alle stehen (mal mehr mal weniger) unter dem Einfluss des romantischen Liebesideals: Du bist mein Ein und Alles! So erwarte ich es auch umgekehrt und so soll es von uns beiden auf immer empfunden und praktiziert werden. Gegen diesen strahlenden Traum scheint noch immer kein Einwand gewachsen.
Es ist überflüssig, gegen solche Hoffnungen anzugehen. Warum auch? Lieber scheitern wir mehrfach an der schönen Idee, als diese letzte und höchste aller Utopien aufzugeben. Es kann also nicht meine Absicht sein, den Liebeswahn zu diskreditieren. Ich möchte aber auf Probleme verweisen, die uns begegnen, wenn wir der Liebe folgen und uns quasi bedingungslos ›auf ewig und durch schlechte Zeiten hindurch‹ verbinden oder, nur scheinbar schlauer, schon am Anfang versprechen, uns lieber wieder im Guten zu trennen, als uns jemals etwas Böses anzutun. Mit diesem oder einem ähnlichen Glaubenssatz fängt alles an.
Die in unseren Köpfen spukende Vision der totalen Zweisamkeit kann mit einsetzenden Ambivalenzen und Paradoxien schlecht umgehen. Sie lässt keine Unzuverlässigkeit zu und auch sonst nur wenig Störendes. Die leidenschaftliche Liebe ist ein radikaler Glaube an das völlige Glück und eine Festschreibung der Zukunft. Bis zu einem gewissen Grad kommt das eine Weile ja auch hin. Empirisch betrachtet, belasten unübersichtliche und unsichere Beziehungen die Psyche. Daher und aus vielen anderen Gründen setzen wir uns ungern damit auseinander, dass auch eine Liebesbeziehung dazu zwingt, sich mit dem Scheitern zu beschäftigen, sich am Realisierbaren zu versuchen und einzusehen, dass eine gelebte Beziehung immer mehr und anders ist als reines Wunschdenken.
Es ist fast wie mit einem Psychopharmakon. Einmal geschluckt entfaltet es neben der beabsichtigten Wirkung unerwünschte Nebenwirkungen, und immer wieder verabreicht, verändert es die Aufnahmefähigkeit der Rezeptoren und damit die gewünschte Wirkung. Anhaltende Perioden der Einnahme einer kräftigen Substanz bewirken über kurz oder lang ein schwer entwirrbares, diffuses Irgendwas von allem, wodurch der Organismus belastet wird, an das er sich dennoch gewöhnen will, worüber er sich umorganisiert und das er nun braucht, obwohl es nicht gut tut.
Eigentlich bewirkt mehr oder minder jedes den Organismus außergewöhnlich beeinflussende Stimulans, über lange Zeit verabreicht, zunächst ein Hoch, dann eine abfallende und in Folge eine sich langsam vom Neutralen ins Negative wandelnde Resonanz. Dieser Adaptionsprozess unterliegt dem allgemeinen Prinzip der homöosthatischen Selbstregulation. Die Homöosthase pegelt Einwirkungen vom Außergewöhnlichen ins Gewöhnliche, auch unter negativen Vorzeichen, sofern besondere Umstände oder Energien den Organismus nicht daran hindern, sich dergestalt auszubalancieren. Jener Transformations- und Balanceprozess ist grundlegend für jede Erfahrung, die sich lange genug wiederholt, und besitzt daher Geltung für alle systemischen Vorgänge, auch für die Entwicklung sozialer Beziehungen.
Menschen reagieren auf Abhängigkeit aber meist mit der Hoffnung, dass es wieder werden soll wie zu Beginn, und machen deshalb weiter wie bisher, worauf es immer weniger wird vom ursprünglich Gewollten und immer mehr vom Unbeabsichtigten. Ein Organismus, der sich durch bestimmte Einflüsse verändert hat, kann nicht durch die gleiche Gabe wieder in seinen vorherigen Zustand zurückversetzt werden. Was also tun? Wider besseres Wissen vergebens weiter machen? Keith Richards, der Jahre als Heroinjunkie hinter sich gebracht hat, rückt das Dilemma des Süchtigen in ein poetisches Bild:
Sing me back home with a song I used to hear…
Sing me back home before I die.
(Keith Richards: Life, 2010, 521)
Menschen sind in Wahrheit zwiespältig veranlagt und vielfachen Umständen verpflichtet. Dadurch wird der Horizont eines Paares von vornherein durch wechselnde und unübersichtliche Verhältnisse beeinflusst. Nur während der Verliebtheit des Anfangs schmälert sich die tatsächliche Komplexität des Lebens. Im vorübergehenden seelischen Tunnel wird das Miteinander als vollständig und selbstverständlich empfunden. Man darf die leidenschaftliche Verzückung des Beginns getrost als eine Zeit gemeinsamer Verzauberung ansehen. Diese Atmosphäre trägt aber deshalb auch verrückte Züge. Die Manie der entfesselten Liebe besitzt etwas Unbändiges und Verstandesloses. Unser ansonsten durchaus vorhandenes Vermögen zur Selbststeuerung erhält am Beginn einen ausgedehnten Freigang, anderweitige Interessen und Beziehungen verlieren in dieser Zeit an Wert. Mit der leidenschaftlichen Liebe kann es nichts aufnehmen. Frisch verliebt ist uns egal, wie vielschichtig wir als Person eigentlich sind.
Die verzweigten Lebensumstände Erwachsener beinhalten aber natürlich viel mehr, als eine soeben entfachte Liebe beansprucht. Es wird daher später zur lebenslangen Aufgabe von Paaren, Gegensätzliches, schwierig Vermittelbares und Unvereinbares einigermaßen wohltuend zu jonglieren. Nur zwanghafte Menschen glauben an die Abwesenheit beziehungsweise Kontrollierbarkeit widerstreitender Lebensinhalte. Und wohin das führt, ahnt man sofort. Verliebten fällt aber eine Zeit lang nicht ein, solche Gewissheiten zu berücksichtigen. In der empfundenen, nicht der faktischen Abwesenheit des Alltäglichen, offenbart die Liebe ihren leidenschaftlichen Kern.
Die romantische Utopie
Das Mysterium der modernen Liebe zeigt sich also nicht so sehr in der Schwierigkeit, einen Menschen für ein gemeinsames Glück zu begeistern – und das kann schon schwierig genug sein –, sondern stets an der romantischen Utopie zu scheitern, den emotionalen Augenblick bändigen und für immer erhalten zu wollen. Das gelingt nicht. So, wie sich Menschen ändern, wandeln sich Beziehungen im Lauf der Jahre. Das ist keine Frage persönlicher Kompetenzen, fehlender oder vorhandener Fähigkeiten, sondern Ausdruck der gelebten Gemeinsamkeit. Wir können nicht anders, als uns mit und über unsere Erfahrungen zu verändern.
Illustriert man das charakteristische Fortschreiten einer Liebesbeziehung, hört sich das in etwa so an: Es beginnt, indem unsere Psyche aus eingelösten Sehnsüchten glückliche Erfahrungen macht, aus den anhaltenden Erfahrungen lieb gewordene Gewohnheiten und aus andauernden Gewohnheiten innige Vertrautheit, aber auch zunehmenden Verdruss, der erneut den Wunsch nach dem Seltenen und Unbekannten weckt. Jenes ferne Fremde gerät irgendwann wieder in emotionale Konkurrenz mit dem Steten, nun allzu Bekannten. Der langsam eintretende Wahrnehmungswandel bewirkt, dass wir uns mit den zunehmenden Jahren des gemeinsamen Lebens mehrfach anders empfinden und zueinander verhalten, als zu Beginn. Die meisten Menschen sind über diesen Werdegang enttäuscht und viele auch überzeugt, die Liebe zu einem Menschen sei erloschen, wenn sich Gefühle abschwächen oder neu ordnen.
Das unbedingte Festhaltenwollen emotionaler Ersteindrücke überfordert jedes Paar. Die Vorstellung einer gefühlten und praktizierten Konstanz geht am Wesen der Leidenschaft, am ambivalenten Kern der Psyche und an den verschlungenen Bedingungen des Lebens restlos vorbei. Die erotisch begründete Liebe ist und bleibt ein fragiles und oftmals flüchtiges Gut. Ihre Natur ist die andauernde Verwandlung der Liebenden. Welchen zum Teil komplizierten Wandlungen Paare auf Dauer unterliegen, in welcher Regelmäßigkeit sich Empfindungen und Handlungen ändern, welche Themen und Probleme sich auf dem Weg einstellen, zeigen die nachfolgenden Ausführungen.
Versprechen
Dieses Buch soll keine Angst, vielmehr Mut machen, sich trotz aller vorhersehbaren Verwicklungen und Widersprüche dem Abenteuer Liebe, den Höhen und Tiefen, Turbulenzen und Langeweilen einer Paarbeziehung zu stellen. Selbstverständlich besitzen Sie auch nach der Lektüre weiterhin die Freiheit, der Liebe aus dem Weg zu gehen oder sich fortwährend in neue Abenteuer zu stürzen, so wie es ein Gewinn sein kann, Askese zu üben oder in Abständen den Routinen des Alltags zu entfliehen. Es ist aber eine Expedition ganz anderen Umfangs, wenn man das widersprüchliche Spektrum der Leidenschaft und der eigenen Vielschichtigkeit gemeinsam durchlebt, eventuell gar bis zum Schluss eines Lebens.
Dafür ist viel Einsatz und Mut erforderlich, aber auch die Bereitschaft aufzugeben, was nicht mehr zu halten ist. Eine lange Wegstrecke zusammen zu gehen, verlangt nicht nur die Hingabe an einen Menschen, sondern auch die Ergebenheit hinzunehmen, was nicht miteinander gelingt. Das schließt insbesondere auch die Gabe ein, Unverträgliches und Überholtes loslassen zu können, wenn die Zeit dafür reif ist. ›Bis dass der Tod euch scheidet‹ ist lediglich ein Gelübde für den Rahmen, aber kein Garant für eine