Liebesmühen. Detlef Klöckner
was Sie nicht schon aus eigener glücklicher und schmerzlicher Erfahrung wissen? Die Antwort ist einfach: Ich erzähle Ihnen ausführlich, was die Leidenschaft zu unterschiedlichen Zeitpunkten einer Paarbeziehung bewirkt, wohin Liebesbeziehungen als Ganzes führen, auch gegen ihre ursprünglichen Absichten, und wie sich Liebespaare langfristig betrachtet ändern, ob es ihnen passt oder nicht. Dabei werden Sie vieles wiedererkennen und manches wird Ihnen unvertraut sein. Ich versichere, nach der Lektüre werden Sie die eigenen Erfahrungen und bisher ungegangenen Schritte, Ihre vermeintlichen Fähigkeiten und Mängel besser verstehen und einordnen. Ihr bisheriges Tun und Lassen erscheint dann in einem logischen Licht als paradoxe Konsequenz gegensätzlicher Antriebe in unterschiedlichen Beziehungsphasen.
Wer das moderne Lebensgefühl mit all seinen Ansprüchen und Widersprüchen als kompliziert akzeptiert – Bourdieu spricht von der schwierigen Freiheit (Bourdieu 1987) – ist nicht nur weniger anfällig für naive Wahrheiten, er verfängt sich auch nicht ganz so hoffnungslos in den ausliegenden Fallstricken. Und wenn doch einmal wieder, findet man schneller und leichter wieder ins Freie. Paare sollten daher unbedingt etwas von existenziellen Konflikten und Krisen verstehen. Wenn eine Liebe auf Dauer erhalten bleiben soll, muss man wissen, wie Zwiespälte und verworrene Verhältnisse entstehen, wie man sich in diese verwickelt und wieder lösen kann.
Was Sie hier allerdings nicht finden werden, sind simple Lösungen. Für was auch immer Sie sich an Stelle von Frau und Herrn F. entscheiden würden, es hätte immer mehrfache Konsequenzen. Ich halte deshalb nichts davon, die Probleme, die sich den Paaren stellen, auf plumpe Weise zu vereinfachen. Und ich vertraue darauf, dass Sie nicht so einfältig sind anzunehmen, eine Liebesbeziehung sei ein einfaches Terrain. Man kann sich aber, gerade in dem Bewusstsein, dass alles schwieriger kommt als gedacht, anstrengen, möglichst eindeutig und liebevoll zu bleiben. Darauf hat der aus Liebe gewählte Mensch ein Anrecht, selbst in schlechten Zeiten.
Leseempfehlung
Bourdieu, P. (1987): Sozialer Sinn. Suhrkamp, Frankfurt/M.
Goethe, J. W. von (1998): Goethe Werke. Bd. 3, Verlag 2001, Frankfurt/M.
Richards, K. (2010): Life. Wilhelm Heyne, München
Die Liebe, ein himmlisches Geschenk?
But when the Lord of above you sends someone to love you the Blues is something you loose.
Billie Holiday, The Blues are Brewin’2
Nach einer kurzen Atempause sollte den Zeilen ursprünglich noch der Nachsatz folgen: for a little while. Billie Holiday hat das angeblich aus Gründen der Dramaturgie verworfen. So baut der Song einen leichtsinnigen Bogen, der erst später wieder einbricht, dann, wenn die Liebe ihren Höhepunkt überschritten hat. Ohne Glückseligkeit kein Absturz, ohne Vertrauen keine Enttäuschung. Mit Abgründen und Unglück kennt sich die Sängerin aus. Den hässlichen Zwilling der Verliebtheit übersieht sie hier aber generös und besingt das Dunkle dafür umso eindringlicher in anderen Stücken.
Solange wir uns nach Liebe sehnen, erstrahlt sie bar jeden Zweifels, erscheint die Liebe uns als Erlösung. Realisiert sie sich, offenbart sie in der Folge ihre zwiespältige Natur. Die Liebe ist ein durch und durch faustischer Pakt. Wer sich darauf einlässt, wird auch leiden. Aber wir laufen blind, wenigstens jedoch willig, in die Falle. Selbst die Ängstlichen und Zaudernden wollen im Grunde ihres Herzens von der Leidenschaft an der Hand genommen werden, gegen jede engstirnige Vernunft. Im Zauber der Liebe lebt das Erbe der Romantik in uns allen bis heute fort.
Poesie gegen Ökonomie
Eines muss gleich klargestellt werden: Wer die Liebe versucht, entscheidet sich für Poesie und gegen Ökonomie. Mir sind aber nur wenige bekannt, denen bewusst ist, dass die Liebe mehr Mühe macht, als Geld zu verdienen. Die meisten denken, sie kommt, weil man es verdient hat, und vergeht, wenn man Pech hat. Dann ist es vorbei: C’est la vie! Ganz so einfach ist es aber nicht. Die Liebe erscheint eher unangemeldet, nicht, weil man lange genug gehofft hat, erst recht nicht, weil man sich Verdienste erworben hat, aber sie flüchtet umgehend, wenn sie nicht eifrig gepflegt wird. Zur Liebe gehört lebenslange Arbeit. Wer dazu nicht bereit ist, glaubt wahrscheinlich auch daran, dass es mehr lohnt, Lotto zu spielen und die Gala zu lesen.
Relativ einig sind wir uns auch darin, dass wer sich partout vor der Liebe drückt, zu bedauern ist. Goethe wusste genau, warum er Mephisto säuseln lassen kann: »Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.« (Goethe, 1998) Wie man es dreht und wendet, die Liebe zeigt uns irgendwann ihre Schattenseite. Es ist nur eine Frage der Zeit. In diesem Buch schauen wir uns den Prozess der Leidenschaft daher gleich von der dunklen Seite aus an. Schließlich werden wir alle von der Kraft getrieben, die nur Gutes will und viel Böses einbringt. Zwischendurch und am Ende schauen wir immer auch auf leidvolle Episoden. Ich möchte die vor und hinter uns liegenden Dramen daher nicht als Fehlschläge verleugnen und möchte mit diesem Text erreichen, dass wir innehalten, hinsehen und uns auseinandersetzen. Wegrennen kann schließlich jeder; dazulernen aber auch. Deshalb fasse ich an geeigneten Stellen Vorschläge zusammen, wie mit den Untiefen des Liebeslebens passend umgegangen werden kann.
Liebe als Kulturgut
Es sind natürlich immer die gesellschaftlichen Begleitumstände, die zur Hintergrundmusik der Liebe aufspielen. Das Leidenschaftliche ist nicht frei von historischen Bedingungen und dem Zeitgeist geschuldeten moralischen Einschränkungen. Wenn mit einer gewissen Berechtigung die Rede davon ist, dass sich die Liebe über die Jahrhunderte zum obersten Sinnkriterium in der westlichen Welt gemausert hat, dann ist nicht die Nächstenliebe oder Elternliebe gemeint, auch nicht die Liebe für Gottes Schöpfung, die angesichts apokalyptischer Zukunftsängste immer mehr ins Zentrum der Wahrnehmung geraten ist, sondern die leidenschaftliche Liebe zwischen zwei Menschen. Leidenschaft ist heute der vorrangige Beweggrund für Paarbeziehungen. Diese Tatsache, und das sollten wir nie vergessen, verleiht dem Privatleben eine unglaubliche Brisanz und Dynamik.
Es ist Anlass genug, in Zeiten des technischen Kommunikationsgeplänkels einen kurzen Blick zurück zu werfen in das Zeitalter der Galanterie. Im 18. Jahrhundert verfasste der schottische Moralphilosoph Adam Smith einen Kodex der Liebe. In seiner Theory of Moral Sentiments widmet er sich der Sympathie. (Smith 2004) Smith hielt den sympathischen, also den mitfühlenden Menschen für den Ausgangspunkt der Moral neben der Selbstliebe und der Vernunft. Ein nur vernünftiger Mensch, so war seine Annahme, wird höchstens Hals über Kopf sein Herz verschenken. Den Rest seines Verstandes benötigt er für den fortwährenden Überlebenskampf in einer Welt vor Einführung der modernen Sozialversicherungssysteme. Ohne mitfühlende Moral wäre demnach kein ganzer Mensch zu erwarten und wäre auch keine gute Ordnung in der Welt. Smith nannte die Liebe folgerichtig Einklang der Herzen. In der Liebe, so sein weiterer Gedanke, vereinigen sich alle positiven Eigenschaften des Menschen.
So weit, so gut. Das glauben wir auch heute noch. Aber die Sache hat einen Haken. Das Großherzige und Tugendhafte an der Liebe trägt auch zu ihrem wankelmütigen Charakter bei. Die Moral des Mitgefühls ist zugleich Stärke und Schwäche jeder Liebesbeziehung. Denn, Hand aufs Herz, wer ist schon mit Dem- oder Derselben auf ewig großherzig und tugendhaft? Natürlich ist das niemand durchgängig. Aber an eben jener Totalen messen sich Liebespaare.
Liebenswertes und Gehässiges
Ein Zusammenleben bildet nicht nur liebenswerte Tugenden aus. Es spült auf Dauer Nachlässigkeiten nach oben, das ganz besonders, und auch manche Abscheulichkeit. Das bleibt nicht aus. Dafür ist das Leben zu vielschichtig, sind die Charaktere zu unvollkommen und bilden zwei Herzen nicht nur eine Einheit. Jeder ist sich selbst mehrfach verpflichtet und fühlt sich vielen Dingen des Lebens ausgeliefert, nicht nur der Liebe. Außerdem, das muss sich gerade der Verantwortungsbewusste immer wieder ins Gedächtnis rufen, haben wir generell weniger in der Hand, als wir in Beziehungen steuern möchten.
Jedes einzelne Menschenleben enthält so viel Konträres und Ungereimtes, dass konflikthafte Verwicklungen gar nicht ausbleiben können. Eine Vereinigung