Liebesmühen. Detlef Klöckner
Gefühlen kommt. Eine gelungene Vereinigung in Liebe vereinfacht das Leben zunächst aufs Sträflichste. Später kippt das Verhältnis von Liebe und Alltag, schlagen die Komplexität und das Unromantische des Lebens umso heftiger zurück. Das gehört zum unauflösbaren Paradoxon der Liebe.
Daher ist auch die gedankliche Koppelung von Freiheit und Liebe eine wirklichkeitsferne Vorstellung. Ebenso wenig wie kein Mensch nur frei von … oder frei zu … ist, hat die Liebe nur bedingt etwas mit Autonomie zu tun und sie kann selbstverständlich auch nicht alle kommenden Schwierigkeiten ausbügeln, obwohl es anfänglich danach aussieht. Solche und ähnliche Drehmomente und Missverständnisse deuten auf die verschlungene Matrix der Liebe hin, die in der Folge ausgiebig beleuchtet wird.
»Wir hatten vor einigen Monaten eine richtig schlechte Zeit miteinander. Meine Frau hat sich nur noch um die Kinder bemüht und ich nur noch um den Job. Als sie dann auch noch sagte, eigentlich könnten wir auch auseinanderziehen, dann würde man sich wenigstens nicht auf die Nerven gehen, dachte ich, sie liebt mich nicht mehr. Ja, und dann ist mir eine blöde Sache passiert. Ich habe mich mit der Frau eines Freundes getroffen, denen ging es auch nicht so gut damals, weil ich jemanden zum Reden brauchte. Am Ende des Abends sind wir dann im Bett gelandet. Ich glaube, wir haben uns beide vorgemacht, dass wir mehr füreinander empfinden, und vielleicht habe ich auch gedacht, das ist die Lösung. Ach, ich weiß auch nicht, was ich mir da eingebildet habe. Mein Freund war natürlich total sauer und hat es meiner Frau erzählt. Danach war die Hölle los.«
In derartigen Verwirrungen steckt der Keim für die Wendungen, die eine Liebesbeziehung auf Dauer nimmt. Daher steht hier das Zweideutige und Voraussehbare im Mittelpunkt, weil ich glaube, dass sich darin nicht nur die eigentliche Schwierigkeit des Liebesgeschehens zeigt, sondern es uns auch davon abhält, weder an zu viel Schicksal noch an die Reinheit des Herzens zu glauben, vielmehr damit zu rechnen, dass wir alle Schwächen haben und viel Ungereimtes und Zweifelhaftes in uns wohnt.
Liebe und Manie
Betrachtet man es aus dieser Richtung, dann ist die leidenschaftliche Liebe gleichzeitig eine private Manie und gesellschaftliche Utopie, die uns Probleme beschert, die wir mit ihrer Hilfe überwinden wollten. Wäre da nicht ihr unbedingter Zauber, würde jeder die Finger davon lassen. Sie ist aber nun mal in der Welt und macht selbst vor Klostermauern nicht Halt. John Gray warnt in einem grundlegenden Text eindringlich vor solchen und anderen Utopien. Nach wie vor gibt man sich der Illusion hin, nichts könne den Menschen daran hindern, sich selbst und seine Welt nach Belieben umzugestalten. Diese Phantasie kommt in vielen Aspekten der zeitgenössischen Kultur zum Vorschein. (Gray 2007, 36)3
Gray ist ein Kritiker der Vereinfachung, nicht nur der öffentlichen Angelegenheiten, auch des Privatlebens. Seine Zweifel übersetzt er nicht in vorschnelle Antworten, sondern nutzt sie, um grundlegende Fragen aufzuwerfen: Woran ist eine Utopie zu erkennen? (37) So an die ›schwierige Freiheit‹ heranzugehen, macht unsicher, wenn man dabei die Liebe mitdenkt. Wie man es dreht und wendet, es bleibt immer auch ein utopischer Ansatz, Liebe als Beziehung zu leben. Niemand kommt um die beunruhigende Erkenntnis herum, dass gelebte Liebe bindet und eine Bindung nicht nur die anarchische Energie der Liebe domestiziert, sondern auch die Bewegung einschränkt. Die Entdeckung, dass die Liebe Grenzen setzt, muss aber nicht notwendigerweise so empfunden werden. Erwiderte Liebe ruft ein Gefühl von Freiheit hervor. Es kann sehr entlasten, zu spüren, dass man durch die Erwiderung ein Zuhause gewonnen hat, die Seele nicht mehr einsam schwebt.
Gray versteht es, mit vergleichbaren Doppeldeutigkeiten das eigentlich Utopische jeder Utopie aufzuzeigen. Die Unmöglichkeit einer Utopie zeigt sich nicht im Gedanken, sondern in seiner Umsetzung: Jeder Traum von einer Gesellschaft, aus der Zwang und Machtstrukturen für immer verbannt sind, ist – ob ihn nun Marxisten oder Anarchisten, Liberale oder Technokraten träumen – buchstäblich utopistisch. Er ist nirgends und nie umsetzbar, weil er unweigerlich an den unauflösbaren Widersprüchen zwischen den Bedürfnissen der Menschen scheitern würde. (38)
Der Graysche Apokalypsegedanke knüpft ein geistiges Band, das unterschiedliche historische Phänomene verbindet, und wahrscheinlich hilft die Aneignung dieses Gedankens dabei, sich nicht mehr ganz so schnell für beliebige Moden zu begeistern. Die persönlichen, liebgewonnen Utopien bleiben ebenfalls nicht davon verschont, und was das Beste daran ist: Es fühlt sich nicht schlecht an, ideologischen Ballast abzuwerfen.
Dennoch sitzt uns der absolute Anspruch der Liebe hartnäckig im Genick und konterkariert das eben Behauptete. Der Stoff ist wirksamer als jede durchdringende Erkenntnis. An der Liebe und an anderen Wiederholungen scheitert Grays Kritik der utopischen Unvernunft. Es ist mit der Liebe wie in der Mode und im Sport: Immer wieder dasselbe und dennoch wirkt die Suggestion, die kommende Saison werde besser als die letzte ausfallen, das nächste Mal werde es gelingen.
Mit der Liebe ist es aber in Wahrheit noch viel schlimmer. Sie wirkt nicht nur wie eine natürliche Droge oder Trance, die willfährig und ohnmächtig zugleich macht, sie wirkt sogar auf uns zurück, wenn wir uns ihr nicht überlassen. Ein Leben ohne die Liebe bleibt grau. Wenn also schon kein aufklärendes Kraut dagegen gewachsen ist, dann sollten wir wenigstens den Ehrgeiz besitzen, das Spiel gut, das heißt mit Leidenschaft und Bedacht, zu spielen. So bietet es wenigstens der Soziologe Peter Fuchs an, wenn er hinsichtlich der Liebe von dem entscheidenden Elixier spricht, das zur Konstruktion moderner Intimsysteme beiträgt. (Fuchs 2003) So denn: Faites vos jeux!
Leseempfehlung
Fuchs, P. (2003): Liebe, Sex und solche Sachen. UVK, Konstanz
Goethe, J. W. von (1998): Goethe Werke. Bd. 3, Insel, Frankfurt/M.
Gray, J. (2007): Politik der Apokalypse. Klett Cotta, Stuttgart
Smith, A. (2004): Theorie der ethischen Gefühle, Meiner, Hamburg
Leidenschaft, Zwiespalt und Krise
Some day you can have the Blues because your wife left you.
The other day you can get the Blues because your wife came back to you.
Willie Dixon4
Die Seele ist von Natur aus vielschichtig. Das alleine garantiert genügend Verwirrungen und Ambivalenzen, bei einem selbst, bei anderen wie in zwischenmenschlichen Beziehungen. Bereits die alten, vornehmlich auf Bewahrung ihrer Überlieferungen ausgerichteten Kulturen ahnten, wie schwer das Seelische zu kontrollieren ist, weshalb sie der ungreifbaren Seele eine natürliche Fluchttendenz unterstellten. Da eine Seele nach der historischen Vorstellung frei ist, muss sie von ihrem vorübergehenden Besitzer und der Gemeinschaft besonders gepflegt werden. Sonst droht der Verlust derselben. Wen also Umstände zwingen, sich in Gefahr zu begeben, und wer angehalten ist, sein Leben zu ändern, der gerät in eine psychische Notlage. Der ist in seinem angegriffenen Zustand kein guter Ort für eine ungefestigte Seele.
Jede Umwandlung des Selbst, jeder Entwicklungsschritt eines Menschen bedeutet in traditionalen Kulturen daher, die Grenze des bisher Bekannten zu überschreiten und seelisches Neuland zu betreten, sich aufzugeben, um neu entstehen zu können. Davon berichten die unzähligen Initiationsriten der Völker. Zwischendrin ist man, nicht mehr der gewohnte Mensch und noch nicht der zu werdende, vorübergehend seelenlos. Ist die Übergangskrise gemeistert, findet die Seele normalerweise zurück. Wenn nicht, müssen sich mächtige Heiler auf die Suche begeben und sie wieder einfangen.
So weit die schamanische Entwicklungsperspektive alter Kulturen. Was daran bis heute Geltung beansprucht, ist die existenzielle Erkenntnis, dass der Mensch nicht um Entwicklung herum kommt und seelische Krisen daher eine Begleiterscheinung des Lebens sind. Einerseits ist ein Organismus aus Gründen des Überlebens gezwungen, sich weiter zu entwickeln und an ein veränderliches Umfeld anzupassen. Andererseits aber, das macht den ambivalenten Hintergrund der Persönlichkeit aus, ist ein Organismus ebenso davon abhängig, möglichst viel Energie zu sparen und seine Struktur zu erhalten. Das erreicht er, indem er Bewährtes und Erfolgreiches wiederholt und Routinen entwickelt.
Ein junger Mann geht für zwei Jahre zum Studieren in die USA. Zweck des Auslandsaufenthaltes ist es, fließend