Goldene Hände. Margrit Stamm
Boot zu holen, ist deshalb eine wichtige und herausfordernde Aufgabe. Väter, vor allem aber Mütter, haben nicht nur einen grossen emotionalen Einfluss, sondern sind auch die wichtigsten Bezugspersonen ihrer Söhne und Töchter. Die Gleichaltrigen sind in diesem Prozess zwar auch bedeutsam, aber deutlich weniger wichtig als die Eltern.
Wo liegt das Problem? Wie bereits erwähnt, gilt die Berufslehre bei vielen Eltern als zweite Wahl, vor allem jedoch als Sackgassenausbildung. Dies dürfte in erster Linie deshalb sein, weil sie nicht genug informiert sind oder weil Informationen zu kompliziert daher kommen. Deshalb kennen viele Eltern (und oft auch Lehrkräfte!) die im internationalen Vergleich einmalige Durchlässigkeit unseres Bildungssystems nicht oder nur sehr rudimentär. Diese Unkenntnis ist in allen Sozialschichten festzustellen, insbesondere auch in ausländischen Familien. Dass Berufslehre und Berufsmaturität den Zugang zu einer Fachhochschule erlauben und mittels einer Passerelle sogar ein Universitätsstudium möglich wird, ist vielfach relativ unbekannt. Es braucht somit umfassende Aufklärungsarbeit. Zwar fehlt es nicht an Information und Ratgebern zur Berufswahl, wohl jedoch an solchen relevanter Art. Sie thematisieren zu wenig die Vor- und auch Nachteile der verschiedenen Bildungswege sowie die Fähigkeiten und Talente, über welche der Nachwuchs im Hinblick auf Gymnasium und Berufslehre verfügen müsste.
Gesamthaft besehen hat sich die Diskussion um die schwindende Attraktivität der Berufsbildung bisher zu einseitig auf Schulen, Betriebe und Verbände konzentriert. Die Familie ist vergessen gegangen. Wenn die Berufsbildung als gleichwertige Alternative zum akademischen Bildungsweg wahrgenommen und von den Eltern und ihrem Nachwuchs tatsächlich auch gewählt werden soll, dann müssen sie zum zentralen Element in der aktuellen Diskussion um den Lehrlingsmangel werden.
Könnerschaft als Verwirklichung der Praktischen Intelligenz
Der unaufhörlich voranschreitende Trend zur Akademisierung zeigt sich darin, dass Hochschulabschlüsse, Zertifikate und entsprechende Titel immer wichtiger werden. Doch hat die Überzeugung, dass die «Akademische Intelligenz» das zum Erfolg führende Kriterium ist, dazu geführt, dass die grosse Bedeutung der Praktischen Intelligenz fast vollkommen ausgeklammert und auch falsch verstanden worden ist. Praktische Intelligenz ist nicht einfach handwerkliches Geschick von weniger Begabten, sondern die Fähigkeit, Fachwissen auf hohem Niveau in der Praxis auch anwenden zu können. Praktische Intelligenz provoziert Könnerschaft. Für die Berufsbildung ist dies eine zentrale Herausforderung, weil sie ganz besonders mit der Theorie-Praxis-Problematik vertraut ist.
Die ausschliessliche Konzentration auf die Akademische Intelligenz ist falsch
Eine solche Erkenntnis hat jedoch einen schweren Stand. Denn Akademische Intelligenz gilt als Tor zum Berufs- und Lebenserfolg. Dahinter steckt die Überzeugung, dass das Wissen die unabdingbare und einzige Grundlage für das Können und damit für Expertise sei. Ist jemand nicht professionell genug, dann ist man überzeugt, dass die Wissensvermittlung und somit die Ausbildung versagt hat.
Diesem Denken ist nicht grundsätzlich zu widersprechen. Im Globalisierungskontext entwickelt sich die Schweiz nun einmal zu einer Bildungs- und Wissensgesellschaft. Dass ein wachsender Anteil der Berufstätigen eine höhere Bildung hat, ist somit alles andere als negativ. Immer besser ausgebildete Berufsleute sind im Hinblick auf die internationale Anschlussfähigkeit ein Muss. Aber unser Denken, wonach hohes Wissen und eine hohe Akademische Intelligenz die zentralen Ursachen für Könnerschaft und Expertise seien, ist zu einseitig und klammert die grosse Bedeutung der Praktischen Intelligenz aus.
Hinter der Akademischen Intelligenz verbergen sich oft praktische Talente, die nicht sichtbar werden können, weil man ihnen keine Möglichkeiten zur Entfaltung gibt. Natürlich gilt Gleiches auch umgekehrt, doch steht dies hier nicht zur Diskussion. Ebenso kennen wir alle Menschen, die auf wissenschaftlich hochstehende Weise über ein Problem sprechen, zu dessen Lösung aber wenig beitragen können. Andererseits beobachten wir immer wieder, dass auch viel Fleiss und Motivation noch keine Könner hervorbringt. Der Grund liegt in beiden Beispielen darin, dass es solchen Menschen an ausreichender Praktischer Intelligenz mangelt. Deshalb ist die Fähigkeit, mit realen Problemen erfolgreich umzugehen, das wichtigste Element von Berufskompetenz.
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