Vorsicht Stufe (E-Book). Katharina Krall
fällt die Durchlässigkeit nach unten durch?
Auch wenn dieses Fallbeispiel etwas überspitzt dargestellt ist, sind dies doch Fragen und Unsicherheiten, mit denen wir – der Autor und die Autorin – in unserem Berufsalltag im Berufsvorbereitungsjahr und an einer Berufsfachschule immer wieder konfrontiert werden. In diesem Kapitel möchten wir die Begrifflichkeiten «Durchlässigkeit», «Übergänge» und «Schnittstelle» klären, weil sie für das Verständnis unserer Thematik von Bedeutung sind und eine Klärung der Begriffe den Leserinnen und Lesern dabei helfen soll, unseren Gedankengängen zu folgen. Im Weiteren legen wir den Fokus in diesem ersten Kapitel auf eine grobe Übersicht, mit welchen Themen die Lesenden in diesem Buch konfrontiert werden. In Abschnitt 1.2.5, «Sind wir nach unten offen?», befassen wir uns mit der Problematik, dass in der Regel die Schulstufe unterhalb der nächsthöheren Stufe für die Übergänge an den Schnittstellen verantwortlich zeichnet und sich die höhere Stufe passiv verhält.
1.2.1Von der Durchlässigkeit
Die dualen Berufsausbildungen in der Schweiz zeichnen sich durch ihr hohes Mass an Durchlässigkeit aus. Diese ermöglicht es den Berufslernenden, den einmal eingeschlagenen Weg fortzusetzen oder ihn in eine andere Richtung zu verlassen. Den verschiedenen Akteuren, die sich im Umfeld der dualen Berufsbildung bewegen, sind die Grundsätze «Eine Ausbildung soll nicht in einer Sackgasse enden» sowie «Kein Abschluss ohne Anschluss» bekannt. In diesem Zusammenhang sei auf die sehr gute Übersicht zur «Berufsbildung in der Schweiz» von Emil Wettstein, Evi Schmid und Philipp Gonon (2014) verwiesen.
Nach unserer Einschätzung und den damit verbundenen persönlichen Erfahrungen funktioniert die Durchlässigkeit sowohl nach oben als auch nach unten gut. Die verschiedenen Möglichkeiten, von einer zweijährigen Berufsbildung mit Berufsattest (EBA) hin zu einer dreijährigen beziehungsweise vierjährigen Berufsbildung mit Fähigkeitszeugnis (EFZ) zu wechseln, sowie die Möglichkeit, über die Berufsmaturität einen tertiären Abschluss zu erlangen, sind den Handelnden, also den Lernenden, Lehrpersonen, Eltern und so weiter, im dualen Berufsbildungskontext hinlänglich bekannt. Auch der umgekehrte Weg, also die Umwandlung einer EFZ-Ausbildung in eine EBA-Ausbildung, ist möglich und wird auch praktiziert. In der Regel wird aber ein höherer Bildungsabschluss angestrebt. Allerdings sind wir überzeugt, dass auch ein EBA-Abschluss ein wertvoller und eigenständiger Berufsabschluss ist. Wir sind nicht der Ansicht, dass sich die meisten Berufslernenden bereits während der EBA-Ausbildung auf eine anschliessende EFZ-Ausbildung vorbereiten müssen – auch wenn es Lernende gibt, für die dieses Vorgehen wünschenswert sein kann. Die schulische Durchlässigkeit innerhalb der dualen Berufsbildung bedeutet unserer Ansicht nach aber eben nicht, dass «alle» den Berggipfel bereits vom Tal aus erkennen und diesen erklimmen müssen. Wir verstehen die Durchlässigkeit nicht nur in dem Sinne, dass es unterschiedliche Routen und Schritttempi gibt, mit denen der Gipfel erreicht werden kann. Wir vertreten vielmehr den Standpunkt, dass bereits die SAC-Hütte das angestrebte Ziel sein kann.
Die Voraussetzungen für die Durchlässigkeit in den einzelnen Berufsausbildungen sind vorhanden, und deren Umsetzung hat sich in der Praxis bewährt. Dennoch verfügen manche Jugendliche und ihre Eltern noch über zu wenig Kenntnisse darüber, oder sie gewichten den schulischen Weg zur Maturität mit der anschliessenden Option auf einen universitären Abschluss höher als eine Berufslehre. Dies hat einerseits mit dem oft überbewerteten Prestige einer universitären Ausbildung zu tun, andererseits mit dem fehlenden Wissen über die Durchlässigkeit der dualen Berufsausbildungen in der Schweiz. Das betrifft vor allem auch Menschen, die in die Schweiz immigriert sind und unser Berufsbildungssystem nicht oder (noch) zu wenig kennen. In seinem Buch «Die Akademisierungsfalle» zeigt Rudolf Strahm (2014) die Vorteile der dualen Berufsausbildung auf. Die Lektüre eignet sich besonders auch als Einführung in das duale Berufsbildungssystem in der Schweiz.
Wir möchten an dieser Stelle nur so weit auf die duale Berufsbildung eingehen, wie sie für die Thematik des vorliegenden Buchs von Bedeutung ist. Zudem konzentrieren wir uns zur Hauptsache auf die Durchlässigkeit im Bereich der Schulstufen, also darauf, wie der Übergang von der obligatorischen Schule – meist der Sekundarstufe I oder über eine Zwischenlösung wie ein Berufsvorbereitungsjahr oder Motivationssemester – zu einer Berufsfachschule, der Sekundarstufe II, erfolgen kann.
Diese Beschreibung der Durchlässigkeit aus der Perspektive der verschiedenen Lernorte und insbesondere die Lernortkooperation mit den Betrieben sowie den überbetrieblichen Kursen erfolgt wiederum in Bezug zu unseren Überlegungen, wie die Übergänge an der Schnittstelle zwischen der Sekundarstufe I sowie der Sekundarstufe II besser bewerkstelligt werden können.
Einen wesentlichen Vorteil der Durchlässigkeit innerhalb der Berufsausbildung verorten wir darin, dass die Durchlässigkeit die Berücksichtigung der unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und Interessen der Berufslernenden ermöglicht. Dadurch erlaubt die Durchlässigkeit den Berufslernenden sowie den Involvierten innerhalb der dualen Berufsbildung ein gestaffeltes Vorwärtskommen. Einerseits, indem die einzelnen Berufsabschlüsse einem eigenständigen Berufsbild entsprechen, mit der Möglichkeit, auf einer vertikalen Achse ein höheres Ausbildungsniveau im gewählten Berufsfeld anzustreben und zu erreichen. Andererseits ermöglicht sie auf einer horizontalen Achse den Einstieg in ein anderes Berufsfeld.
So kann ein junger Mensch im Anschluss an eine zweijährige Grundbildung zuerst einmal berufspraktische Erfahrungen sammeln und zu einem späteren Zeitpunkt noch einen Berufsabschluss (EFZ) erlangen, bis hin zu einem Abschluss auf Tertiärstufe. Die Durchlässigkeit beruht somit auf Schnittstellen, die zwischen den Übergängen von der einen zur anderen Stufe stehen. Wie erwähnt, interessiert uns an dieser Stelle die Schnittstellenproblematik aus der Optik des Lernorts Schule. Doch worum handelt es sich dabei?
1.2.2Übergänge und Schnittstellen oder gar offene Wunden?
Im Leben werden wir unabhängig davon, ob es sich um berufliche oder private Ereignisse handelt, immer wieder mit spezifischen Herausforderungen konfrontiert. Diese Situationen stehen oftmals zu Beginn oder am Ende eines Lebensabschnitts, wir bezeichnen diese als Schlüsselereignisse, als Übergänge und Schnittstellen. Der Vergleich mag vielleicht in Bezug auf die Schnittstellen bei den Übergängen im Rahmen der dualen Berufsbildung etwas weit hergeholt erscheinen. Dennoch bedeutet der Einstieg in die Berufswelt für junge Menschen oft einen radikalen Schnitt, zumal dieser parallel zu entwicklungspsychologischen sowie hormonellen Veränderungen im Rahmen der Adoleszenz stattfindet. Innerhalb des dualen Berufsbildungssystems lassen sich mehrere solche Schnittstellen identifizieren, die zu verschiedenen Übergängen führen. Auf der vertikalen Achse kann die Schnittstelle zwischen der Sekundarstufe II und dem Tertiärbereich eine solche Herausforderung darstellen. Auf der horizontalen Achse kann der Erwerb eines neuen Berufs ein solches Ereignis darstellen. Eine anschauliche Darstellung und Beschreibung liefert das 2-Schwellen-Konzept von Emil Wettstein und Philipp Gonon (2009, S. 239).[1] Wir befassen uns vorwiegend mit der Schnittstelle zwischen der Sekundarstufe I und der Sekundarstufe II.
Beim 2-Schwellen-Konzept wird erläutert, dass es zwei wichtige Übergänge gibt. Im Konzept wird von Schwellen gesprochen, die es zu überwinden gilt. Die erste Schwelle befindet sich am Übergang von der Sekundarstufe I zur Sekundarstufe II. Die zweite Schwelle stellt den Übergang ins Erwerbsleben dar und führt in die Zeit nach der Berufsbildung. Im Konzept wird auch die Schnittstelle zur Tertiärstufe als eine Variante der zweiten Schwelle bezeichnet. Wie bereits erläutert, fokussieren wir uns hier aber auf die erste Schwelle. Für die meisten Jugendlichen erfolgt der Übergang von der Sekundarstufe I in die Sekundarstufe II nahtlos und somit ohne grössere zeitliche Lücke.
Im Jahr 2006 vereinbarten Bund, Kantone und Sozialpartner mit den Leitlinien zum Nahtstellenprojekt das Ziel, dass im Jahr 2015 95 Prozent der 25-Jährigen in der Schweiz über einen Abschluss auf Sekundarstufe II verfügen sollen. Der Bildungsbericht 2018 geht davon aus, dass diese Zahl mittlerweile nahezu erreicht ist, immer abhängig von der Herkunft der Jugendlichen (vgl. SKBF 2018, S. 111).
Trotzdem sind sich die beteiligten Stellen einig,