Agile Schule (E-Book). Ralf Romeike
Lern- und Problemlösestrategien zielgerichtet einzusetzen.
Projektunterricht als wichtige Unterrichtsmethode
Projektunterricht gilt als besonders dazu geeignet, das selbstgesteuerte, selbstorganisierte und kooperative Lernen der Schülerinnen und Schüler zu fördern. Hierbei wird typischerweise in für die Lernenden relevanten Kontexten die Anwendung fachbezogener und verschiedener allgemeiner Kompetenzen gefördert, bspw. Teamarbeit und die Planung selbstorganisierter Unterrichtsphasen.
Im Informatikunterricht haben Projekte darüber hinaus eine besondere Bedeutung, da sie hier nicht nur als Unterrichtsmethode fungieren, sondern zugleich auch einen Einblick in die meist in Projekten organisierte Berufsrealität der Softwareentwicklung ermöglichen.
Der klassische Projektunterricht ist in der Regel klar sequenziell strukturiert. Zunächst wird ein umfangreicher Plan aufgestellt, dann wird er realisiert. In der Praxis haben sich allerdings in den letzten 15 Jahren rasch agile Methoden, verbreitet, und zwar in kleinen wie großen Softwareunternehmen. Oft sind agile Teams besonders motiviert, sie arbeiten fokussiert, pflegen einen wertschätzenden Umgang unter den Mitgliedern und sehen Fehler als eine wichtige Möglichkeit, etwas zu lernen. Sie bestimmen ihren Weg zum Ziel selbst, reflektieren diesen regelmäßig und begreifen Veränderung als Chance. Die meisten Teams und Kunden, die einmal agile Luft geschnuppert haben, wollen nicht mehr zurück, weil sie nun flexibel auf Anforderungsänderungen und andere sich im Prozess ergebende Herausforderungen reagieren können. So verändern agiles Denken und Handeln die Unternehmenskultur, da mit ihnen eine Reihe zentraler Werte, wie offene Kommunikation auf Augenhöhe und Selbstverantwortung im Team, verbunden sind.
Betrachtet man als Lehrkraft die agilen Methoden etwas genauer, offenbart sich ihr didaktisch-pädagogisches Potenzial für die Unterrichtsgestaltung schnell: Die Praktiken und Techniken fördern und fordern Kommunikation im Team, unterstützen die Strukturierung der inhaltlichen Arbeit in gut bearbeit bare Teilziele und erleichtern die Mitgestaltung des Lernprozesses durch die Schülerinnen und Schüler. Kurze Zyklen sorgen schnell für erste Erfolgserlebnisse, die motivieren, regen aber auch zum Innehalten und Nachdenken über das Produkt und die Zusammenarbeit an: Was haben wir bis jetzt erreicht? Sind wir damit auf dem richtigen Weg? Was sind unsere nächsten Schritte? Was lief gut? Was wollen wir im nächsten Zyklus besser machen? Hierdurch wird Lernen auch zu einem wichtigen Prozessbestandteil.
Unser Erfahrungshorizont
In unserem Buch «Agile Schule» greifen wir das Potenzial der Agilen Werte, Praktiken und Techniken auf und machen sie für die Schule nutzbar. Das tun wir weder, weil es gerade angesagt ist, noch, um ein Agiles Coaching zu verkaufen oder die nächste Zertifizierung zu bewerben. Uns geht es darum, eine Begeisterung weiterzugeben, die uns selbst in unserer Arbeit mit agilen Methoden gepackt hat. Wir wollen zeigen, welchen Wert agile Methoden für den Unterricht haben können, denn mit unserer Begeisterung sind wir nicht allein. Das Buch basiert auf Erfahrungen und der langjährigen Begleitforschung zum Einsatz agiler Projekte in unterschiedlichen Schulen in ganz Deutschland. Mit den beteiligten Lehrkräften haben wir uns mehrmals im Jahr getroffen, um gemeinsam die Methoden weiterzuentwickeln und für die Schule hinsichtlich ihres didaktischen Mehrwerts anzupassen. Die so entstandene Agile Schule ist keine Blaupause, die als festgelegtes Projektmodell im Unterricht Schritt für Schritt befolgt werden muss. Vielmehr stellt sie einen Rahmen an Möglichkeiten dar, verschiedene Praktiken und Techniken den Unterrichtsanforderungen entsprechend zu verwenden und anzupassen. Der erste eigene Versuch ist selten perfekt und selbst wenn, so wird im Laufe der Jahre immer auch mal eine Schülergruppe ihr Ziel nicht erreichen. Wichtig ist es, sich in regelmäßigen Abständen die Frage zu stellen, was warum gut oder ungünstig verlaufen ist, und entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Auch wenn es sich bei den meisten Beispielen um Erfahrungen aus dem Informatikunterricht handelt, beschränkt sich die Agile Schule nicht darauf. Es zeigt sich zunehmend, dass die Agile Schule auch in anderen Fächern oder Kontexten eine Bereicherung darstellen kann.
Zum Aufbau des Buchs
Im auf die Einleitung folgenden Kapitel 2 stellen wir die wesentlichen Hintergründe agiler Methoden dar und geben einen Einblick, wie unterschiedlich der Weg zum Einsatz agiler Methoden in Unternehmen gestaltet werden kann. Die in diesem Kapitel präsentierten Agilen Werte werden in den folgenden Kapiteln immer wieder aufgegriffen.
In Kapitel 3 wird ein Best-Practice-Beispiel vorgestellt, welches kompakt die Kernideen agiler Projekte illustriert. Im Folgenden berichten Lehrkräfte von ihren Motivationen und Umsetzungen agiler Projekte in unterschiedlichen Kontexten. Die Berichte zeigen, wie flexibel sich die Methoden, Techniken und Praktiken an die individuelle Unterrichtsgestaltung anpassen und neben fachlichen auch pädagogische Ziele umsetzen lassen.
Kapitel 4 enthält einen Methodenkoffer mit acht grundlegenden Praktiken und Techniken, ihrer theoretischen Fundierung, Varianten der schulischen Umsetzung, Stolpersteinen sowie Tipps und Tricks. Diese acht Methoden sind ein guter Einstieg in erste agile Projekte.
Kapitel 5 umfasst weitere acht Praktiken und Techniken. Sie dienen der methodischen Vertiefung.
In Kapitel 6 reflektieren wir die gewonnenen Erfahrungen aus wissenschaftlicher Sicht und skizzieren Möglichkeiten für den Einsatz agiler Methoden außerhalb des Informatikunterrichts.
Die Pfeile im Fließtext verweisen auf Methodenbausteine (bei ihrer Erstnennung), die weiterführende Informationen beinhalten. Das Glossar erklärt Begriffe aus der agilen Welt, die im didaktischen Kontext nur am Rande vorkommen. Weiter beschreibt es die wichtigsten Methoden.
Zum Einsatz dieses Buchs
Sie können dieses Buch zusammenhängend von vorn nach hinten lesen, aber auch als Nachschlagewerk für Agile Werte, Praktiken und Techniken in der Schule nutzen. Wenn Sie sich vor allem für konkrete Umsetzungsbeispiele interessieren, können Sie direkt mit den Praxisberichten in Kapitel 3 einsteigen. Sie beginnen alle mit einem Überblick über den Kontext, die Zielrichtung und den zeitlichen Ablauf des Unterrichtsprojekts. Sollten Sie nicht Informatik unterrichten, mag für Sie Kapitel 6.2 ein guter Start sein, da dort Unterrichtsbeispiele außerhalb der Informatik vorgestellt werden. Sie können Ihre Aufmerksamkeit auch erst den Agilen Werten widmen, da sie die Basis agilen Handelns und Denkens sind, und dann direkt zu den Methodenbausteinen springen. Den Baustein ↑ Iterationen – der agile Prozess empfehlen wir Ihnen, wenn Sie zunächst einen Überblick gewinnen möchten. Seien Sie sich beim Lesen aber bewusst, dass der agile Prozess nur als Ausgangspunkt für Ihren eigenen, auf den individuellen Kontext zugeschnittenen Prozess dienen soll. Es geht weniger um die perfekte Umsetzung des agilen Prozesses und der damit verbundenen Techniken und Praktiken als um die Schülerinnen und Schüler, die sich selbst organisieren, effektiv kollaborativ arbeiten und dabei wichtige projektbezogene Kompetenzen erwerben; die Lernenden stehen im Zentrum.
Dank
Ein Buch wie «Agile Schule» kann nicht ohne die Mitarbeit und Unterstützung zahlreicher Kolleginnen und Kollegen entstehen. Wir danken insbesondere den Lehrerinnen und Lehrern, die durch ihre Erfahrungen und Beobachtungen die Grundlage für die Praxisberichte geschaffen haben: Andreas, Lennard, Leo und Uli.
Des Weiteren danken wir den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Workshops, die an den Grundlagen für die Methodenkoffer mitgearbeitet haben: Andreas, Christian, Conny, Dorothea, Julia, Lennard, Leo, Mareen, Matthias, Melanie, Mike, Sebastian, Thomas, Timo, Tobias und Uli.
Darüber hinaus danken wir der Sybit GmbH, insbesondere Johannes, Thomas, Fritz und Stephan, die uns auf der «Agile Bodensee» einen Einblick in die agile Welt der Profis und die Realisation unseres Workshops in Radolfszell ermöglicht haben.
Unser Dank gilt außerdem Gerald von der