Agile Schule (E-Book). Ralf Romeike
Agile Werte
Agile Projekte zeichnen sich nicht nur durch den Einsatz verschiedener agiler Methoden aus, auch wenn diese am sichtbarsten sind, wie etwa die vielen bunten Klebezettel an einem Board. Vielmehr basieren agile Projekte auf einer Reihe von Werten, welche die grundlegende Orientierungs- und Entscheidungshilfe für agile Teams auf ihrem selbstgestalteten Weg zum gesetzten Ziel bilden. In Form von konkreten und erprobten Techniken werden die Werte umgesetzt und die agilen Teams bei ihrer Selbstorganisation ideal unterstützt.
Unter Werten werden grundlegende erstrebenswerte Merkmale und Eigenschaften agiler Projekte subsumiert. Typisch positive personenbezogene Wesensmerkmale wie Eigenverantwortung, Zielstrebigkeit, Offenheit und Respekt sind damit korreliert und tragen zu einer positiven Unternehmens- bzw. Schulkultur bei. Als die beiden zentralen Werte agiler Methoden gelten Kommunikation und Einfachheit. Gemeinsam mit den Werten Feedback, Selbstorganisation und Transparenz werden sie nicht nur in der Softwarepraxis gelebt, sondern bilden auch die Basis für die Agile Schule. Darüber hinaus können in agilen Projekten je nach Schwerpunktsetzung auch andere Werte wie bspw. Commitment, Mut oder Fokus wichtig werden.
Abbildung 2.3: Werte, auf die sich die Prinzipien und Methoden der agilen Projektarbeit beziehen
Im Folgenden werden die wichtigsten Werte der Agilen Schule genauer charakterisiert:
Kommunikation
Kommunikation ist die Grundlage für gemeinsames Arbeiten und Lernen. In agilen Projekten ist sie die Voraussetzung dafür, dass Wissen regelmäßig und bestmöglich ausgetauscht und innerhalb des Teams verteilt wird. Bei der Übernahme klassischer Vorgehensmodelle wird mitunter auch in Schulen versucht, durch die fließbandartige Abarbeitung von Dokumenten wie Lasten- und Pflichtenheft, Modellen, Klassendokumentationen und Anderem die zwischenmenschliche Kommunikation zu ersetzen. Für agiles Vorgehen ist dagegen die direkte Kommunikation aller Beteiligten zentral. Sie sollte regelmäßig, zielorientiert, offen, ehrlich, und respektvoll erfolgen. Das betrifft auch die Absprachen über (Zwischen-)Ziele und Machbarkeiten im Projekt sowie den Austausch über Einschätzungen, Lösungswege, Entscheidungen und Probleme mit den Teammitgliedern.
Einfachheit
Um Ziele zu erreichen, ist Einfachheit sowohl bei der inhaltlichen Arbeit als auch bei der organisatorischen Durchführung eines agilen Projekts zentral. Dabei ist die Leitfrage des KISS-Prinzips («Keep it small and simple») hilfreich für die Fokussierung auf das Wesentliche: Kann ich es sinnvoll einfacher gestalten? Konkret soll in der inhaltlichen Umsetzung nur das implementiert werden, was für die unmittelbare Zielstellung benötigt wird. Unnötige Details hingegen gefährden den Projektfortschritt. Gibt es mehrere Lösungswege, so ist der einfachere zu bevorzugen; er ist leichter nachzuvollziehen und zu verstehen. Dadurch werden später auch die Fehlersuche, das Erweitern und die Pflege erleichtert. Auch zur Projektorganisation werden nur diejenigen Techniken und Praktiken herangezogen, die einen Mehrwert bieten. Welche das sind, muss abhängig vom konkreten Projekt entschieden werden bzw. kann nach Reflexionsphasen angepasst werden. Beispielsweise kann in der Schule auf Rollen, wie sie in Scrum existieren, weitestgehend verzichtet werden.
Feedback
Feedback ist eine der konstruktivsten Formen der Kommunikation und grundlegend für individuelle und gemeinsame Lern- und Weiterentwicklungsprozesse. In sequenziell verlaufenden Projekten erhalten die Teams erst beim Abschluss ein Feedback. Stärken und Schwächen bei der Planung etwa werden so zwar benannt, aber die Gelegenheit, daraus Gelerntes unmittelbar anzuwenden, wurde verpasst. In agilen Projekten werden die Phasen zyklisch in ↑ Iterationen durchlaufen, um das Zwischenprodukt (↑ Prototyp) schrittweise zu erweitern, woraus sich eine regelmäßige Rückkopplung ergibt. Unmittelbare Bedeutung für die Schülerinnen und Schüler hat die frühe Rückmeldung auf der Ebene der umgesetzten Lösungen, die sie in agilen Projekten in der Beurteilung der Zwischenprodukte im Review (↑ Reflexion) erhalten. Feedback auf (Selbst-) Steuerungsebene bezieht sich auf die Selbstorganisation und Selbstreflexion des Teams und des Einzelnen und kann ebenso wie Feedback auf der Personalebene in den Retrospektiven (↑ Reflexion) gegeben werden.
Selbstorganisation
In klassischen professionellen Projekten, die in Phasen verlaufen, gibt es Taktgeber: Das Entwicklerteam trifft kaum organisatorische Entscheidungen, sondern setzt lediglich von Vorgesetzten genehmigte Pläne in vorgegebenen Zeiträumen um, weshalb Selbstorganisation nur in begrenztem Umfang erforderlich ist. In Schulprojekten hingegen sind Selbstorganisation und Eigenverantwortung zwar seit jeher gewünscht, in der Umsetzung aber nur schwer zu erreichen, da konkrete, unterstützende Methoden fehlen. Agile Methoden beheben diesen Mangel. Sie helfen den Teams, in einem vorgegebenen Rahmen selbst zu entscheiden, welche Ziele sie sich setzen und wie sie ihre (Lern-)Arbeit inhaltlich und zeitlich gestalten und strukturieren. Da das Vorgehen in agilen Projekten transparent ist, erkennt auch der Agile Coach bzw. die Lehrkraft, welche Art der Unterstützung das jeweilige Team (noch) benötigt, bis die Selbstorganisation tatsächlich gelingt.
Transparenz
Klarheit über die Aktivitäten im Team, offene Kommunikation und aktiver Informationsaustausch sind entscheidend für den Erfolg kollaborativer Arbeit und kooperativen Lernens. Klassische, in Phasen ablaufende Projektarbeit ist vergleichbar mit einem U-Boot, das regelmäßig für längere Zeit abtaucht. Was in dieser Zeit passiert, ist von außen nicht einsehbar. In agilen Projekten hingegen sind Strukturen und Prozesse transparent, für die Teams (von innen) und die Lehrkraft/Projektleiter/Kunden (von außen). Jeder kann die Ziele und Abläufe sehen, da der Projektstand und die aktuellen Tätigkeiten visualisiert werden und so jederzeit auf einen Blick erfassbar ist, wer wann woran arbeitet, was noch zu tun ist und was bereits erledigt wurde. Probleme werden offen angesprochen, Entscheidungen gemeinsam getroffen und Wissen und Informationen werden aktiv untereinander geteilt. Dieses Hineinsehen und Verstehen ist für Schülerinnen und Schüler eine wesentliche Voraussetzung zur Partizipation, und für Lehrkräfte ist es die Basis, auf der sie entscheiden, welche Rolle für sie gerade passend ist: die eines Trainers, eines Coaches oder eines Beobachters. Insbesondere als Beobachter kann die Lehrkraft dank der Transparenz die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler verfolgen und somit ein fundiertes Feedback geben.
Agile Werte durch Praktiken und Techniken zum Leben erwecken
Der agile Prozess gibt einen Rahmen vor, in dem Projekte so strukturiert werden, dass zu jedem Zeitpunkt das Richtige richtig getan wird. Insbesondere mittels verschiedener Praktiken und Techniken zum Visualisieren, Austauschen und Nachdenken werden dabei die Agilen Werte zur Basis des Handelns gemacht.
Visualisieren
Eine zentrale Rolle spielen Praktiken und Techniken, die den Stand und die Aufgaben des gesamten Projekts und insbesondere des aktuellen Zyklus auf einen Blick erfassbar und damit für alle transparent machen. Das Visualisieren erfolgt in der Agilen Schule ebenso wie in professionellen Projekten durch das ↑ Project-Board mit seinen drei Spalten für geplante, in Arbeit befindliche und erledigte Aufgaben sowie durch priorisierte ↑ User-Storys und die Beschreibung damit verbundener Aufgabenpakete in Form von ↑ Tasks, für die Einzelne für alle sichtbar die Verantwortung übernehmen. Die Visualisierung unterstützt die Selbstorganisation, zeigt das Commitment des Teams bzw. der einzelnen Teammitglieder, fordert Einfachheit bei der Planung ein und sorgt für ein fokussiertes Arbeiten.
Austauschen
Ebenso wesentlich ist eine Reihe von Techniken und Praktiken, die den Austausch von Informationen und Wissen unterstützen, wobei sie jeweils nicht nur einen Anlass zur Kommunikation bieten, sondern diese auch strukturieren. So erfolgt der Austausch in der Agilen Schule analog zu professionellen agilen Projekten bspw. vor dem Hintergrund der täglichen Absprachen (↑ Stand-up-Meeting),