Zelle 14. Salomon Bernhard

Zelle 14 - Salomon Bernhard


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      Sie behandeln mich wie eine Terroristin. Anweisungen bellen. Als wäre alles andere gefährlich. Als könnte ich Freundlichkeit, würde einer von ihnen sie zeigen, benützen. Um in sie einzudringen und mit ihnen zu machen, was ich will.

      Beim Eingang wartet Maria. Sie ist eine Beamtin von hier. Sie ist mir vertraut. Das tut gut um diese Zeit, um die ich sonst mit einem leichten Schlafmittel zu Bett gehe.

      Wir Häftlinge tun nichts in Situationen wie dieser. Das weiß sie. Egal, wofür wir sitzen. Nicht einmal die unter uns, die als geistig abnorm gelten, tun etwas. Nicht einmal die Brandstifter, die als besonders gefährlich gelten.

      Wir Häftlinge sind in Situationen wie dieser wie Schafe. Ich bin es besonders. Sagen sie mir links, gehe ich links. Sagen sie mir rechts, gehe ich rechts. Jahre in einem einzigen Gebäude. Musst du da raus, kannst du nur ein Schaf sein.

      Die zwei Beamten von hier bleiben zurück. Der Sicherheitsbeamte begleitet mich mit Maria zum Ausgang. Ich frage ihn nach seinem Namen.

      Dienstnummer.

      Gehen Sie weg von der Beamtin, sagt er.

      Keine Ahnung, welche Vorstellungen er von mir hat.

      Ein silberfarbener Kleinbus. Wir haben den 18. Januar 2017. Ich in meinen Schlafsachen. Minus 10 Grad. Schiebetür. Maria und ich sitzen hinter dem Gitter, das die Vordersitze vom Fond trennt. Die Bankreihe hinter uns bleibt leer.

      Viereinhalb Jahre, aber du blickst nicht zurück. Kein Gedanke an nichts. Justizanstalt Schwarzau am Steinfeld, Niederösterreich. Mit dem Auto vierzig Minuten von Wien entfernt. Viereinhalb Jahre vergessen in dem Moment, in dem du aufbrichst. Viereinhalb Jahre, die schon vor ihrem Beginn verloren waren und dennoch. Unmerklich in dich hineingeflossen sind.

      Die Nacht um uns ist wie das Weltall für mich. Unbetretbare Zone.

      Mir ist schlecht, sage ich.

      Wir fahren weiter.

      Bitte anhalten.

      Wir fahren weiter.

      Ich kotze auf den Boden.

      Ich bin vielleicht noch schön, aber nicht jetzt.

      Wir halten am Straßenrand. Der Beamte steigt aus. Öffnet die Schiebetür. Stellt sich mit ausgebreiteten Armen in die Öffnung.

      Als könnte ich wegrennen, so wie ich bin.

      Als könnte ich irgendwo da draußen hin.

      Maria sieht ihn an. Bleib ganz ruhig, sagt sie ihm mit ihrem Blick. Es ist nicht mehr weit.

      Maria hat mit mir und ein paar anderen Frauen getanzt. Im Sportraum der Justizanstalt Schwarzau. Sie hat vorgetanzt. Zumba. Forensisches Zentrum Asten, denke ich. Der nächste Planet im Weltall. Wir fahren weiter.

      In Asten ist es gut, sagt Maria.

      Das sagen sie alle. Ich traue dem trotzdem nicht. Nach drei Jahren Untersuchungshaft und viereinhalb Jahren Frauengefängnis erwartest du nicht mehr, dass Dinge besser werden. Mein Lebensziel in den vergangenen siebeneinhalb Jahren war. Jeden Tag überleben und sehen, dass nichts schlechter wird.

      Asten heißt angeblich.

      Erstens. Ein besseres Gebäude.

      Zweitens. Bessere Haftumstände.

      Drittens. Freundlichere Menschen.

      Viertens. Mehr Freiheiten.

      Fünftens. Mehr Besuchszeit.

      Sechstens. Mehr Therapie.

      Ich merke, dass uns der Beamte am Steuer zuhört.

      Sie können, sage ich. Mit mir reden. Normal. Ich habe zwei Ohren.

      Okay, sagt er.

      Es wäre, sage ich. Nicht nötig gewesen. Dass ich im Pyjama hier sitze und den Wagen vollkotze. Während mir in meiner alten Zelle wahrscheinlich gerade jemand den Schmuck klaut.

      Sie kriegen morgen alles wieder. Verlassen Sie sich darauf.

      Gut. In dem Fall verzeihe ich Ihnen.

      Er ist Mitte dreißig. Er lacht. Dann findet er die Adresse nicht. Asten, Technologiestraße 5. Irren durchs Weltall.

      Bis es sich lohnt.

      Endlich ein Gittertor.

      Wir stehen lange davor.

      Als wäre dieser Planet. Unbewohnt.

      Ein Mann in Zivil von etwa vierzig Jahren, der aussieht wie Einstein. Er wirkt wie aus dem Bett gerissen. Seine Stimme ist trotzdem kräftig. Wie die von jemandem, mit dem du besser nicht spielst. Er streckt mir die Hand entgegen. Dr. Christoph Weber.

      Ich frage mich. Was bin ich hier?

      Wirklich ein Mensch? Oder doch wieder Tier?

      Sie bringen mich in den Frauentrakt. Weber redet mit mir. Ich verstehe nichts. Alles ist neu.

      Nach viereinhalb Jahren in einem Gebäude verhält sich deine Neurochemie in einem anderen, als hätten sie dich tatsächlich quer durchs Weltall auf einen fremden Planeten geschossen.

      Viereinhalb Jahre lang immer nur das Personal der Justizanstalt Schwarzau. Jetzt Weber. Zwei Pflegerinnen in schwarzen Hosen und hellblauen Oberteilen. Eine neue Sprache. Der Akzent Oberösterreichs. Ich kriege nichts von dem, was Weber sagt, in meinen Kopf. Trotzdem nicke ich dauernd.

      Meine neue Zelle. Weber erklärt mir anscheinend, was ich darf und was nicht. In welchen Fällen ich läuten muss. In welchen ich nicht läuten darf.

      Tür zu. Da ist die Toilette. Da ist das Bett. Es ist schmal, aber sauber. Mehr brauche ich nicht.

      Die Luft ist trocken. Ich schlafe schlecht.

      Ich habe einen seltsamen Traum. Sobald meine Sachen da sind, denke ich noch im Traum, trage ich ihn in mein Traumtagebuch ein.

      Es klopft.

      Ich bewege mich nicht. Ich habe mir in der Nacht beim Umdrehen den Kopf an der Wand gestoßen. Das stört mich nicht. Ich kenne das von den Betten in anderen Zellen. Mit der Zeit nimmst du unbewusst Maß und passt dich an.

      Ja, es klopft.

      Was muss ich tun?

      Frühstück, sagt draußen eine Frau. Sie können kommen.

      Ich öffne die Tür.

      Guten Morgen. Haben Sie gut geschlafen, Frau Carranza?

      Schwarze Hose. Hellblaues Oberteil.

      Ich starre die Frau an.

      Ich kann mich nicht. Artikulieren.

      Menschen, die mich begrüßen. Die normal mit mir reden. Vielleicht stimmt es, was sie sagen. Dass das Forensische Zentrum Asten nach außen ein Gefängnis und nach innen eine Klinik ist.

      Bisher gab es hier nur Männer. Wir sind die neue Frauenabteilung hier. 14 Frauen, von denen ich einige schon aus der Justizanstalt Schwarzau kenne. Wir wohnen in Wohngruppen. Ein gemeinsames Wohnzimmer. Eine gemeinsame Küche. Eine gemeinsame Waschmaschine. Im Wohnzimmer stehen zwei Hydrokulturen, ein großer Flachbildfernseher und drei mit Kunstleder bezogene Dreiersofas.

      Sie können auch in Ihrem Zimmer einen kleinen Fernseher haben, sagt ein Pfleger. Sie können einen kaufen. Es gibt ein Modell zur Auswahl.

      Er lächelt.

      Das Modell kostet 250 Euro, sagt er. Ein kleiner schwarzer Flachbildfernseher. Sie können auch beim Sozialdienst einen beantragen. Die vergeben kostenlos gebrauchte Geräte nach Verfügbarkeit. Es ist fast immer eines verfügbar.

      Sie sind so freundlich hier. Sie nennen uns nicht Häftlinge, sondern Klienten. Sie nennen unsere Zellen nicht Zellen, sondern Zimmer. Die Pfleger haben gute Ausbildungen. Viele scheinen weit gereist zu sein und zu wissen, was so passiert. Sie strahlen Ruhe aus. Einige tragen Weiß statt der schwarzen Hosen und der hellblauen Oberteile. Die dürfen


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