Zelle 14. Salomon Bernhard

Zelle 14 - Salomon Bernhard


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Regal, auf dem jetzt mein selbst gekaufter Fernseher steht. Ein kleiner Tisch, der wie ein Esstisch aussieht. Ein größerer Tisch mit zwei Laden. Meine Staffelei. Durch das Fenster sehe ich Dächer. In der Ferne ein Feld. Unten den Ausgang eines Männertraktes.

      Trotzdem waren die vergangenen zwei Monate schwer. Mich schwindelte oft und mein Stoffwechsel war blockiert. Ich aß Haferbrei. Meine Haare waren strähnig. Jetzt finde ich mich langsam zurecht. Ich weiß langsam, wer meine Freunde sind und wer nicht zu uns gehört. Ich bekomme langsam meine alte Rolle zurück. Die berühmte Doppelmörderin, die in der Häftlingshierarchie ganz oben steht. Zu deren Freunden du besser gehörst.

      Heute ziehe ich das rote Dolce & Gabbana-T-Shirt an. Zur Feier meiner langsamen Ankunft.

      Esti, ach Esti. Dein T-Shirt gefällt mir.

      Ich lächle. Guten Morgen.

      Dorothea sitzt mit zwei anderen Frauen vor dem ausgeschalteten Fernseher im Wohnzimmer. Obwohl es drei Sofas gibt, sitzen sie alle auf einem. Dabei ist keine von ihnen schlank. Keine hat weniger als hundert Kilo. Auch nicht die freundliche Dorothea. Sie warten auf die Haustechniker. In der Kammer, die sie Raucherlounge nennen, ist die Lüftung kaputt. Kommen die Haustechniker, versüßt das ihren Alltag.

      Sie haben diesen Trakt für uns umgebaut und neu eingerichtet. Manches funktioniert noch nicht. Die Haustechniker haben regelmäßig zu tun. Kabel verlegen. Fliesen tauschen. Den Verputz erneuern. Die Waschmaschine reparieren.

      Zwei Männer kommen mit einer Leiter. Einen von ihnen kennen Dorothea und ihre Freundinnen offenbar. Sie deuten mit dem Kopf in seine Richtung, tuscheln, lachen derb, rücken noch enger zusammen.

      Ich setze Wasser für grünen Tee auf und betrachte den Mann unauffällig Er ist groß. Schlank. Er ist blond. Blauer Blick. Diese Samurai-Frisur, die jetzt modern ist.

      Meine Damen, sagt er. Wie gefällt es Ihnen hier?

      Er lächelt.

      Sie sind keine Damen. Zwei von ihnen haben keine Zähne mehr und ihre Prothesen tragen sie eher in ihren Hosentaschen als im Mund. Sie haben fettige Haare und ausgefranste Ohrläppchen von Ohrringen, die sie einander im Streit ausgerissen haben. Sie sind übersät mit Tätowierungen und waschen sich kaum.

      Die Männer tragen die Leiter in die Raucherlounge und lassen die Tür offen. Der Blonde klettert hinauf und macht sich an den Lüftungsrohren zu schaffen. Seine dünnen Beine stecken in kurzen Arbeitshosen und -schuhen. Über dem rechten Knie hat er eine Tätowierung, sonst überall Narben. Er sieht nicht wie ein Haustechniker aus. Er muss einer von uns sein. Einer von uns mit einem Job.

      Die anderen Frauen kennen ihn wahrscheinlich vom Hof. Dort trennt ein Zaun die Männer von den Frauen. Wie zwei Mannschaften auf zwei Seiten eines Spielfeldes. Ich meide den Hof. Ich vertrage Sonne schlecht und mindestens zwei der Männer schreien immer herüber. Eislady! Hallo Eislady! Komm zu uns!

      Bist du ganz oben in der Hierarchie, musst du wissen, wann du dich rarmachst.

      Frauen und Männer begegnen einander in den meisten Gefängnissen. Auf den Wegen durch die Gänge. Manchmal entsteht etwas dabei. Du bleibst stehen. Holst dir den Namen. Die Adresse weißt du ja. Schreibst Briefe und bekommst welche. Die Beamten lesen sie. Das ist dir egal. In der Gefängnismonotonie brauchst du etwas, das dir den Alltag versüßt.

      Hier im Forensischen Zentrum Asten ist das Verhältnis zwischen den Geschlechtern besonders offen. Frauen und Männer begegnen einander nicht nur im Hof, sondern auch an vier weiteren Orten.

      Erstens. Im Klienten-Café. Dort gibt es Tischchen wie im Besucherraum und eine Theke, an der du Kaffee und Kuchen bekommst. Sie machen es wöchentlich einmal im Mufu-Raum auf. Mufu-Raum wie Multifunktionsraum. Ich meide es aus den gleichen Gründen wie den Hof.

      Zweitens. In der Werkstatt. Was wir dort machen, nennen sie nicht Arbeit, sondern Arbeitstherapie. Sie kriegen Aufträge von Firmen. Genau wie in der Justizanstalt Schwarzau. Vogelhäuschen zimmern, solche Sachen. Mit Werkzeugen. Hammer. Zange. Auch mit elektrischen. Mit Sägen. Ich bin bald zur Probe dort und werde sehen, wie es ist.

      Drittens. Bei Anstaltsjobs wie Kochen oder Putzen. Diese Jobs geben sie eher Häftlingen ohne Maßnahmenvollzug, die es hier auch gibt. Von uns können die wenigsten zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein und eine bestimmte Aufgabe erledigen. Sie zahlen dafür 1, 30 Euro die Stunde. Die eine Hälfte davon geben sie dir gleich. Die andere heben sie für den Tag deiner Entlassung auf. Ich habe nie gefragt, wer dein Geld bekommt, wenn sie dich nie entlassen. Wahrscheinlich deine Erben. Ich bin abergläubisch. Es bringt bestimmt Unglück.

      Viertens. Im Sportraum. Er dient zum Training an Geräten oder zum Ballspielen. Jede Wohngruppe hat dafür ein Zeitfenster. Überschneidet sich das Zeitfenster einer Männergruppe mit dem einer Frauengruppe, trainieren Männer und Frauen gemeinsam. Ich gehe regelmäßig hin und es war bisher in Ordnung.

      Der Häftling auf der Leiter ist anders als die anderen Männer hier. Viele von ihnen sind als Psychopathen eingestuft. Das siehst du ihnen auch an. Doch dieser Typ hat edle Gesichtszüge. Er wirkt intelligent. Ein Traum-Handwerker. Jede Frau hätte ihn gerne, käme er zu ihr nach Hause, um etwas zu reparieren.

      Ich ignoriere dich, denke ich. Die anderen sollen dich anhimmeln. Ich tue das nicht. Spielt ihr eure Spielchen. Auf mich müsst ihr verzichten.

      Er sieht mich an.

      Ich weiß nicht warum. Ich schäme mich.

      JAGUAR

      Andrea hat um sich geschlagen. Sie hat geschrien und getobt und die Hydrokultur beschädigt. Jetzt sitzt sie allein auf einem Sofa und schnauft. Zwei Pfleger kommen. Sie treten links und rechts neben sie. Andrea muss in die Absonderung. So nennen sie die Einzelhaft hier. Ein Raum mit einer Edelstahltür, in den du nicht willst. Darin ist nichts. Auch nichts, mit dem du dich verletzen könntest.

      Die Pfleger könnten Andrea packen und dorthin schleifen. So sind sie hier nicht. Selbst wenn Häftlinge auf sie losgehen, setzen sie Gewalt so schonend wie möglich ein.

      Kommen Sie Andrea, sagt einer der Pfleger. Gehen wir. Sie sind bestimmt bald wieder heraußen.

      Andrea murrt und bewegt sich nicht.

      Rauchen wir noch eine, sagt der andere Pfleger. Dann bringen wir es hinter uns.

      Andrea setzt sich murrend in Bewegung.

      Ich habe diese Frauen lange merken lassen, dass ich sie verachte. Stefanie, meine Psychotherapeutin hier, erklärte mir, das sei nicht gut für die Meinung der Psychologen und Psychiater über mich. Diese Frauen sind die Menschen, mit denen du auskommen musst, sagte sie.

      Fragen mich jetzt Psychologen oder Psychiater nach meinem Verhältnis zu ihnen, antworte ich. Wäre ich so viel besser als sie, wäre ich nicht hier.

      Ich sitze jetzt manchmal mit zwei von ihnen auf einem Dreiersofa vor dem Fernseher. Ich mag es sogar. Es kann kuschelig sein und wir naschen dabei. Stinkt eine, sage ich es ihr. Dann geht sie duschen und sich umziehen, kommt zurück, hebt einen Arm und ich nicke.

      Trotzdem weiß ich bei den meisten nicht, warum sie sitzen. Hier geht es beim Smalltalk eher um Krankheiten als um Verbrechen. Was bist du? Narzisstin? Ach ja. Ich bin Borderlinerin, auch mit einem narzisstischen Anteil. Der Psychopathen-Test bei dir? Positiv? Negativ?

      Haftgründe sind unter uns kaum Thema. Bloß bei mir kennen ihn alle. Alles stand in allen Zeitungen. Sogar die New York Post und die Bild berichteten über mich. Der Boulevard wird nicht müde, über mich zu schreiben. Als ich eine vegane Phase beendete, weil ich zwei Kilo abgenommen hatte und mich zu schlank fand, schrieb ein Blatt auf Seite eins.

      Eislady ist magersüchtig.

      Als wäre ich Angelina Jolie.

      Warum die anderen hier sind, ist mir höchstens so wichtig wie die Zahl der Geschwister, die jemand hat. Was jemand getan hat, muss er sich mit den Gerichten ausmachen. Vielleicht mit sich selbst. Sicher nicht mit mir.

      Es ist mir deshalb so egal, weil ich weiß. Jeder


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