Zelle 14. Salomon Bernhard

Zelle 14 - Salomon Bernhard


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und die meisten tun es nie. Es bedeutet nichts, wenn jemand unbescholten ist. Ich war auch einmal unbescholten, dann habe ich zwei Männer umgebracht. Wer sagt, dass jemand, der unbescholten an einer Bushaltestelle sitzt und Zeitung liest, nicht morgen einen Mord begeht?

      Jeder hat es in sich, zu töten. Im Krieg zum Beispiel. Im Vietnamkrieg haben amerikanische Soldaten ganze Familien in Erdlöcher geworfen und Granaten hinterher. Wir leben in Frieden, aber in dir kann Krieg herrschen und niemand weiß es. Wenn es um dein Leben oder um das deiner Kinder geht. Wenn du es zumindest glaubst. Tötest du. Es ist nur eine Frage der Angst und des Drucks. Bist du noch unbescholten, bedeutet das nur, deine Angst und der Druck waren noch nie groß genug.

      Bei anderen Häftlingen zählt für mich deshalb vor allem, wie sie sich mir gegenüber verhalten. Nur unter guten Freunden reden wir darüber, was wir getan haben. Wenn wir einander so nahekommen, dass wir über alles reden.

      Klara und ich lernten einander während meiner Untersuchungshaft kennen. In der Justizanstalt Wien-Josefstadt, die sie das graue Haus nennen. Vor ihr waren die Zigeunerinnen meine Freundinnen.

      Die Zigeunerinnen waren wie ich. Familie war für sie ein heiliger Bund. Sie waren abergläubisch wie ich. Sie kochten sogar so ähnlich wie die Mexikaner. Sie brachten mir bei, wie du die Aufmerksamkeit von jemandem ablenkst, um Sachen aus seinen Taschen zu ziehen. Stehlen ist nicht mein Ding, aber an langen Abenden fangen die Diebinnen immer als Erste zu erzählen an.

      Klara war noch mehr wie ich. Auf eine andere Art. Wir verstanden uns sofort. Ich erzählte ihr von meinen Großmüttern. Sie erzählte mir davon, wie sie alles zerstörte. Und sich selbst wegwarf.

      Vergiss dieses Arschloch, sagte ich zu ihr. Lass ihn ficken, wen er will. Du kannst noch immer ein schönes Leben haben.

      Wie ist es, fragte sie mich, so zu sein wie du?

      Wut verbindet alles und formt es neu zu einem runden Ganzen, sagte ich. Nur wenn ich müde bin, ist alles manchmal viel zu groß. Dann wäre ich gerne unauffällig für mich selbst.

      Bleib wütend, sagte Klara.

      Sie ging damals in die Garage. Schloss das Tor. Setzte sich in den Jaguar. Ließ die Wagentür offen. Startete den Motor. Eben war sie noch zerrissen. Jetzt ruhte sie in sich. Sie lehnte sich zurück. Schloss die Augen. Eine Tür ging auf. Oliver kam herein. Ihr kleiner Sohn.

      Mami.

      Oliver setzte sich auf Klaras Schoß. Sie war zu benommen. Sie konnte nichts mehr tun. Ihre Hände lagen kraftlos da, als Oliver seinen kleinen Körper an ihren schmiegte.

      Versuchter Mord an Oliver.

      So lautete die Anklage.

      Ich stehe in meiner Zelle im Forensischen Zentrum Asten vor dem Spiegel. Zähne geputzt. Im Pyjama. Bin ich noch schön? Habe ich noch diese eisklaren Augen? Dieses Gesicht wie aus Porzellan? Diesen Arsch, an dem sie irgendetwas finden? Ich weiß nicht was?

      Ich habe Klara nie gefragt.

      Hast du damals gewusst, was Liebe ist?

      GELD

      Ich schmiere mir mit beiden Händen Honig ins Gesicht. Danach greife ich in eine Schüssel mit Zucker, die am Rand des Waschbeckens steht. Mit meinen Honigzuckerhänden massiere ich Gesicht und Hals. Wasche alles mit lauwarmem Wasser ab und spüle mit eiskaltem nach. Meine Haut ist jetzt weich und rein. Werner soll mich schön finden.

      Durch eine Fensterwand im Besucherraum siehst du das Haupttor und die Parkplätze. Besucher denken deshalb, die Welt da draußen wäre nur ein paar Meter entfernt. Ich denke das nicht. Für mich ist die Welt da draußen nicht realer als die Welt, die ich am Bildschirm unseres Fernsehers in der Wohngruppe sehe, wenn wir uns auf RTL oder Sixx romantische Komödien mit Drew Barrymore oder Cameron Diaz ansehen. Jeden Montag spuckt diese Welt einen Menschen aus, der meine betritt, um mich zu sehen. Ich lege meinen Kopf in den Nacken. Werner küsst mich auf den Mund.

      Montag ist im Forensischen Zentrum Asten laut Hausordnung besuchsfrei. Sie hatten unsere Treffen anfangs trotzdem auf Montag gelegt, damit andere Besucher keine Informationen über mich hinaustragen können. Irgendwann bekam ich auch Besuche während der normalen Zeiten. Da war der Montag mit Werner für alle schon fix.

      An der Torwache kennen sie ihn. Er gibt seinen Führerschein ab und bekommt einen Schlüssel für das Fach, in das er seine Sachen legt. Er tritt durch den Metalldetektor und bringt nur den Schlüssel und die Münzen für den Getränke- und den Kaffeeautomaten mit. Wir haben jeden Montag drei Stunden und setzen uns immer an den gleichen Tisch. In der Ecke, die der Freiheit am nächsten ist. Nicht der Freiheit wegen, sondern weil wir uns dort von den Zimmerpflanzen, den Regalen und den Automaten am besten vor den Kameras geschützt fühlen.

      Werner hat die Internetseite eines Schmuckhändlers ausgedruckt.

      Schau, sagt er. Welcher gefällt dir?

      Werner und ich haben einen Traum, der aus zwei Teilen besteht.

      Unser Traum, Teil 1. Nach meiner Scheidung heiraten wir. So bald wie möglich gehe ich nach Spanien und er kommt mit. Er lebt in der Nähe meines Gefängnisses. Wenn ich frei bin, leben wir zusammen.

      In den spanischen Psychoknasts sind die Haftbedingungen schlechter. Das ist mir egal. Hast du so wie ich schlechte Karten, willst du sie neu mischen. Du willst, dass etwas passiert.

      Spanien gehört zu den Ländern, in denen es die Strafe lebenslänglich plus Maßnahmenvollzug an zurechnungsfähigen geistig abnormen Rechtsbrechern nicht gibt. Sie haben meine Überstellung deshalb bisher abgelehnt. Werner bleibt trotzdem dabei. Er mag unseren Plan. Er hat einer Menschenrechtsorganisation geschrieben. Er denkt, dass die Haftverbüßung im Heimatland ein Menschenrecht ist. Zumal für die Mutter eines dort lebenden Kindes. Spanien müsse sich etwas einfallen lassen, meint er.

      Werner kann solche Dinge. Als sie mir in der Justizanstalt Schwarzau den Tischbesuch strichen und nur noch Glasbesuche erlaubten, wandte er sich an die Volksanwaltschaft und andere Instanzen und erzielte kleine Erfolge.

      Wir sprechen über Markus Drechsler. Drechsler war selbst Häftling im Maßnahmenvollzug und ist jetzt so etwas wie der einzige Lobbyist für solche wie mich. Werner glaubt, dass Drechsler weiß, wie ich hier herauskomme.

      Er weiß vielleicht auch, wie du nach Spanien kommst, sagt Werner.

      Ich nicke und zeige auf den Ring, der von allen am wenigsten wie ein Ehering aussieht.

      Ich weiß nicht, sagt Werner.

      Seine Zärtlichkeit ist rosarot. Kühl. Drängend.

      Am Freitag hast du nicht angerufen, sagt er.

      Er streichelt meinen Hals.

      Er versteht nicht, dass es Tage gibt, an denen ich nicht telefonieren will. Nicht mit ihm. Auch nicht als Frau im Gefängnis, die in Beziehungen mit Menschen in Freiheit immer die schwächere Hälfte ist.

      Ich lächle.

      Tut mir leid, sage ich.

      Ich habe mir Sorgen gemacht.

      Werner schrieb mir zum ersten Mal während meiner Untersuchungshaft. Sein Brief fiel mir nicht auf. Es kamen viele. Mörder haben Fans. Sie schicken Fotos und Bastelarbeiten. Sie schwören Dinge. Liebe. Je grausamer seine Tat, desto mehr Fans hat der Täter.

      Werner schickte mir Geburtstags- und Weihnachtskarten. Als eine Zeitung schrieb, wie schlecht mich die anderen Frauen im Gefängnis behandelten, schickte er mir eine buddhistische Weisheit. Es ging darum, dass jeder manchmal Menschen trifft, die ihn nicht mögen.

      Meine Ehe mit Roland löste sich damals auf und ich wurde offener. Als mich Werner zum ersten Mal besuchte, nannte er es eine Seelenfreundschaft. Ich konnte mir nicht vorstellen, ihn je zu küssen.

      Wie schön, dass wir uns kennengelernt haben, sagte ich zu ihm.

      Er fing an, für mich zu kämpfen. Sie bewilligten mir damals keine Langzeitbesuche mit meinem Sohn, obwohl mich die zuständige Gerichtspsychiaterin


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