Zelle 14. Salomon Bernhard

Zelle 14 - Salomon Bernhard


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bleiben stehen und warten.

      Das ist sonst der Besucherraum, sagt der Pfleger.

      Nach fünf Minuten ist Weber da.

      Frau Carranza.

      Händedruck.

      Er deutet auf eins der Tischchen.

      Ich bin zittrig. Hoffe, dass ich das mit dem Sessel und dem mich Daraufsetzen richtig hinkriege. Es gibt Dinge, die verlernst du. Mit Höflichkeit umzugehen ist eines davon.

      Weber spricht über Regeln. Er sagt, dass ich hier Freiheiten haben kann. Bei den Besuchszeiten zum Beispiel. Dass es dafür nur eine Voraussetzung gibt.

      Lernen Sie, sich an Regeln zu halten, Frau Carranza, sagt er. Dann ist vieles möglich.

      Ich kenne das. Ich kenne es aus den anderen Gefängnissen. Es ist das große Dogma. Damit fängt alles an. Mit dem Einhalten von Regeln.

      Sie wissen, was du getan hast. Sie wissen, wozu du fähig bist. Sie wissen, in welchem Ausmaß und mit welchen Folgen du Regeln brechen kannst. Brichst du sie sogar hier im überwachten Raum, denken sie, wirst du es draußen in Freiheit erst recht tun.

      Wer sich dagegen an Regeln halten kann, kann sich auch an diese halten.

      Du sollst nicht töten.

      Hältst du dich an die Regeln, winken dir Haftlockerungen. Im Forensischen Zentrum Asten gibt es dafür drei Stufen.

      Stufe eins. Du kannst dich in der Anlage freier bewegen.

      Stufe zwei. Du kannst bei begleiteten Freigängen gemeinsam mit einem Beamten einkaufen gehen, ins Kino gehen oder ein Konzert besuchen.

      Stufe drei. Deine Freigänge sind unbegleitet. Du kannst sogar draußen arbeiten und musst nur noch zum Schlafen zurück.

      Brichst du die Regeln, können sie dich bestrafen. Selbst wenn du wie ich die schwerste aller Strafen schon absitzt. Sie können dich zu einer Ordnungsstrafe in Form einer Geldbuße verurteilen.

      Sie können dir den Alltag im Gefängnis erschweren. Dir den Fernseher wegnehmen. In der Justizanstalt Schwarzau haben sie mir

      erstens. Die Besuche am Tisch (Tischbesuche) gestrichen und mir nur noch Besuche hinter Glas mit Telefon (Glasbesuche) gestattet.

      Zweitens. Langzeitbesuche mit meinem Sohn abgelehnt.

      Drittens. Meine Besuchszeit auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum von einer halben Stunde wöchentlich reduziert.

      Viertens. Mein Fernstudium in Wirtschaftspädagogik an einer Universität in Barcelona gestrichen.

      Fünftens. Mir meine Arbeit in der Gefängniswerkstatt weggenommen.

      Wenn sie ein Handy bei mir fanden. Wenn eine Zeitung etwas über mich schrieb und sie dachten, ich hätte es veranlasst. So viel Gefängnis nach innen ist das Forensische Zentrum Asten also auch, entnehme ich Webers Worten.

      Ich sehe ihn an.

      Ich hätte kein Problem damit, mich an Regeln zu halten. Es ist nur so. Manchmal stehen sie mir im Weg. Mein Gehirn findet immer verlockende Argumente und Möglichkeiten, sie zu umgehen.

      Weber spricht über Vertrauen. Ich soll ihm vertrauen.

      Auch das wäre kein Problem. Weber scheint ein netter Typ zu sein. Bloß muss er sich einen anderen Job suchen, wenn ich ihm vertrauen soll. Es dürfte weder Staatsanwalt noch Polizist sein. Denn ist das Machtgefälle so, dass eine Seite alle Macht hat und die andere gar keine, ist Vertrauen für die Seite mit gar keiner Macht Selbstaufgabe. Das müsste ihm als Psychologen einleuchten.

      Weber hat schon eine Hand am Tisch.

      Haben Sie alles verstanden, Frau Carranza?

      Ich müsste dankbar sein. Für dieses Gespräch und überhaupt. Es gab Zeiten, da haben sie solche wie mich einfach aufgehängt. Diese Gesellschaft hingegen will zwei Dinge von mir.

      Erstens. Sie will mich bekehren. Zum Beispiel will sie mir zeigen, was Liebe ist. Ich sehe etwas in Männern, das sie nicht sind, sagen mir Psychologen, Psychiater und Psychotherapeuten. Das Ergebnis sei ein sich wiederholendes Muster. Alles fängt gut an und endet schlecht. Liebe ist, haben sie mir erklärt, eine Projektion meiner Sehnsucht auf einen anderen Menschen.

      Zweitens. Sie will herausfinden, wie ich bin. Weber als Leiter des Forensischen Zentrums Asten ist weder Jurist noch Polizist, sondern Psychologe. Der Leiter der Frauenabteilung ist ebenfalls Psychologe. Sie führen hier Gespräche mit uns und dokumentieren sie, um Entwicklungen abzulesen.

      Sie hat getötet, weil sie töten wollte. Diesen Befund gibt es nicht in ihrem Katalog. Der Abgrund wäre damit nicht mehr benennbar, vermessbar und schubladisierbar.

      Ja, sage ich zu Weber. Ich denke, ich habe alles verstanden.

      Er winkt einem Beamten der Torwache, der mich in meine Wohngruppe bringt. Der Fernseher läuft so laut, als wären hier alle schwerhörig.

      Meine Großmütter, denke ich, meine baskische und meine mexikanische. Nur wer weiß, was sie ihnen angetan haben, kann mich verstehen.

      NARBEN

      Klara hatte immer diese zwei Möglichkeiten.

      Möglichkeit eins. Ihr Leben genießen. Die Villa am Kahlenberg mit Blick über Wien. Den Jaguar. Die Kreditkarte. Den Neid der anderen. Und den Preis dafür bezahlen. Wegsehen, wenn ihr Mann sie betrügt. Sich klein machen.

      Möglichkeit zwei. Alles zerstören und sich selbst dabei wegwerfen.

      Ich kann immer die verstehen, die alles zerstören.

      Trage ich Klaras Sachen, ist das etwas Besonderes. Sie geben mir Kraft. Sie bringen mir Glück.

      Ich bin nach zwei Monaten noch immer nicht richtig im Forensischen Zentrum Asten angekommen. Ich laufe noch wirr durch die Gänge. Dieser moderne Bau mit Fußbodenheizung. Sie sagen, dass an heißen Sommertagen vom Boden auch die Kühle kommt.

      Ich will mich noch immer ständig bedanken. Für die Höflichkeit und für vier weitere Dinge, mit denen sie uns hier zu Menschen machen.

      Erstens. Für die Schlüssel. Ich hatte siebeneinhalb Jahre lang keine. Jetzt trage ich zwei bei mir. Einen für den Schrank in meiner Zelle. Einen für das Fach mit meiner Zellennummer im Kühlschrank. Ich bin in Zelle 14. Die Beamten und die Pfleger haben Generalschlüssel und benutzen sie auch. Morgens, wenn sie uns das Frühstück in unsere Fächer legen, kontrollieren sie deren Inhalt. Manche Frauen horten, was sie kriegen können und vergessen es. Die Beamten werfen schimmelnden Philadelphia-Käse oder fauliges Obst weg. Bei einer Razzia öffnen sie mit ihren Generalschlüsseln die Schränke. Es macht trotzdem etwas mit dir, wenn du Schlüssel hast.

      Zweitens. Für die Fenster. Sie haben Vorhänge und lassen sich kippen. Es sind zwar Gitter davor, aber schöne. Nicht diese Stäbe. Die Gitter sehen aus wie Fliegengitter. Zu grobmaschig für Fliegen, aber nicht für anderes fliegendes Getier. Als wären wir keine Diebe, Stalker, Mörder, Brandstifter und Kinderschänder, sondern große wilde Schmetterlinge.

      Drittens. Für mein Bett. Es hat eine normale Matratze. Es ist keine von diesen dünnen schlecht riechenden Matratzen, die ich aus anderen Gefängnissen kenne.

      Viertens. Für das Essen. Es ist nicht die übliche fettige Pampe. In der Früh legen sie uns Plastiktassen mit Honig, Marmelade oder Nutella in die Fächer. Dazu Butter und Obst. Ich sammle immer die übrig gebliebenen Honigtassen. Ich brauche sie für etwas.

      Zu Mittag gibt es Suppe. Meist klare mit Nudeln oder Backerbsen. Danach klassische österreichische Hausmannskost. Szegediner Gulyas. Gebratener Leberkäse mit Spinat und Kartoffelrösti. Überbackene Krautfleckerl. Manchmal auch Spaghetti Bolognese. Am Wochenende Rindfleisch mit Kartoffeln oder Reis.

      Am Abend Wurst, etwa hundert Gramm. Oder Leberkäse und ein gekochtes Ei. Zwei Scheiben Brot.

      Fünftens. Für meine Zelle. Sie liegt im ersten Stock und ist eine kleine


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