Zelle 14. Salomon Bernhard

Zelle 14 - Salomon Bernhard


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sagte er.

      Unseren ersten Kuss wünschte er sich als Belohnung dafür.

      Wir gehören zusammen, sagte er danach.

      Ich dachte daran, wie es früher war, wenn ich Mörder in Zeitungen sah. Sie faszinierten mich. Etwas an ihnen war anders. Sie schienen in einer anderen Welt zu leben. Aber mich in einen verlieben?

      Ja, sagte ich. Wir gehören zusammen.

      Werner stellt mir gerne Fragen nach meiner Vergangenheit. Sie sind drängend wie seine Zärtlichkeiten. Ich erzähle ihm immer die drei gleichen Geschichten.

      Erstens. Die Geschichte vom Heimkommen. Ich habe immer versucht, es meinen Männern recht zu machen. Kamen sie heim, hatte ich bereits für sie gekocht.

      Nach dem Essen habe ich ihnen auf dem Sofa die Hose aufgemacht. Danach habe ich ihnen das Bier zum Fernseher gebracht.

      Obwohl sie nicht von der Arbeit heimkamen, sondern aus Kneipen oder von anderen Frauen.

      Zweitens. Die Geschichte von der Pistole am Kopf. Mein erstes Opfer, ein Waffennarr, setzte mir manchmal eine geladene und entsicherte Pistole an eine Schläfe. Du bist wertlos, sagte er dabei. Es war die gleiche Pistole, mit der ich ihn erschoss. Ihn und den Mann nach ihm. Drei Schüsse für den einen. Vier Schüsse für den anderen. Es war blinde Wut.

      Drittens. Die Geschichte von den Butterbroten. Der zweite Mann, den ich umbrachte, demütigte mich, weil ich die Butter auf meinem Brot nicht bis zum Rand strich. Er sagte, ich sei sogar zu dumm, ein Brot zu streichen. Ich versuchte, meine Butterbrote so zu streichen, wie er es wollte. Weil ich dachte. Wenn ich ihn verliere, dann ist das der Untergang der Welt.

      Nur wenn mich Werner nach der Säge fragt, weiche ich aus.

      Fragt mich meine Psychotherapeutin Stefanie nach meiner Beziehung zu Werner, nenne ich ihr drei Gründe dafür.

      Erstens. Werner ist der Mann, der mich berührt. Hier in Asten gibt es Dreier-Sofas und Tier-Therapie. In der Justizanstalt Schwarzau hatte ich nicht einmal Körperkontakt mit einem Hund. Berührungen und Küsse bewirken mit der Zeit etwas. Menschen sind so. Ich bin auch so.

      Zweitens. Werner organisiert die Besuche meiner Mutter und meines Sohnes. Will ich meinem Sohn Schokolade oder Plastilin schicken, macht Werner das für mich.

      Drittens. Werner zahlt monatlich 150 Euro Telefongeld auf ein Konto der Justizanstalt Linz ein und schreibt unter Zahlungsreferenz HNR 113057. HNR für Haftnummer. 113057 für Estibaliz Carranza.

      Auch das Geld ist wichtig für mich, sage ich zu Stefanie, wenn wir über Werner reden. Tut mir leid, wenn das berechnend klingt. Ich muss hier sehen, wo ich bleibe.

      Mit den 50 Euro Sitzgeld, die sie uns monatlich geben, kommst du hier nicht weit. 150 Euro klingen noch immer nach wenig, doch hier hast du damit so gut wie ausgesorgt.

      Ich brauche das Geld vor allem zum Telefonieren. Niemand kann mich anrufen. Es geht nur umgekehrt und telefonieren ist hier teuer. Ich brauche das Geld auch für anderes. Zum Beispiel müssen wir Häftlinge den Strom selber zahlen. Sie berechnen ihn nach der Anzahl der Geräte in unseren Zellen. Ich habe

      erstens. Einen Föhn.

      Zweitens. Einen Laptop.

      Drittens. Einen Fernseher.

      Viertens. Einen Drucker.

      Macht 19 Euro Energiepauschale im Quartal. Du musst dir das Sitzen hier erst leisten können.

      Häftlinge, die niemanden haben, tun sich schwer. Sie können sich keine Schokolade kaufen und auch sonst nichts, das ihnen Freude macht. Sie schnorren oder behalten ihre Tabletten bei der abendlichen Ausgabe am Gaumen oder unter der Zunge, spucken sie wieder aus und verkaufen sie. Für Tabletten findest du hier immer Abnehmer. Häftlinge, die nichts wissen wollen. Nichts mitkriegen wollen. Die ihre Zeit mit Schlafen und einem guten Gefühl im Bauch hinter sich bringen wollen.

      Die Junkies verkaufen die Tabletten, die sie bei ihrem Entzugsprogramm kriegen. Benzos sind auch am Markt. Sie wirken beruhigend, angstlösend, muskelentspannend und helfen beim Schlafen. Es sind Tranquilizer, die süchtig machen und dein Hungergefühl steigern. Nimmst du Benzos, zieht alles an dir vorbei. Dafür wirst du fett.

      Dass ich mich auf diese Welt nicht einlassen muss, ist einer der Vorteile, die Werner für mich hat.

      Wir küssen uns.

      Ich liebe dich, flüstert er.

      Ich liebe dich, flüstere ich.

      Wir berühren uns überall.

      Ich stelle mir vor, wie die Beamten der Torwache nicht auf ihre Bildschirme schauen. Weil auch sie wissen, wie Menschen sind.

      ELISABETH

      Am Montag darauf schluckt Olga ihre Schlüssel. Den für ihren Schrank und den für ihr Fach im Kühlschrank. Wir alle wissen, warum sie das tut. Sie hatte keinen Löffel. Hätte sie einen Löffel gehabt, hätte sie den geschluckt.

      Olga und eine andere Frau schlucken regelmäßig Löffel. Als Borderlinerinnen tun sie es aus drei Gründen.

      Erstens. Aus Protest.

      Zweitens. Um auf sich aufmerksam zu machen.

      Drittens. Um über die Pfleger zu bestimmen.

      Sie zwingen die Pfleger so, mit ihnen ins Krankenhaus zu fahren und dort stundenlang mit ihnen zu warten, während die Ärzte die Löffel unter Vollnarkose aus ihnen herausholen.

      Die Hausordnung des Forensischen Zentrums regelt die Verwaltung des Essbestecks deshalb mit vier Punkten.

      Erstens. Zuständig dafür ist der Stützpunkt. Er ist rund und aus Glas und sieht aus wie ein Informationsschalter an einem Bahnhof. Wir erreichen ihn durch eine ebenfalls gläserne Tür. Sie ist jeden Tag zwischen sieben Uhr morgens und acht Uhr abends offen. Jede Wohngruppe unseres Traktes hat durch so eine Tür Zugang zum Stützpunkt. Glaswände, die wie Spinnenarme vom Stützpunkt ausgehen, sorgen dafür, dass Häftlinge verschiedener Wohngruppen einander nicht begegen.

      Der Stützpunkt ist auch für weitere organisatorische Aufgaben wie das Aufbewahren brennbarer Substanzen zuständig Will ich mir die Fingernägel lackieren, muss ich mir den Lack dort holen. Sie wissen, dass ich nichts abfackeln würde. Sie befürchten, dass eine der Brandstifterinnen ihn mir klaut.

      Zweitens. Borderlinerinnen, die sich mit einem Messer oder einer Gabel selbst verletzen oder einen Löffel schlucken könnten, holen ihr Essbesteck vor dem Essen am Stützpunkt ab. Der dort Dienst habende Pfleger führt eine Liste über das ausgegebene Besteck.

      Drittens. Die am Stützpunkt diensthabenden Pfleger müssen vor Dienstschluss alle Messer, Gabeln und Löffel zurückhaben. Manchmal suchen sie in den Zellen der Frauen danach. Was schwierig sein kann, weil einige das Messie-Syndrom haben.

      Viertens. Häftlinge, die keine Tendenz zur Selbstverletzung haben, behalten ihr Essbesteck. Vor dem Essen schließen sie ihre Schränke auf und holen es heraus. Nach dem Essen waschen sie es ab und schließen es wieder ein. In unserer Wohngruppe darf nur ich das Besteck im Schrank aufbewahren.

      Dass wir uns mit dem Besteck gegenseitig verletzen, ist hier kaum ein Thema. Seit ich hier bin, gab es nur zwei kleinere Vorfälle dieser Art. Beim schlimmeren verpasste eine Frau der anderen mit der Gabel einen Kratzer am Hals. Es gab in beiden Fällen ein Verfahren und die Täterinnen bekamen einige Monate zusätzlich. Was ihnen egal war, weil sie ohnedies im Maßnahmenvollzug waren. Es störte sie eher, dass sie für einige Wochen in ihren Zellen bleiben mussten.

      Olga schwärmt von der Vollnarkose. Die anderen hören ihr zu. Sie ist eine Heldin.

      Ich verstehe es, wenn Borderlinerinnen sich selbst verletzen oder Metallteile schlucken. Es nimmt Druck von ihnen. Ich verstehe es auch, wenn drogensüchtigen Häftlingen eine Vollnarkose den Alltag versüßt. Ich bin bloß für beides nicht der Typ. Während meines Studiums habe ich zur Leistungssteigerung Amphetamine genommen. Das war alles. Deshalb höre ich Olga nur kurz zu und gehe


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