Achtsamkeit in Schule und Bildung (E-Book). Detlev Vogel

Achtsamkeit in Schule und Bildung (E-Book) - Detlev Vogel


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ich angefangen habe, die Achtsamkeitsübungen regelmässig durchzuführen, fühle ich mich gelassener und entspannter, ich schlafe besser und erledige Dinge gewissenhafter. Mir wurde klar, wie viel Lebensqualität ich durch dieses bewusstere Leben zurückgewonnen habe. Auch habe ich mich besser kennengelernt. All diese Erkenntnisse machen mich sehr glücklich.»

      Wenn Achtsamkeit zunehmend in der Schule genutzt wird, scheint es besonders wichtig, dass sie nicht als Mittel «missbraucht» wird, um unkonzentrierte und verhaltensauffällige Kinder zu beruhigen. Wenn die Übungen dazu beitragen, dass sie ihre Impulse besser steuern können und sich besser konzentrieren können, ist das gut, aber im Grunde eher eine «Nebenwirkung».

      Im Kern geht es darum, dass Kinder in sich einen Raum finden und pflegen, in dem sie in jeder Situation Stille, Frieden und Zuversicht erleben können. Wenn sie diesen inneren Ort als Kind kennenlernen, wird er ihnen ein Leben lang helfen – besonders dann, wenn äusserlich nicht alles rund läuft. Achtsamkeit leistet insofern auch einen wichtigen Beitrag zu einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung.

      In einem Schulsystem, das zu einem Grossteil auf Leistung ausgerichtet ist, ist die Vermittlung von menschlichen Werten und sozial-emotionaler Kompetenz essenziell. Dieser Aspekt erhält durch den neuen Lehrplan 21 (ein derzeit in der Einführung begriffener, verbindlicher Lehrplan für alle 21 Deutschschweizer Kantone) einen grösseren Stellenwert, aber die Umsetzung erfordert im Grunde eine wirkliche Transformation unserer Schulkultur. Gebraucht wird der Mut, wirklich neu zu denken und die gewohnten Bahnen zu verlassen. Die Probleme von heute können nicht durch Optimierung der Methoden und Strukturen gelöst werden, die genau diese Probleme verursacht haben. Hier kann Schulentwicklung auf Grundlage von Achtsamkeit ein Weg sein.

      Voraussetzung für einen Wandel im Grossen ist die Entscheidung jedes Einzelnen, etwas zu ändern, seine Haltung dem Leben gegenüber zu verändern. Die folgende kleine Geschichte bringt dies in schönen Worten zum Ausdruck:

      Ein alter Tscherokese sass mit seinem Enkelsohn am Lagerfeuer. Es war schon dunkel geworden und das Feuer knackte, während die Flammen in den Himmel züngelten. Da sprach der Alte nach einer Weile des Schweigens: «Weisst du, wie ich mich manchmal fühle? Es ist, als ob da zwei Wölfe in meinem Herzen miteinander kämpfen würden. Einer der beiden ist ungeduldig, aufbrausend und aggressiv. Der andere dagegen ist liebevoll, sanft und mitfühlend.» Und dann fügte er hinzu: «Derselbe Kampf tobt auch in deinem Inneren – und im Inneren aller anderen Menschen.». Der Enkel dachte eine Weile darüber nach. Dann fragte er: «Grossvater, welcher der beiden aber wird den Kampf um dein Herz gewinnen?» Da antwortete ihm der alte Tscherokese: «Der Wolf, den ich füttere.»

      Die Tagung wäre nicht möglich gewesen ohne die Unterstützung von verschiedenen Seiten. Folgende Institutionen haben einen massgeblichen Beitrag zum Gelingen dieser Veranstaltung beigetragen:

      

Stiftung Suzanne und Hans Biäsch zur Förderung der Angewandten Psychologie, Zürich.

      

Schweizer Gesellschaft für Lehrerinnen- und Lehrerbildung (SGL)

      

MBSR-Dachverband Schweiz

      

Pädagogische Hochschule Luzern

      Ganz besonders ist dem Organisationskomitee zu danken, das die Tagung initiiert und konzeptionell und inhaltlich gestaltet hat: Adriana Büchler, Pädagogische Hochschule St. Gallen; Toni Bieri, MBSR-Lehrer, Willisau; Ingrid Busch, Pädagogische Hochschule Schwyz; Regula Nussbaumer, Pädagogische Hochschule Zürich; Claudia Suter, Pädagogische Hochschule der FHNW sowie Ursula Frischknecht-Tobler, Co-Präsidentin des MBSR-Verbandes, ehemals Pädagogische Hochschule St. Gallen. Organisatorisch hatte Janine Wigger alle Fäden in der Hand, sie leitet das Zentrum für Event- und Publikationsmanagement an der Pädagogischen Hochschule Luzern – ihr gebührt ein ganz besonderes Dankeschön!

      Ursula Frischknecht-Tobler

      «Der ‹Lehrplan› dieses Abenteuers, das wir Leben nennen und in dem Achtsamkeit eine solche zentrale Rolle spielen kann, ist immer das, was sich in diesem Moment entfaltet – ob wir das, was geschieht, nun mögen oder nicht» Kabat-Zinn 2013, S. 127

      Wer dieses Buch zur Hand nimmt wird sich vielleicht im Inhaltsverzeichnis über diejenigen Themen orientieren, die für die eigene Lebens- oder Unterrichtssituation relevant sind. Das ist auch völlig in Ordnung so, denn dieses Buch erhebt nicht den Anspruch, einen umfassenden Überblick über das Thema Achtsamkeit in Schule und Bildung zu geben, sondern widerspiegelt vielmehr eine Momentaufnahme, die die gleichnamige Tagung im März 2018 an der PH Luzern den Teilnehmenden an Referaten und Workshops geboten hat. Sie zeigt eine Vielfalt von Möglichkeiten, wie Achtsamkeit im Bildungsbereich im Begriff ist Einzug zu halten, genauso wie in anderen gesellschaftlichen Feldern wie Gesundheitswesen, Unternehmen oder Politik.

      Alle AutorInnen und ReferentInnen zeigen aus ihren Erfahrungsbereichen und ihrem Verständnis von Achtsamkeit Wege auf, wie Achtsamkeit in Forschung, Lehrerpersonenbildung, Weiterbildung und in allen Stufen der obligatorischen und weiterführenden Schulen, ja auch im Kindergarten und in der Heilpädagogik wirksam werden kann.

      Achtsamkeit und Mitgefühl sollten in unserer Gesellschaft so selbstverständlich werden wie Zähneputzen, brachte es der Hauptreferent Harald Walach zum Ausdruck. Er spricht von geistiger Hygiene oder der Kultivierung des Bewusstseins, die der Zerstreuung und der Ablenkung entgegenwirken kann. So wie fast alle Beteiligten strich er die Bedeutung einer regelmässigen Achtsamkeitspraxis, der Sammlung des eigenen Geistes hervor, um schliesslich authentisch und glaubhaft Kinder und Jugendliche an die Achtsamkeit heranzuführen. Susanne Krämer spannte den Bogen von den Herausforderungen der heutigen Bildungswelt und dem zunehmenden Stress auch in der Schule zu einer Kultur des gesundheits- und lebensförderlichen Miteinander. Die von ihr zitierte Forschung erhellt die positiven Wirkungen von verschiedenen bereits erprobten Achtsamkeitsprogrammen auf Kinder und Jugendliche im medizinischpsychologischen, im sozialen und im kognitiven Bereich. Für Lehrerinnen und Lehrer wirkt sich die eigene Praxis insofern positiv aus, als sie z. B. weniger Angst vor Misserfolgen und weniger Anfälligkeit für Depression zeigen. Die Erholungsfähigkeit steigt und damit steigen auch Ausgeglichenheit und Wohlbefinden, was wiederum der emotionalen Erschöpfung und dem Burnout entgegenwirkt.

      In vielen Workshops wird deutlich, dass es auch ohne Stress in der Schule geht, wenn man beginnt, die Schule noch viel stärker als heute als Ort der Gemeinschaft und des sozial-emotionalen Lernens zu betrachten, wozu der Lehrplan 21 mit der Betonung der überfachlichen Kompetenzen eine gute Grundlage bildet. Dazu bräuchte es allerdings bereits in der Ausbildung von Lehrpersonen neben der soliden Vermittlung von (Welt-)Wissen und didaktischen Kompetenzen – sozusagen dem äusseren Lernen − die Ausrichtung auf Qualitäten wie Aufmerksamkeit, Verständnis, Mitgefühl, Intention (statt Erwartung), das Beachten eigener Grenzen, Selbstfürsorge und eine achtsame Sprache im Miteinander der alltäglichen professionellen Beziehungen. Das sind gerade nicht die Qualitäten, die in unserer Leistungsgesellschaft im Vordergrund stehen. Daniel Rechtschaffen ermutigt uns in seinem Buch «Die achtsame Schule» zu einer «achtsamen Revolution des Schulsystems», die das richtige Umfeld schafft, um diesem inneren Lernen Raum zu geben, damit Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrpersonen «nicht den Notausgang suchen müssen» (Rechtschaffen, 2015, S. 46). Die Workshops zeigten eine ganze Palette von Möglichkeiten auf, wie das geschehen kann: das vertiefende, unstrukturierte kindliche Spiel fördern, die Körperwahrnehmung üben, in der Natur Klarheit und festen Stand erfahren, altersgemässe Stille- und Aufmerksamkeitsübungen in die Klasse tragen, Geschichten erzählen, die zur Emotionsregulierung beitragen, die Bandbreite der Gefühle kennenlernen und in Dialog mit dem Körper treten lassen, mit Introspektion zur Akzeptanz finden, das Herz in Mitgefühl für sich und andere öffnen oder gar als ganze Schule den Weg der Achtsamkeit beschreiten. Lassen Sie sich inspirieren von


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