Zwischen Beraten und Dozieren. Geri Thomann

Zwischen Beraten und Dozieren - Geri Thomann


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ihre Expertise, das fachspezifische Wissen, das inhaltliche Durchdringenkönnen des «Stoffs» etc.

      Lehr-/Lernsituationen planen und gestalten

      Präsenzunterricht gestalten (Vorlesungen, Aktivierung von Studierenden, Übungen, Anwendungsaufgaben), Inszenieren von fall- und problembasiertem Lernen, Gestalten von Blended-Learning-Sequenzen, Produzieren und Gestalten von selbsterklärenden Scripts, von interaktiven Lernmaterialien auf einer Lernplattform etc.

      Führen

      Leiten von Projektgruppen, Anleiten zum Selbststudium, Kontrollieren der Präsenzpflicht, Moderieren von Plenumsveranstaltungen, Führen von Konfliktgesprächen, Umgang mit schwierigen Situationen und Studierenden, Entscheiden bei Promotionsfragen etc.

      Begleiten (längerfristig, Projekte, Gruppen- oder Einzelarbeiten)

      Längere Begleitaktivitäten (Anleitung, Beratung, Controlling) während des Selbststudiums, Begleiten von Bachelor-/Master-/Diplomarbeiten, Begleiten von Praktika/Projekten, Begleiten von Studierenden während ihrer ganzen Ausbildungszeit etc.

      Siehe Kapitel «Begleiten» (S. 22 ff.)

      Beraten (kurzfristig, zielorientiert, eher einzelne Studierende)

      Einzelne Studierende (oder allenfalls kleine Gruppen von Studierenden) in ihrem Lernprozess zielorientiert und «kontraktiert» beraten, diagnostisch tätig sein (z. B. während Problem-based-Learning-Sequenzen, bei Stolpersteinen in einem Projekt oder in einer schriftlichen Arbeit, bei ungenügenden Leistungen), Beraten von Studierenden bezüglich Organisation des Studiums und beruflicher Ausrichtung etc.

      Siehe Kapitel «Was ist Beratung?» (S. 19 ff.)

      Beurteilen

      Kompetenz- und lernzielorientiert Prüfen, Gestalten von Prüfungssituationen, Formulieren von Prüfungsfragen, Interpretieren und Bewerten von Leistungen, Kommunizieren von Bewertungen etc.

      Institution vertreten

      Beteiligung an der Entwicklung von Curricula, am Entwerfen von Kompetenzprofilen, an der Konzipierung von Beurteilungskonzepten und an Evaluationen; Kooperation mit dem Kollegium etc.

      Gesellschafts-/Staatsvertretung sein

      Als gesellschaftlich anerkannte «öffentliche» Expertin oder anerkannter öffentlicher Experte auftreten, als Modell wirken, «arriviert» sein. Türöffnerin oder Türöffner sein für gesellschaftliche Funktionen von Studierenden etc.

      Rollenerwartungen der Studierenden an die Dozierenden

      Die oben beschriebenen Rollen überschneiden sich selbstverständlich: Beispielsweise existieren Nahtstellen zwischen der Beurteilungs- und der Institutionsvertretungsrolle oder zwischen der Führungs- und der Lehrgestaltungsrolle.

      Die Komplexität des Rollenstrausses erhöht sich zudem durch die spezifischen Rollenerwartungen der Studierenden: Die einen erwarten von den Dozierenden reine Expertise, andere möchten klare Führung, wieder andere begnügen sich mit zurückhaltender Begleitung. Weitere verlangen immer wieder individuelle Beratung oder pochen auf klare Beurteilung, einige sehen die dozierende Person als Vertretung der Institution oder als Modell einer gesellschaftlich anerkannten Funktion.

      Diese Erwartungshaltungen verschieben sich von Fachgebiet zu Fachgebiet, von Dozent/in zu Dozent/in. Dies bedeutet, dass Dozierende sich dauernd zwischen differierenden Rollenerwartungen bewegen. Sie müssen Prioritäten setzen und Kompromisse zwischen den eigenen Rollenvorlieben und den Rollenerwartungen der Institution und der Studierenden eingehen.

      Im fünften Kapitel werden exemplarisch drei ausgewählte Spannungsfelder beschrieben.

      Beraten und Begleiten

      Wie Sie den Beschreibungen weiter oben entnehmen können, unterscheiden sich Beratung und Begleitung einerseits durch den zeitlichen Aspekt (Begleitung findet in der Regel über eine längere Zeitspanne hinweg), andererseits durch die Quantität der Klienten (Beratung ist eher dialogisch und Face-to-Face-orientiert). Zudem integriert Begleitung immer auch ein Stück «Leitung» (Anleitung, Controlling). Typischerweise werden gerade in Projekt-begleitungen häufig verschiedene Rollen vermischt: Anleitung, Controlling und Beurteilung gehören genauso wie die Beratung zu den Begleitaufgaben in verschiedenen Phasen von Projekten (vgl. auch Johner in diesem Buch, S. 121 ff.). Der Begriff «Betreuung» entspricht am ehesten demjenigen der Begleitung (vgl. Suter in diesem Buch, S. 66 ff.), bezeichnet jedoch eher ein pädagogisches Verhältnis.

      Beratung2 in unserem Sinne ist tendenziell symmetrisch orientierte, gemeinsame Arbeit an Fragestellungen oder Problemen. Begleitung hingegen kann als zurückhaltende Führung mit integriertem Beratungsanteil verstanden werden.

      imageWo und wie bewegen Sie sich alltäglich als Dozentin oder Dozent im sogenannten «Rollenstrauss»?

      imageWelches sind Ihre Vorlieben, welches nicht?

      imageWas erwarten Ihre «Klientinnen und Klienten» (z. B. Studierende) von Ihnen, was erwarten andere Erwartungsträger?

      imageKönnen Sie dabei Konfliktfelder benennen?

      imageWie gross ist Ihr Interpretationsspielraum?

      imageNutzen Sie diesen? Wo?

      imageWie würden Sie Ihre Rolle als Beraterin oder Berater und als Begleiterin oder Begleiter genau beschreiben, welche Erwartungsträger können Sie benennen? Wo könnten Konfliktfelder auftauchen?

      Wir fokussieren vorerst auf die Rolle Beraten. Zuerst wird der Begriff definiert, anschliessend werden drei Beratungsmodelle erläutert.

      Was ist Beratung?

      Definition von Beratung

      Eine der bekanntesten und anerkanntesten Definitionen des Begriffs «Beratung» stammt von R. Lippitt (1959, in: Fatzer 2005, S. 56):

      «Beratung (…) ist eine allgemeine Bezeichnung für mancherlei Beziehungsformen. Die allgemeine Definition von Beratung (…) hat folgende Voraussetzungen:

      imageDas Beratungsverhältnis ist eine freiwillige Beziehung zwischen einem professionellen Helfer (Berater) und einem hilfsbedürftigen System (Klient).

      imageDer Berater versucht, dem Klienten bei der Lösung laufender oder potenzieller Probleme behilflich zu sein;

      imagedie Beziehung wird von beiden Partnern als zeitlich befristet angesehen.

      imageAusserdem ist der Berater ein ‹Aussenstehender›, d. h. er ist nicht Teil des hierarchischen Machtsystems, in welchem der Klient sich befindet.»

      Sie sehen hier schon, dass beratende Tätigkeit in vielen Feldern (zum Beispiel der Lehre) gemäss dieser Definition gar keine Beratung wäre, da die Beziehung in der Regel häufig nicht freiwillig ist, die zeitliche Befristung nur bedingt gilt und Beraterinnen und Berater nicht immer «Aussenstehende» sind, sondern den «Klientinnen und Klienten» gegenüber


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