Zwischen Beraten und Dozieren. Geri Thomann
Gruppenbildung, Klärung der Aufgaben; Transparenz der Anforderungen und Ziele, Klären der Rahmenbedingungen; Information über die Lernmaterialien/Scripts, Lernphasen definieren, Standortgespräche vereinbaren.
Diese Aufgaben beinhalten verschiedene direktive und non-direktive Interventionsformen, die flexibel und situationsadäquat eingesetzt werden. Es wird dabei deutlich, dass hier nicht nur Beratungs-, sondern auch Führungsund Beurteilungskompetenzen notwendig sind. Mit anderen Worten: Es geht dabei um eine flexible Rollengestaltung und um ein situationsgerechtes «Management» von Lernprozessen.
Eine Darstellung aus der Beratungsliteratur (nach Lippitt und Lippitt 1995, S. 56) lässt sich auf die Tätigkeit von Dozierenden übertragen. Sie ist hilfreich, um sich innerhalb der verschiedenen Rollengestaltungsmöglichkeiten zwischen Führung und Beratung bewusst und transparent zu bewegen. Ziel ist es dabei immer, sich nach links zu bewegen (siehe Grafik, S. 24), um die Selbstorganisation der «Klientinnen und Klienten» (sprich Lernenden) zu fördern; bei Bedarf ist es jedoch legitim, ja notwendig, sich punktuell und temporär (wieder) nach rechts zu bewegen, ohne dadurch in eine «Arzt-Patienten-Beziehung» abzugleiten. Diese Bewegungstendenz nach links und die notwendigen «Abstecher» nach rechts benötigen eine Form der grundsätzlichen Rollentransparenz im Rahmen einer Kontraktierung, zum Beispiel: «Ich werde mir erlauben – auch wenn ich Sie tendenziell eher berate –, Ihnen bei begründeter Notwendigkeit auch Wissen zu vermitteln». Auch braucht es eine deutliche Rollentransparenz bei «Kategorienwechseln«, welche die tendenzielle Bewegung nach links immer einbezieht, etwa: «Ich möchte Ihnen jetzt etwas Wichtiges zeigen, was Sie schliesslich in Ihrer selbstständigen Arbeit weiterbringen soll», oder: «Ich helfe Ihnen gerne über diese Klippe hinweg, erwarte jedoch, dass Sie danach Ihren Weg möglichst selbstständig weitergehen». So verdeutlicht die dozierende Person ihre Erwartung, dass die Lernenden auf ihren eigenen Füssen stehen sollen.
Begleitung: Das Kontinuum von Aktivitäten der Dozierenden zwischen Führung und Beratung
Abb. 2 Mögliche Rollen von Dozierenden zwischen Führung, Expertise und Beratung (verändert nach: Lippitt/Lippitt 1995, S. 56)
Reflexionsfragen «Kontinuum Führung – Instruktion – Beratung»
Erinnern Sie sich an Beispiele von Begleitungsaktivitäten im Hochschulalltag (bei Projekten, bei schriftlichen Arbeiten, beim Selbststudium):
Ausgewählte Spannungsfelder
Schon zu Beginn dieses Textes wurde erwähnt, dass im Praxisalltag gelegentlich unklar ist, in welcher Rolle Dozierende agieren sollen. Solche Dilemmata sind unumgänglich; einige solcher Spannungsfelder und der mögliche Umgang mit diesen werden im Folgenden skizziert. Dabei wird das dritte Spannungsfeld «Beraten versus Beurteilen» vertieft behandelt.
Spannungsfeld 1: «Führen versus Beraten»
«Mich zum richtigen Zeitpunkt zurückzunehmen zugunsten der Aktivierung studentischen Lernens, den Studierenden nicht gleich beim ersten Stolperstein den richtigen Input zu geben, ihnen die Problemlösung zuzutrauen, fällt mir immer noch schwer. Und wenn mir dies gelingt, warte ich wiederum manchmal viel zu lange mit einer notwendigen Intervention.»
Dozentin Höhere Fachschule aus einem Lernbericht
Abb. 3 «Rollenstrauss» von Dozierenden – Spannungsfeld 1
Lehrende sind in der Regel so sozialisiert, dass sie den Lernenden (gerne) Stolpersteine aus dem Weg räumen; damit legitimieren sie nicht selten ihre Funktion. Dabei bedenken sie zu wenig, dass die Lernenden auch durch Misserfolge ihre Kompetenz erweitern. Dies gelingt aber nur, wenn die Lehrenden sich mit Interventionen zurückhalten. Gleichzeitig ist es jedoch notwendig, bei zu starker Irritation der Lernenden die Steuerung des Lernprozesses zu beeinflussen, Hinweise zu geben, Rahmen zu schaffen – eben Führung zu übernehmen (oder in der Rolle des Experten/der Expertin zu agieren). Eine solche adäquate Pendelbewegung (siehe auch Grafik S. 24) zwischen Führung und Beratung gehört zur den anspruchsvollsten und spannendsten Ansprüchen an die Tätigkeit der Dozierenden.
Dieses Spannungsfeld ist gerade im Rahmen der Formen von selbstorganisiertem oder problemorientiertem Lernen äusserst wirksam.
Spannungsfeld 2: «Experte oder Expertin sein und Institution vertreten versus Begleiten und Beraten»
«Manchmal habe ich das Gefühl, dass mein wissenschaftlicher Anspruch mich zum ‹Träger› von fachlichen Standards meiner Organisation, aber auch der ‹professional community› macht und dass dieser Umstand mir mehr Verantwortung überträgt, als ich in der pädagogischen Beziehung zu Studierenden wahrhaben möchte.»
Hochschuldozentin aus einem Lernbericht
Abb. 4 «Rollenstrauss» von Dozierenden – Spannungsfeld 2
Dozierende tragen die Verantwortung, Menschen in ihrem Wissen, Können und ihren Werthaltungen auf die beruflichen Anforderungen vorzubereiten. Diese Ansprüche der Praxis gestalten die Zielvorgaben des Lernens. Gleichzeitig tragen Dozierende als Experten und Expertinnen auf ihrem Gebiet die Verantwortung gegenüber professionellen Standards in der Praxis (sowie in der Ausbildung). Mit ihrer Sicht auf das «Danach» sind Dozierende somit in der Pflicht, dieses nicht nur als feste Konstante zu betrachten, auf die es die Studierenden vorzubereiten