7 Milliarden für nichts. Günther Loewit

7 Milliarden für nichts - Günther Loewit


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dass ich immer noch zu Hause bin.«

      Er stolpert und stürzt.

      Etliche Male versucht er, sich aus eigener Kraft aufzurichten. Er möchte niemandem zur Last fallen. Aber er kann den rechten Fuß nicht belasten. Jeder Versuch wird mit einem heftigen Stechen im Unterschenkel bestraft. Nach ein paar Anläufen gibt er auf. Bleibt am Boden liegen. Nichts geschieht. Der Schmerz wird stärker, weil das Adrenalin im Blut langsam weniger wird.

      Die Zeit vergeht, die Schmerzen werden unerträglich. Verzweifelt beginnt er irgendwann, um Hilfe zu rufen.

      Aber der Personalstand des Pflegeheimes ist knapp. Seit geraumer Zeit gibt es nur noch einen Nachtdienst.

      »Ich glaube, ich hab ewig gerufen, bis endlich eine Schwester gekommen ist.« Dann muss er noch einmal versuchen, aufzustehen. Aber es gelingt nicht. Auch nicht mit der Hilfe der Nachtschwester.

      Wie es in der Dienstanweisung vorgesehen ist, ruft diese schließlich das Rote Kreuz an. Genauer: die Rettungsleitstelle.

      Nach einem längeren Telefonat, in dem der Name, die Versicherungsnummer, das Geburtsdatum, der derzeitige Wohnort, die vermutete Krankheit und etliche weitere Details des Missgeschicks des 82-jährigen Patienten mitgeteilt werden, verspricht der wortkarge Disponent am Telefon eine rasche Lösung.

      Da die örtliche Rettung mit einem nächtlichen Autounfall im Bezirk beschäftigt ist, wird ein mit zwei Mann besetzter Sanitätskraftwagen aus einer zwanzig Kilometer entfernten Dienststelle mit dem Einsatz beauftragt.

      Tatsächlich erscheinen zwei verschlafene Sanitäter 37 Minuten nach dem Notruf im Pflegeheim.

      »Die zwei Burschen vom Roten Kreuz waren ja lieb, aber sie haben geglaubt, dass sie mein verletztes Bein unbedingt schienen müssen und dann hat es mir noch mehr wehgetan.«

      Im Tragsessel bringen die zwei Sanitäter den verletzten Mann vom zweiten Stock zum Haupteingang. Sie müssen über die Treppen gehen, denn der Lift ist außer Betrieb. »Glauben Sie mir, jede Stufe hab ich im Haxen gespürt.«

      Sie laden ihn in den Rettungswagen.

      Über dem Portal des Pflegeheims kann man auf einem blauen Schild mit weißem Rand die Adresse lesen. Hofmeisterstraße 70B. Dann fahren sie los. Fast 1,5 Kilometer. Nur, um in das unmittelbar nebenan gelegene Krankenhaus zu gelangen. Allerdings mit eigener Adresse. Nämlich Hofmeisterstraße 70.

      Dazwischen liegen zwei Stoppschilder und etliche Einbahnen. Ein paar Erschütterungen, die den Schmerz im Bein intensivieren.

      In der Notfallaufnahme angelangt, wird der Patient ausgeladen.

      Wieder Schmerzen.

      Wieder das Aufnahmeritual. Name und Versicherungsnummer. Wohnort. Unfallhergang. Die Sanitäter helfen dabei. Der Patient sagt nur: »Es tut mir so leid, aber ich kann mich nicht genau erinnern.« Dann das Röntgen. Ein glatter Wadenbeinbruch. Um 3.20 Uhr nachts. Und schließlich ein Gips.

      Und zuletzt die gleiche Reise wieder zurück. 1,5 Kilometer in den Urlaub.

      Dabei hätte alles ganz anders kommen können. Mit deutlich weniger Aufwand, weniger Schmerzen, schneller und effizienter.

      Aber wie?

      Die Antwort klingt wie die Auflösung eines Rätsels.

      Würde es einen offensichtlichen Weg, einen geheimen Gang geben, die Sanitäter hätten ihn doch genommen? Ich behaupte, dass die Lösung des Rätsels in einem solchen einfachen Gang liegt.

      Das österreichische Gesundheitssystem ist im Übrigen voll von solchen Gängen, wenn man sie nur suchen und erkennen würde.

      In unserem Fall liegt dieser Gang im zweiten Obergeschoss des Pflegeheims, ist ungefähr sechzig Meter lang und verbindet das Pflegeheim mit dem Krankenhaus. Für das Personal, für das Essen und die Wäsche. Ganz offiziell ist er für jeden, der ihn benützen will, Tag und Nacht zugänglich.

      Was fehlt, ist ein hauseigener Hilfspfleger in der Nacht, der den verletzten Patienten vom Pflegeheim in das Spital oder wenigstens zurück geschoben hätte. Auf einer fahrbaren Liege, oder einem Rollstuhl. Zu einem Bruchteil der angefallenen Kosten.

      Das wäre schneller und schonender gewesen, für den Patienten und die übrigen Beteiligten.

      Und die Sanitäter?

      Die wissen natürlich vom Verbindungsgang. Aber Sanitäter haben einen klaren Auftrag. Vom Disponenten, von der Leitstelle. Vom System. Dieser Auftrag lautet, den Patienten auf jeden Fall ins Auto zu verfrachten und ein Stück weit zu fahren. Ein Rettungseinsatz wird von der Krankenkasse erst dann vergütet, wenn der Patient im Rettungswagen von irgendwo nach irgendwohin gefahren worden ist.

      Auch wenn das bedeutet, von Hausnummer 70 nach 70B zu fahren.

      Für den Transport eines Patienten innerhalb des Hauses gibt es kein Geld. Für intelligente zweckorientierte Lösungen keinen finanziellen Anreiz. Immer wieder höre ich von Zivildienern, wie einfach sie vor Ort mit etwas Hausverstand die Probleme von Patienten lösen könnten.

      Daran hat aber niemand Interesse.

      Interesse besteht vielmehr daran, auch ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Dieser Kuchen heißt: »Für die Gesundheit darf uns nichts zu teuer sein.«

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