Wie Transfer gelingt (E-Book). Andreas Schubiger

Wie Transfer gelingt (E-Book) - Andreas Schubiger


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stehen sie da, die drei Gleichungen für die drei Ströme mit weiteren Formvariablen R und U. «Ist ja wohl nicht so schwierig», äussert sich die Lehrerin zunehmend erleichtert. Die Klasse schmunzelt. «So und jetzt lösen Sie das Gleichungssystem nach den drei unbekannten Stromstärken auf!», fordert die Fachlehrerin die Klasse auf.

      Wieder geht ein Raunen der Ratlosigkeit durch die Klasse – und der Klassensprecher Horst meint auch diesmal, dass sie solche Gleichungssysteme noch nie aufgelöst hätten.

      Endlich, die Stunde ist zu Ende. In letzter Minute werden noch die Hausaufgaben erteilt: zehn Gleichstromnetzwerkberechnungen bis zur nächsten Woche.

      Anita hat keine Chance. Sie muss ihre Freundin zur Hilfe nehmen. Sie zeigt ihr, dass dies ja eigentlich die gleichen Aufgaben sind wie die Gleichungssysteme mit x, y und z und sie diese nur nach den drei Strömen auflösen muss. Jetzt ist alles klar.

      Die Erleichterung ist von kurzer Dauer. Eine vergleichbare Tragödie ereignet sich ein halbes Jahr später im Fach Mechanik, wo die Klasse in der Mechanik ähnliche Gleichungen nach den fehlenden Kräften auflösen muss.

      Erichs Ambitionen

      «Das darf nicht wahr sein – ich häng den Job an den Nagel», denkt Erich. Er ist Elektroingenieur und arbeitet in einer Entwicklungsabteilung eines Industrieunternehmens. Seit 10 Jahren unterrichtet er an einer Fachschule das Fach Elektronik. Er unterrichtet aus Spass und weil er Freude hat, sein Wissen an junge Berufsleute weiterzugeben. Immer schon hat er versucht, eigene Erfahrungen aus seiner Praxis in den Unterricht miteinzubeziehen. Sein Engagement bestätigen die guten Kursevaluationsresultate. Trotzdem ist heute ein schlechter Tag für ihn und er denkt laut darüber nach, die nebenberufliche Tätigkeit aufzugeben.

      Erich pflegt seit geraumer Zeit nicht nur einfache Repetitionsübungen, sondern möglichst reale Problemlöseaufgaben für die Praxis als Hausaufgaben zu geben. Diese erstellt er aus konkreten Problemstellungen aus seiner Praxis. Er hat in den letzten zwei Jahren verschiedene didaktische Weiterbildungen besucht und war von der Bedeutung authentischer Problemlöseaufgaben begeistert. Nun wollte er dies auch umsetzen.

      Er stellt aber zu seinem Erstaunen fest, dass eine Mehrheit der Studierenden diese Aufgaben für die nächste Präsenzveranstaltung einfach nicht löste.

      Er merkt, dass sein Aufwand nicht wertgeschätzt wird, was ihn zusätzlich frustriert. Zusätzlich behindert es noch die Weiterführung des Unterrichts. Er war davon ausgegangen, dass mindestens versucht werden würde, die Aufgaben zu lösen.

      Ziemlich enttäuscht kündigt er seinen Rücktritt an, worauf der Schulleiter ihm eine didaktische Begleitung anbietet.

      Die Beraterin ist bei einer ersten Sichtung begeistert von der didaktischen Qualität des Unterrichts und den authentischen Aufgaben. Nach einer genaueren Analyse stellt sie aber fest, dass die Aufgaben für ein Grundlagenfach höchst anspruchsvoll und komplex konstruiert sind.

      In einem konstruktiven Gespräch mit der Klasse stellt sich dann heraus, dass die Studierenden zwar jeweils mitteilten, dass sie für die Hausaufgaben keine Zeit hatten, aber eigentlich nicht in der Lage waren, die Aufgaben selbständig zu lösen. Es war vor den Kollegen und Kolleginnen leichter zu sagen, dass man keine Zeit hatte, als dass man die Aufgaben nicht lösen konnte. Ein bekanntes und verständliches Verhalten.

      Der Unterricht von Erich war zwar didaktisch gut durchdacht und kleinschrittig aufgebaut, die Studierenden konnten die Schritte nachvollziehen und die jeweiligen Lernaufgaben auch selbständig lösen. Einzig der Schritt zu den Hausaufgaben war zu gross. Die Aufgaben waren verglichen mit den Aufgaben im Unterricht zu komplex in ihrer authentischen und problemorientierten Konstruktion.

      Hans und seine Neujahrsvorsätze

      Hans schaut mit Entsetzen seine Karte mit den Jahresvorsätzen an. Schon wieder ein Jahr vorbei und dabei nur einen von drei wichtigen Vorsätzen umgesetzt. Hans pflegt mit seiner Frau einen besonderen Silvesterbrauch. Nach den weihnachtlichen familiären Verpflichtungen ziehen sich Hans und Hanna an Silvester zurück und bekochen sich gegenseitig in mehreren Gängen mit kleinen, feinen Häppchen und Getränken.

      Zwischen den kulinarischen Gängen halten die beiden Gourmets Rückschau auf das vergangene Jahr und formulieren wacker Ziele fürs neue Jahr aus. Beide wissen, wie man so etwas wirkungsvoll ausgestalten kann.

      Hans wollte im letzten Jahr sein Buch endlich zu Ende führen. Ideen und Erfahrungen hatte er alle im Kopf und trotzdem: Er hat nur den ersten Schritt seines Vorsatzplanes umgesetzt.

      Dabei hat er doch eigentlich alles richtig gemacht! Er hat sein Ziel positiv formuliert, dieses auf eine immer wieder verfügbare Karte geschrieben und die Umsetzung in die drei Etappenziele unterteilt: Konzept schreiben, Teilkonzepte der Kapitel und die einzelnen Teilschritte realisieren. Und das Rohmanuskript sollte im Oktober stehen – jetzt am 31. Dezember steht lediglich das Buchkonzept.

      Ja klar – da war doch die Belastung in der Arbeit und eine Weiterbildung hat er auch noch absolviert. Typisch, da war schlicht keine Zeit mehr vorhanden. Seine Ferien zur Verfügung stellen wollte Hans mit seinen 62 Jahren auch nicht mehr. Irgendwie merkt er, dass er die kurzen Wochenenden für seine körperliche und seelische Erholung braucht. Hanna schaut ihn verständnisvoll an und meint, dass sich daran wohl im nächsten Jahr nicht viel ändern wird. Sie sei aber ohne Weiteres bereit, auch mal ein Wochenende bei Freundinnen zu verbringen, damit er genügend Musse fürs Schreiben erhalte. Dies beruhigt Hans nicht wirklich. Irgendwie muss er es anders anpacken.

      Wenn er nicht gerade zu viel Wein vor dem Schlafengehen getrunken hat, schläft Hans eigentlich sehr gut – allerdings nicht lange. Seit geraumer Zeit erwacht er meist vor 5 Uhr morgens und liegt hellwach im Bett. Er hat doch vor Jahren schon einmal sein Studium mit dem Verzicht auf Medienkonsum zeitlich teilfinanziert? Ja, das müsste gelingen – sagen wir dreihundert Tage je eine Stunde –, ja, das müsste klappen.

      Das funktioniert wirklich – zwischen vier und fünf Uhr erwacht Hans regelmässig –, doch ganz so einfach ist es doch auch wieder nicht. Was war jetzt wieder die Idee? Hans verliert jeden Morgen eine ganze Weile an Zeit, bis er sich klar ist, was er eigentlich so früh morgens zu tun gedenkt. Er denkt sich, warum nicht am Vorabend – wenn alles noch wach ist – sich die morgendliche Aufgabe kurz skizzieren?

      Jede Zeile, die er an den noch frischen Morgenstunden schreibt, spornt ihn zu weiteren Morgentätigkeiten an. Die Morgenziele sind kleine Etappen und umfassen höchstens eine bis zwei Seiten Text.

      Eigentlich müsste das ja im Arbeitsalltag auch funktionieren. Hans macht sich gleich an die Sache: Am Vorabend legt er sich diejenigen Pendenzen zurecht, die er am nächsten Tag mindestens erledigen möchte – alles kleine und überschaubare Bereiche.

      Louises Welten

      «Verdammt!» Louise steht im Badezimmer vor dem Spiegel, die Türe hinter sich geschlossen und draussen herrscht unheimliche Stille. «Das bin doch nicht ich», sagt sie sich immer wieder und schaut in den Spiegel. Sie schämt sich.

      Dabei hat der Abend wunderbar begonnen. Von der Arbeit heimgekommen findet sie ihre beiden Vorschulkinder in ihrem Spielzimmer vor und ihr Mann Charles überrascht sie mit einem vorbereiteten Nachtessen. Weil sie aber etwas später als vereinbart zuhause eintrifft, ist ihr Mann schon etwas nervös. Er sollte eigentlich schon weg sein! Er arbeitet im Gastroeventbereich und hat einen Abendtermin. Seine Angespanntheit und die Enttäuschung über die Unpünktlichkeit ist ihm im Gesicht abzulesen.

      Und dann beginnen sich die Kinder zu zanken, Charles äussert dazu einen kleinen Vorwurf und die Situation nimmt ihren Lauf: Louise empört sich, wirft ihrem Mann fehlende Flexibilität und mangelndes Einfühlungsvermögen in das Leben einer arbeitenden Frau vor und schreit zuallerletzt ihre Kinder an, die erschrocken erstarren. Die Türe schlägt zu und Charles hat das Haus verlassen. Das Abendessen bleibt auf dem Tisch stehen und Louise verkriecht sich weinend ins Bad. «Das bin doch nicht ich!», sagt sie sich immer wieder.

      Louise ist promovierte Sozialpädagogin


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