Wie Transfer gelingt (E-Book). Andreas Schubiger

Wie Transfer gelingt (E-Book) - Andreas Schubiger


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Fakultäten (Gruber, Mandl & Renkl, 2000). Den Wirtschaftsstudenten gelingt es nicht, ihr umfangreiches «Expertenwissen» in einer realitätsnahen Simulation wirksam anzuwenden.

      Selbst in einer Domäne wie der Pflegeausbildung in der Schweiz, wo dem Theorie-Praxis-Transfer besondere Beachtung geschenkt wird, stellt Schwarz-Goevers (2005) fest, dass die erlernten theoretischen Konzepte auch nach vierjähriger Ausbildung in der Praxis nicht herangezogen werden.

      Man würde meinen, dass die gut bezahlten Fondmanager aufgrund ihrer Portfolioentscheidungen ihr Geld wert sind. Auch wenn der experimentelle Vergleich von Affenentscheiden mit Entscheiden von Börsianern ein Mythos ist und so auch nie stattgefunden hat, sieht die genauere Betrachtung auch für die Fondmanager nicht gerade schmeichelhaft aus: Forscher der Cass Business School (Clare, Thomas & Motson, 2013) realisierten dieses Experiment mit virtuellen randomisierten Affenentscheiden und stellten fest, dass die virtuellen Affen besser abschlossen als die tatsächlichen Fondmanager.

      Grosse Hoffnungen wurden in die Vermittlung von Lernstrategien gesetzt: Wenn Lernende erst lernten zu lernen, würde sich damit zukünftiges Lernen verbessern (Weinert, 1983). Leider wurde diese Hoffnung in einen generalisierenden und weiten Transfer in verschiedensten Studien relativiert. Eine Metastudie von Hattie, Biggs und Purdie (1996) zeigt, dass dieser unspezifische Transfer nicht nachgewiesen werden kann. Die erlernten Strategien konnten nur in ähnlichen Aufgabenstellungen im selben Kontext angewandt werden. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Mähler und Hasselhorn (2001) sowie Leutner und Leopold (2003). Letztere zeigen, dass das Lernen der Strategien nicht automatisch zu deren Anwendung führt. Vielmehr ist ein bereichsspezifisches und zielführendes Training für eine Anwendung von Lernstrategien notwendig.

      Trotz aufwendiger Interventionen und integriertem Lernstrategietraining konnten auch nach zwei Jahren bei Studierenden an einer höheren Fachschule (Schubiger, 2010) nur marginale Zuwächse von generalisierten Lernstrategieanwendungen nachgewiesen werden. Wurde das Training nur in einem Fach implementiert, so zeigte sich sogar ein negativer Transfer. Dieser kann nach Klauer (2011) theoretisch durchaus durch eine Strategieumstellung, eine Arbeitskapazitätsbelastung respektive eine Überforderung begründet werden.

      Demgegenüber belegen die Autoren Hattie, Biggs und Purdie (1996) in ihrer Metastudie, dass sich bei einem Training einzelner Strategien und Techniken ohne Weiteres beachtliche Effekte beim Transfer auf neue Aufgabenstellungen zeigen. Diese Effekte zeigten sich bei folgenden Interventionen:

      •Anbieten von Advance Organizern

      •Technik des Zusammenfassens

      •Einsatz von Wiederholungsstrategien

      •Aufgabenspezifische Lernstrategien

      •Wissensstrukturen wie Mapping

      •Lernen durch Schreiben (produktiver Ansatz)

      •Umstrukturierungstechniken

      Die Beschränkung auf nur eine Lern- oder Arbeitsstrategie scheint einen nahen Transfer zu begünstigen. Das bedeutet, allmähliche Steigerung der Komplexität und geringe Belastung der Arbeitskapazität begünstigen eine Verhaltensänderung. Gut gemeinte, allumfassende integrierte und curricular eingebundene Lernstrategiemassnahmen überfordern nach heutigem Kenntnisstand die Arbeitskapazität der Lernenden.

      Es scheint, dass sich der Transfer umso unwahrscheinlicher einstellt, je grösser die Transferdistanz ist. Klauer (2011) konnte diesen linearen Zusammenhang belegen, auch wenn dabei klar wurde, dass nicht nur die Distanz Stärken respektive Schwächen des Effekts erklärt. Praktisch in allen Studien zeigt sich, dass ein Transfer mit grosser Distanz nur schwer erreichbar ist.

      Wenn Lernaufgaben und daran anschliessende Anwendungs- bzw. Testaufgaben identische Elemente beinhalten – dann ist naher Transfer grundsätzlich möglich.

      Wer erinnert sich nicht an Musterlösungen und vorgeführte Lösungsbeispiele durch eine Lehrperson. Auch ich habe als Junglehrperson im Mathematikunterricht verschiedenste Musterbeispiele zuerst mit der Klasse gemeinsam gelöst, bevor ich Raum zum freien Üben gab. Renkl, Gruber, Weber, Lerche und Schweizer (2003, zit. nach Klauer, 2011) konnten in einem Transfertest zeigen, dass Studierende mit vordemonstrierten Lösungsbeispielen einer anderen Gruppe überlegen waren, welche die Lösungen selbständig erarbeiten musste. Die Autoren geben jedoch zu bedenken, dass dabei vornehmlich die Beherrschung der Lösungsstruktur und deren identischer Übertragung im Vordergrund steht. Demnach handelt es sich eher um einen «low road»-Transfer.

      Forschungen rund um das Konzept des «productive failure» (Kapur, 2008, 2016) stellen fest, dass alleine die Art und Weise des Wissenserwerbs den nachgelagerten Transfer bereits in Form eines «high road»-Transfers beeinflusst. Lernende, die zu Beginn eine scheinbar unlösbare mathematische Aufgabe erhalten, lösen diese mehr oder weniger richtig oder falsch. Im Vergleich zur Kontrollgruppe, die mit einem klassischen Instruktionsdesign respektive mit «well structured»-Problemstellungen konfrontiert wurden, konnten erstere im Nachtest im Oberflächenwissen zwar nicht besser abschliessen, dafür waren sie im Tiefenverständnis signifikant überlegen. Interessanterweise schlossen sie auch im weiten Transfer – also auf eine neu gelagerte «ill structured»-Problemstellung – signifikant besser ab.

      Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt der Nobelpreisträger Kahnemann (2012). Bei der Forschungsfrage, ob Psychologie vermittelbar ist, stellt er fest, dass offensichtlich induktiv gelernte Konzepte auf neue Situationen besser transferiert werden als deduktiv gelernte Inhalte.

      Die beschriebenen Ergebnisse zeichnen das Bild einer Transferrealität, in der Transfer nicht selbstverständlich ist und nicht als Ergebnis von formalisierter Ausbildung erwartet werden darf. Auch wenn in der neueren Zeit erste Forschungsergebnisse über diverse Bedingungen eines spezifischen Transfers vorliegen, wissen wir immer noch zu wenig über die Wirkfaktoren eines generellen Transfers (Klauer, 2011; Tonhäuser, 2017).

      Determinanten für einen erfolgreichen Transfer müssen in drei Bereichen gesucht werden: in der Organisation des Funktions- respektive Anwendungsfeldes, im Lernfeld von Lernmassnahmen und beim Subjekt selbst.

      Im Rahmen formalisierter betrieblicher Weitbildung sind folgende Determinanten der drei Bereiche empirisch entdeckt worden (Tonhäuser, 2017):

      Organisation und Anwendungsfeld

      •Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte

      •Feedback

      •Die Möglichkeit des Anwendens im eigenen Funktionsfeld

      •Abwechslungsreiche Arbeitsaufgaben

      •Verbindlichkeiten

      •Organisationsklima und Lernkultur

      Lernfeld von Lernmassnahmen

      •Praxisbezug der Inhalte und praxisorientierte Aufgabenstellungen

      •Ähnlichkeit zwischen Lernsituation und Funktionsfeld

      •Lernzielorientierung

      •Situationsorientierung

      •Unterstützung und Betreuung im Fehlermanagement

      •Spezifische Transferunterstützungen im Bereich Rückfallmanagement oder Verhaltenstraining

      Individuelle Faktoren

      •Trainings- und Transfermotivation

      •Kognitive Fähigkeiten

      •Selbstwirksamkeits- und Kontrollüberzeugungen

      •Bewertung von Nutzen und Relevanz

      •Individuelle Zielabsichten

      •Persönlichkeitsfaktoren wie Offenheit für Neues oder Gewissenhaftigkeit

      Im Detail wissen wir über die einzelnen Faktoren noch wenig und ein Zusammenspiel der Faktoren ist noch lange nicht erforscht.

      In ihrer qualitativen Studie über die subjektive Einschätzung verschiedener Akteure hat Tonhäuser (2017) im Bereich der individuellen Faktoren zusätzlich die Faktoren


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