Wie Transfer gelingt (E-Book). Andreas Schubiger
für Lernerfolg (Wahl, 2005). Der soziodemographische Faktor «Alter» entspricht aber dem Klischee, dass mit zunehmendem Alter Interesse und Motivation für Weiterbildung abnimmt.
Im Bereich des Lernfeldes erweisen sich zudem Bedarfsgerechtigkeit, die didaktische Gestaltung der Weiterbildungsmassnahme, die prozessbegleitende Unterstützung des Transfers sowie die Expertise und Persönlichkeit der Lehrperson als transferwirksam.
Auf der Ebene der Organisation entdeckt Tonhäuser noch Freiwilligkeit als transferförderlichen Faktor.
Die von Tonhäuser explorativ und qualitativ ermittelten Faktoren für einen gelingenden Transfer wurden durch die subjektive Einschätzung verschiedenster Stakeholder ermittelt. Inwiefern und durch welche konkrete Gestaltung ein einzelner Faktor wirkt, bedarf der weiteren Forschung respektive der Auswertung von verschiedenen bereits durchgeführten Studien.
In der Lehrerbildung wurden in den letzten 20 Jahren Formen der kollegialen Beratung (Peergroups) angewandt und gerade auch in Bezug auf die Praxisbewältigung als eine Form der Transferunterstützung evaluiert (Schubiger, 2010). Solche Social-Support-Systeme stellen eine Verbindung zwischen Person, Lernfeld und Praxis her und erhöhen die Verbindlichkeit. Seit 10 Jahren setzen wir an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen über die ganze Ausbildung angehender Berufsfachschullehrpersonen diese Form der kollegialen Unterstützung systematisch um (Schubiger, Gerig & Rosen, 2014). Solche Formen werden zunehmend auch als selbstorganisierte Lernformen wie «working out loud» im betrieblichen Lernen probiert und stossen vor allem in Grossunternehmen zunehmend auf Anklang.
4.2Welcher Transfer funktioniert
Welche Schlüsse lassen sich daraus auf den Ausbildungsalltag ableiten? Welcher Transfer tritt mit grosser Wahrscheinlichkeit ein und welche Faktoren muss ich als Lehrperson beachten?
Abbildung 2: Was wirkt wie?
4.3Ruth lernt in der Höhle des Löwen
Ruths Erlebnisse entsprechen der empirischen Realität, nämlich dass wir unter Druck auf Verhaltensroutinen zurückgreifen, die nicht unserem Wissen und unserem erwünschten Selbstbild entsprechen. Wissen allein hilft Ruth also nicht weiter. Sie macht das einzig Richtige, indem sie versucht, in der Situation zu lernen, und das ist schwieriger als gesagt. Sie bedient sich der Vorsatzbildung, des mentalen Kontrastierens und schliesslich – nach dem Gelingen – des konkreten Handelns mit positivem Feedback.
Anitas Erfolg mit strukturgleichen Aufgaben bestätigt, dass durch geschicktes Vormachen mit Musterbeispielen eine Anwendung auf Aufgaben gleicher Oberflächenstruktur möglich ist. Die Aussichten auf einen grösseren Transfer in die Mechanik und Elektrotechnik sind jedoch schlecht, wird doch dieser weite Transfer von der Lehrperson einfach vorausgesetzt und nicht besonders unterstützt. Die empirische Forschung zeigt, dass dies eben nicht selbstverständlich ist. Bereits die Unterstützung mit einem weiteren modellierten Beispiel könnte hier grosse Abhilfe leisten. Allerdings wiederholt sich das «Drama» und die Frage darf erlaubt sein, ob hier nicht ein dysfunktionales Didaktikdesign vorliegt. Ansätze des «productive failure» oder des «induktiven Lernens» durch konkrete angewandte Beispiele zu Beginn der Lernsequenz könnten hier Leiden verhindern.
4.5Erich macht sich das Leben schwer – warum nicht einfach «the other way round»?
Die gut gemeinte Anlage praxis- und problemorientierter Hausaufgaben verlangt von den Studierenden einen unmöglichen weiten Transfer. Es ist bereits empirisch erwiesen, dass dies zu Misserfolgserleben bei den Studierenden führt und diese zusätzlich demotiviert. Erich ist gut beraten, wenn er einen derart grossen Transferschritt in kleinere Schritte unterteilt. Zudem könnte er diese Teilschritte mit Beispielen modellieren. Als vielleicht paradoxe Variante könnte er die gesamte Anlage umdrehen und mit unlösbaren Aufgaben in die Thematik einsteigen. In zahlreichen Gesprächen habe ich immer wieder festgestellt, dass Lehrpersonen der festen Überzeugung waren, echte Problemstellungen erst am Ende des Lernprozesses anbieten zu dürfen. Vieles spricht nach heutigem Forschungsstand dagegen.
Hans macht eigentlich fast alles richtig, auch wenn sein Vorhaben ein grosses und sehr anspruchsvolles Unterfangen ist. Eigenes Ziel, Motiviertheit, Interesse sind gemäss obiger Forschungsergebnisse gute Voraussetzungen für die tatsächliche Umsetzung. Auch die Idee, aus einem Ziel Vorsätze zu formulieren, entspricht dem aktuellen Forschungsstand. Schon Brandstätter (1992, zit in Gollwitzer & Malzacher, 1996) konnte experimentell belegen, dass eine Vorsatzbildung mit Wenn-Dann-Beziehungen – z. B. wenn ich morgens früh aufwache, dann werde ich folgenden Text formulieren – einer globalen Zielbildung signifikant überlegen ist. Auf ähnliche Ergebnisse kommt Bamberger (1999, zit. in Storch & Krause, 2007), wonach Vorsatzbildungen zu einer dreimal so hohen Handlungsumsetzung wie bei reinen Zielintentionen führen.
Theoretisch erklärbar ist diese Handlungswirksamkeit von Vorsätzen aufgrund Koppelung der Wenn-Dann-Formulierungen mit antizipierten Situationen. Das Eintreten der entscheidenden Situation kann dann als Auslöser der Handlungssteuerung verstanden werden (Storch & Krause, 2007). Hans ist insofern geschickt, als er auch seine Frau miteinbezieht und damit eine Verbindlichkeit schafft. Diese könnte er sogar noch erhöhen, indem er sein berufliches Feld partizipieren lässt. Wer will schon sein Gesicht verlieren, indem er ein Buch ankündigt und nie realisiert? Zudem hat Hans sein Ziel innerlich visualisiert und emotional als erfolgreiches Erlebnis internalisiert. Doch genügt dies, um über mehr als zwei Jahre dranzubleiben? Besteht da nicht die Gefahr, dass dieses Buch zwar am Entstehen ist, das Endergebnis aber ein Traum bleibt, weil der Alltag genug Steine in den Weg zu legen hat, die das Ergebnis boykottieren? Zu genau diesem Ergebnis kommt Oettingen (2015). Sie postuliert, dass – nebst dem Traumziel, den Absichten und Vorsätzen -ein mentales Kontrastieren und ein konkreter Handlungsplan die Realisierung des Vorhabens signifikant unterstützen. Beim mentalen Kontrastieren werden Schwierigkeiten, welche auftauchen könnten, im Voraus vorgestellt und es wird bereits überlegt, wie diese konkret zu bewältigen sein könnten. In der konkreten Ausformulierung des Plans bedient sich diese Methode auch der Wirkung von mentalen «Wenn-Dann»-Verknüpfungen.
Die elaborierte Konfliktkompetenz von Louise in ihrem Hochschulkontext versagt im privaten familiären Setting vollständig und demonstriert auf eindrückliche Weise die aktuelle Forschungslage: Kompetenzen sind nicht beliebig generalisierbar. Ganz im Gegenteil erwerben wir Wissen und Kompetenzen sehr bereichsspezifisch und situiert. Weicht eine Situation so stark ab, dass Rollen, Relationen und emotionale Beziehungen stark differieren, so kann es durchaus sein, dass eine eigentlich vorhandene Kompetenz nicht abgerufen werden kann respektive auf ein anderes Verhaltensrepertoire zugegriffen wird. Will Louise etwas daran ändern, müsste sie eine neue und kontextspezifische Konfliktkompetenz für ihr familiäres Umfeld aufbauen. An Wissen fehlt es ihr ja nicht. Vielmehr müssen die kontextgebundenen Automatismen, Verhaltensroutinen und subjektiven Theorien modifiziert werden. Vielleicht fehlt es aber auch an einer genügend ausgebildeten transversalen Kompetenz – nämlich der «Gelassenheit» –, die uns befähigt, in emotional stark aufgeladenen Stresssituationen nicht wertend, interpretationsfrei und ruhig zu reagieren. In der Zwischenzeit gibt es bereits