Wie Transfer gelingt (E-Book). Andreas Schubiger

Wie Transfer gelingt (E-Book) - Andreas Schubiger


Скачать книгу
immer einen positiven Transfer, was heisst, dass eine Übertragung positive Effekte zeigt. Wir müssen aber ebenso damit rechnen, dass ein Lernprozess in seiner Anwendung kontraproduktive, hemmende oder störende Wirkungen vorweist. So kann es sein, dass bei der ersten Anwendung von einer Lernstrategie der Lernende dies als sehr zeitaufwendig und in Konkurrenz mit seinem Zeitbudget sieht. Aus Rückmeldungen von Lehrkräften im Rahmen von Ausbildungen von Ausbildern wissen wir, dass die neue Anwendung von Methoden in einem ersten Versuch häufig auch frustrierende und noch nicht befriedigende Resultate zeigt. Diese negativen Effekte müssen gut im Auge behalten werden und durch Schutzschilder und soziale Unterstützungssysteme vorausschauend abgefedert werden (Wahl, 2005). Wenn ein Lernprozess keine Auswirkung auf das neue Handeln hat, sprechen wir im Allgemeinen auch von einem Null-Transfer.

      Naher und weiter Transfer

      Die Distanz der Ähnlichkeit zwischen Ausgangs- und Transfersituation kann als Kontinuum vom nahen zum weiten Transfer beschrieben werden (Schmid, 2006). Nah heisst, dass die Übertragung unmittelbar, in gleichem Kontext mit ähnlicher Aufgabe mit gleichem Schwierigkeitsgrad etc. erfolgt. Ist die Transferaufgabe zeitlich verschoben, in einem anderen Umfeld, innerhalb einer anderen Wissensdomäne oder in der Praxis unter anderen Voraussetzungen, sprechen wir von weitem Transfer.

      Spezifischer und unspezifischer Transfer

      Auf den ersten Blick ist eine weitere Unterscheidung von spezifischem und unspezifischem Transfer sehr verwandt mit nahem und weitem Transfer. Bei der genaueren Betrachtung handelt es sich aber eher um das Kontinuum zwischen kontextgebundenem/inhaltsgebundenem und generalisierendem/formalem Transfer. Ein weitverbreiteter unspezifischer Transfer liegt in der Behauptung, dass der Erwerb der lateinischen Sprache das Erlernen weiterer Sprachen und deren Grammatik erleichtern soll, was meines Wissens nie empirisch belegt werden konnte.

      Die aktuelle Diskussion von transversalen Kompetenzen (Schweri, 2018), die unabhängig von der Domäne und der Situation zur Geltung kommen sollen, fokussiert diesen unspezifischen und generalisierenden Transfer. Dass dieser nicht so einfach realisierbar ist, wird hier in weiteren Kapiteln noch vertieft diskutiert werden.

      «Low road»- und «high road»-Transfer

      Eine weitere Klassifikation in «low road»- und «highroad»-Transfer haben Salomon und Perkins (1987, zit. nach Seel, 2003, S. 312) vorgeschlagen. Low-road-Effekte sind automatisierte Fertigkeiten, die in einer neuen Situation automatisch wieder ausgelöst werden. Mit «high road»-Transfer meinen die Autoren eine bewusst dekontextualisierte, durch variationsreiche Übung erlangte Fertigkeit, die auch in stark veränderten Kontexten zur erfolgreichen Anwendung kommt.

      Veränderung von Verhaltensroutinen

      Diese Transferform stellt eine Sonderstellung dar. Wir haben Verhaltensroutinen in der Vergangenheit handlungswirksam aufgebaut und neuronal in Form von Chunks gut verankert. Diese Chunks sind dann zwar blitzschnell aktiviert, jedoch schwer veränderbar. Weil sie deswegen aber hoch handlungswirksam sind, nehmen sie in unserem Alltag eine entlastende Funktion ein. Ihre Veränderungsresistenz hingengen kann einen erfolgreichen Transfer in Form einer Modifikation ziemlich boykottieren.

      Diesen Sommer war Diethelm Wahl, emeritierter Professor für pädagogische Psychologie an der pädagogischen Hochschule in Weingarten, zu mir auf Besuch. Auf die Frage, wie er die Situation des Lehrens und Lernens in 30 Jahren einschätzt, gab er die folgende – mit einem verschmitzten Lächeln untermauerte – Antwort: «Lehrpersonen werden in 30 Jahren noch viel mehr über gutes Lehren und Lernen wissen. Sie werden jedoch durch ihre resiliente Haltung mehr oder weniger gleich wie heute unterrichten – einzig ihr schlechtes Gewissen wird zunehmen.» Wahrscheinlich liegt es an meinem Alter, dass ich darüber etwas optimistischer denke. Zudem mache ich mit jungen Lehrpersonen die Erfahrung, dass nicht nur das Interesse an neuen Lernformen zunimmt, sondern auch ihre Umsetzungskraft. Das wirkt sich erfreulich auf die Umsetzung und Realisierung von neuen Formen des Lehrens und Lernens aus. Ich nehme an, dass Wahl zu der oben zitierten Einschätzung kommt, weil er sich in den letzten dreissig Jahren intensiv mit den nachfolgend geschilderten, teils ernüchternden Forschungsergebnissen auseinandergesetzt hat.

      Wahl hat schon in den 80er-Jahren empirisch belegt, dass sich langjährige Ausbildungen von Lehrpersonen – nachgelagertes Referendariat einbezogen – kaum auf professionelles Handeln in der Schulpraxis auswirkt (Schubiger 2010). Das in Ausbildungen angereicherte Wissen scheint sich in der Praxis nicht als handlungswirksam zu erweisen. So unterscheiden sich 14-jährige Schüler bei einer Falllösung eines pädagogischen Fallbeispiels nicht signifikant von Studenten der Lehrerbildung im 1. Semester, und auch nicht von Studenten am Ende der Ausbildungen bzw. von Lehrpersonen mit mehrjähriger Erfahrung (Wahl, 2005, Wahl, Weinert & Huber, 1984, Wahl, 1976).

      In dieser Zeit taucht auch der Begriff des «trägen Wissens» auf. Dieser stammt aus der Kognitions- und Lernpsychologie und wurde unter anderem von Renkl (1994, 1996) für den Sachverhalt vorgeschlagen, dass Wissen nicht handlungswirksam wird. Wissen kann drei Wirkungen auf die Planung, Durchführung und Auswertung von Handlungen haben. Im positiven Sinne steuert und beeinflusst Wissen unser Handeln oder anders gesagt: macht Handeln überhaupt möglich. Im neutralen Sinne beeinflusst träges Wissen unser Handeln in keiner Weise. Das heisst, unser Handeln wird durch erlerntes Wissen nicht verändert. Es ist zwar durchaus durch Prüfungen abrufbar. In der konkreten Praxissituation können wir es jedoch nicht für unser Handeln nutzbar machen. Drittens kann Wissen für das Handeln auch hinderlich sein. Das heisst: Träges Wissen stellt sogar eine ungünstige Voraussetzung für erfolgreiches Handeln dar (Wahl, 2005; Gruber, Mandl & Renkl, 2000).

      Selbst das Planungshandeln, das im Gegensatz zum Interaktionshandeln in Ruhe und auf Distanz ausgeführt werden kann, scheint von jahrelangen Ausbildungen unbeeinflusst zu bleiben.

      Anton Haas (1998) zeigt in seiner Untersuchung auf eindrückliche Weise, dass trotz jahrelangem didaktischem Studium das alltägliche Planungshandeln von Lehrkräften in keiner Weise von didaktischen Prinzipien und Theorien geleitet wird. Der Planungsprozess wird laut Haas meist routiniert und beschränkt sich im Wesentlichen auf die Stoffaufarbeitung und deren zeitliche Verteilung.

      Auch Weiterbildungen, die im Normalfall sehr kontextbezogen sind, zeigen ein ähnliches Phänomen. Trotz Zufriedenheit über die Erfahrungen und Erlebnisse im Rahmen eines Kontaktstudiums Erwachsenenbildung und subjektiv positiv eingeschätztem Lernzuwachs können mittels Beobachtung in der Lehrpraxis keine Veränderungen des didaktischen und methodischen Handelns wahrgenommen werden (Eckert, 1990). Die «happy sheets», wie die Zufriedenheitsfragebögen auch mit Schmunzeln genannt werden, beinhalten keine Aussage über eine Umsetzung in der Praxis. In seinem Buch «Die Weiterbildungslüge» entlarvt Gris (2008) die «hochgelobte» praxisorientierte betriebliche Weiterbildung.

      Selbst dann, wenn in Weiterbildungsveranstaltungen problemlösende Veränderungen für die Praxis erarbeitet wurden, beobachtet Mutzeck (1988) nur eine marginale Umsetzung dieser Absichten. Anscheinend genügt auch die Absicht für die Realisation in konkretes Handeln nicht.

      Wahl (1991) hat bei Lehrpersonen in bestimmten Unterrichtshandlungssituationen, zum Beispiel in Störungssituationen, die subjektiven Theorien von Lehrkräften rekonstruiert. Er stellte dabei fest, dass diese unverwechselbar individuell und mit überzufälliger Prognose zukünftiges Handeln in vergleichbaren Situationen voraussagen. Subjektive Theorien erweisen sich somit als äusserst veränderungsstabil.

      Dieses Phänomen des fehlenden Transfers einer Lernsituation in die konkrete Anwendungs- respektive Praxissituation wurde auch ausserhalb der Domäne der Lehrpersonenausbildung beobachtet.

      So schneiden Studierende der Wirtschaftswissenschaften


Скачать книгу