Ausbildung der Ausbildenden (E-Book, Neuauflage). Geri Thomann
weiss, dass Reflexion vor dem «Ernstfall» alles Mögliche als relevant empfinden kann (vgl. Oelkers 2000, S. 81) und Praxis durch Ausbildung bedient werden muss. In diesem Sinne verstehe ich meine Ausführungen explizit als «Verwendungs-» und nicht als «Ausbildungswissen» (vgl. Oelkers 2000, S. 80), das vorliegende Buch nicht als «Lehr-», sondern als «Anregungsmittel», um Praxissituationen zu «bearbeiten», statt sie «vorzubereiten».
Ausgewählte theoretische Aspekte, Geschichten aus eigener Praxis und einige erprobte Instrumente dienen Ihnen dazu, sich besser «durch den alltäglichen Dschungel vielfältiger Bedingungen beissen zu können» (Oser 2000, S. 83).
Dabei bewege ich mich nicht im Reigen einschlägiger Methodenhandbücher, die – wenn sie Wissen mit Sofortwirkung versprechen – für meinen Geschmack Denk- und Reflexionsvermögen von Ausbildenden gehörig unterschätzen.
Ebenso wenig lehne ich mich explizit an spezifische allgemeine oder erwachsenenspezifische didaktische Theorien an; vielmehr sehe ich meinen Ausgangspunkt in der alltäglichen Kompetenzanforderung an Ausbildende von erwachsenen Lernenden. Selbstverständlich verwende ich theoretische Aussagen aus der didaktischen Literatur, selbstverständlich beinhaltet meine Auswahl von Themen und Materialien eine Theorie im Sinne von Grundannahmen und Überzeugungen.
Nach Tietgens (1992, S. 98) ist es in der Erwachsenenbildungsliteratur üblich, entweder «konkret an den Vorgängen zu schreiben, oder hoch in den Ansprüchen». Ich situiere mich dazwischen – mit Blick auf beide Seiten in unterschiedlicher Distanzierung.
Absichtlich wage ich manchmal den Blick über den Bildungszaun in andere Berufsgärten; eine solche Sichterweiterung tut uns Bildungsfachleuten aus meiner Sicht nur gut.
Ich schreibe von «Lernenden», «Kursteilnehmer/innen», «Studierenden», «Lehrer/innen/Lehrenden», «Ausbildenden/Ausbildner/innen», «Weiterbildungsfachleuten», «Seminarleiter/innen» und gebrauche diese Begriffe auch in ihrer geschlechtsspezifischen Schreibweise unterschiedlich, abwechselnd, gelegentlich beliebig. Ebenso unterscheide ich «Ausbildung» nicht von «Weiterbildung». Vorliegendes Material eignet sich somit in der Aus- und Weiterbildung für Ausbildende als Unterrichts- und Lektürematerial oder kann von interessierten Praktiker/innen und Einzelpersonen gelesen werden.
Mein Text bezieht sich mehrheitlich auf die Arbeit mit Erwachsenen, obschon ich die Begriffe «Erwachsenenbildner/in» oder «Erwachsenenbildung» sparsam benutze, da die Grenzen zwischen Jugend- und Erwachsenenalter sich zusehends verflüssigen – meist auf Grund einer «Verjugendlichung» des Erwachsenenstatus. Im Zeitalter der neuen Kindlichkeit sind alle jung, manche noch jünger, alle wollen alt werden und keiner will es sein.
Die einzelnen Kapitel sind in beliebiger Reihenfolge lesbar, Querverweise deuten daraufhin, dass dieselben Aspekte wiederkehrend in neuer Annäherung und anderer Akzentsetzung – also sozusagen in verschiedener Kleidung – behandelt werden. So taucht beispielsweise die «Rolle» in den Kapiteln I, III, IV, VI und VII auf, «Evaluation» als Kursevaluation im Kapitel II, als Teil des Qualitätsmanagements in Kapitel VII, Aspekte der «Wahrnehmung» in den Kapiteln IV und V und so fort. Dabei versuche ich, Wiederholungen möglichst zu vermeiden. Bei der Akzentuierung lasse ich mich durchaus von eigenen Interessen und der Lust an der Sache leiten.
Die Kapitel sind aus Gründen der thematischen Verschiedenheit nicht identisch strukturiert, unterschiedliche Kapitelgrössen beabsichtigen keine thematischen Wertungen.
Eine durchgehende Struktur ist hingegen durch die «Reflexionsfragen» repräsentiert; diese können Sie für sich selbst oder Ihren Unterricht benutzen. Die Übungen, Fallbeispiele oder Rollenspiele sind teilweise als Gruppenübungen oder -arbeiten im Kontext der «Ausbildung der Ausbildenden» gedacht; einzelne Lesende adaptieren die Anleitungen oder überspringen die Übung.
Eigene und andere Geschichten, Beispiele und Erklärungen integrieren sich kleingedruckt in den Text, sie sind das Fleisch am Knochen. Wer beim Knochen bleiben will, darf das Fleisch getrost ignorieren.
Die jeweils zu Beginn der Kapitel formulierten Standards (s. a. Erklärungen in Kapitel I, 2.4) meinen nicht, erreicht werden zu müssen. Vielmehr dienen diese Textmaterialien als eine Ressource unter anderen für eine Standardannäherung.
Einige Textpassagen, Instrumente oder Übungen, die weder aus der Literatur noch aus eigener Feder stammen, sind gewachsene und nicht persönlich autorisierbare, von mir überarbeitete Kursunterlagen des Fundus der aeB Akademie für Erwachsenenbildung aus meiner Zeit als Studiengangsleiter für Lehrgänge in Erwachsenenbildung und Supervision/Organisationsberatung (1995–2005). Stellvertretend für sämtliche Fundus-Mitgestaltenden bedanke ich mich an dieser Stelle beim damaligen Geschäftsleiter der aeB, Herrn Hans-Peter Karrer, und bei meiner Kollegin Elisabeth Fröhlich Luini.
Es freut mich, dass die aeB auch für die 5. Auflage weiterhin die Herausgeberschaft übernimmt und der jetzige Geschäftsleiter Daniel Friederich nach wie vor mir und dem Buch das Vertrauen ausspricht.
Zahlreiche Textteile des Buches haben sich in den letzten Jahren verändert, angeregt durch meine Lehraufträge an der Hochschule für Angewandte Psychologie der FHNW (seit 2007) und vor allem durch meine Tätigkeit im ZHE Zentrum für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich (seit 2009), ab 2018 der Abteilung Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung. Diesen Kontexten verdanke ich zahlreiche Anreicherungen, Aktualisierungen und Ergänzungen für die 5., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Herzlichen Dank für die wertvollen Beiträge von Tobias Zimmermann (Textteile zum Themenbereich Digitalität und Weiterbildung), Franziska Zellweger (Mitarbeit an Kap VII), Monique Honegger (Redaktionelle Mitarbeit), Erik Haberzeth (Textteile zu «Learning Society» und zu «Lernen Erwachsener» im Kapitel I), für ihre unermüdliche logistische Unterstützung meiner Assistentin Barla Projer sowie Daniel Ammann für seine präzise Arbeit am Register.
Gebührender Dank für viele Gespräche, Hinweise und etliche fruchtbare Auseinandersetzungen gilt nicht zuletzt all meinen Studierenden, Kursteilnehmenden, Lernenden und Klienten aus vielen Jahren Bildungs- und Beratungsarbeit, im Speziellen den Teilnehmenden der Diplomkurse in Erwachsenenbildung 95 B (1995–1998) und 98 B (1998–2000) an der aeB Luzern, der Lehrgänge in Supervision und Organisationsberatung der aeB Luzern/Zürich (2002 – 2005), meinen Bachelor- und Mastermodulstudierenden an der Hochschule für Angewandte Psychologie seit 2007 und vielen Hochschuldozierenden als Modul- und Kursteilnehmende oder Beratungsklienten am ZHE seit 2008.
Ein weiteres herzliches Dankeschön gilt meinen Töchtern Vera und Laura. Früher brachten sie mir meine Pädagogik immer wieder produktiv durcheinander, für die vorliegende Auflage haben sie die Literaturverweise und -verzeichnisse gecheckt und viele neue Ideen eingebracht.
Die folgenden zwei, eher theoretisch orientierten «Zugänge» (2. und 3.) gelten zwar als einführende Begründung der nachfolgenden Kapitel, können aber, wenn Sie im Moment ein anderes Thema brennend interessiert, übergangen oder ein andermal nachgelesen werden.
2.Gesellschaftlich-institutioneller Zugang
2.1Learning Society zwischen Programmatik und Realität
Die Erwachsenen- und Weiterbildung war lange Zeit ein Feld, in dem staatliche Eingriffe abgelehnt wurden. Erst mit ihrer erheblich wachsenden Bedeutung für die weitere gesellschaftliche Entwicklung erlangt Weiterbildungspolitik einen höheren Stellenwert (vgl. Faulstich/Haberzeth 2014). Dies hat in der Schweiz dazu geführt, dass es mittlerweile sogar ein einheitliches, übergreifendes Weiterbildungsgesetz gibt, das dieses Lernsystem rahmend regelt (etwas ausführlicher hierzu weiter unten). Bei aller möglichen Kritik an diesem Gesetz ist seine Einführung in jedem Fall bemerkenswert: Sie ist Ausdruck der Einsicht, dass dieses Feld – wie weitere Teile des Bildungssystems ebenso – nicht gänzlich sich selbst überlassen bleiben darf, sondern dass demokratisch legitimierte staatliche Eingriffe notwendig sind, damit dieses Lernsystem den Erfordernissen einer modernen,