Ausbildung der Ausbildenden (E-Book, Neuauflage). Geri Thomann
nationale Qualifikationen europaweit verständlich und soll die grenzüberschreitende Mobilität von Beschäftigten und Lernenden und deren lebenslanges Lernen fördern. Mit der Einführung des EQR sollen Zugang zum und Teilnahme am lebenslangen Lernen sowie die Nutzung von Qualifikationen auf nationaler Ebene gefördert werden. Zudem soll der EQR der Brückenbildung zwischen formalem, nicht formalem und informellem Lernen dienen sowie der Validierung von durch Erfahrungen schon erlangten Lernergebnissen. Leider jedoch haben 2017 erst fünf europäische Länder begonnen, an Konzepten für die Integration von non-formaler Bildung in ihren NQR (nationalen Qualifikationsrahmen) zu arbeiten.
Das Verständnis von «lebenslangem Lernen» ist in den EU-Staaten unterschiedlich:
In Grossbritannien beispielsweise mit seinem stark dezentralen und wettbewerbsorientierten Bildungssystem existiert keine offizielle, einheitliche Definition.
In Frankreich mit einem ausnehmend zentralistisch regulierten Bildungssystem wird lebenslanges Lernen als «persönliches Recht» der Bürgerinnen und Bürger verstanden; dafür soll der Staat entsprechende Angebote bereitstellen.
Die Bundesregierung Deutschlands hat 2008 eine Konzeption für das «Lernen im Lebenslauf» verabschiedet. Diese schliesst an schon bestehende Qualifizierungsmassnahmen an. Leitend war hier der empirische Befund, dass die Beteiligung an Weiterbildung in Deutschland im internationalen Vergleich zu niedrig war. Insbesondere Menschen mit niedriger Qualifikation nehmen zu wenig an Weiterbildung teil (das gilt auch für die Schweiz!). Speziell zu erwähnen ist zudem die geplante Einführung von «Bildungsprämien» und die Verbesserung der Bildungsberatung. Durch finanzielle Anreize sollen mehr Menschen zur individuellen Finanzierung von Weiterbildung motiviert und befähigt werden. Ausserdem sollen Bildungsausgaben grundsätzlich als Investition verstanden werden.
Das Weiterbildungsgesetz in der Schweiz
Das Schweizer Parlament hat 2014 das Weiterbildungsgesetz (WeBiG) angenommen. Es ist seit 2017 in Kraft. Die Weiterbildung wird damit in die Politik zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation (BFI) integriert.
Das Weiterbildungsgesetz regelt als Rahmengesetz:
ADie gesamte non-formale Weiterbildung. Dazu gehören alle Weiterbildungsangebote, die nicht zu einem staatlich anerkannten («formalen») Abschluss führen. Non-formale Weiterbildung umfasst einzelne Kurse, Workshops und selbstorganisierte Lerngruppen genauso wie längere Lehrgänge. Dazu gehören auch die Vorbereitungskurse der Höheren Berufsbildung und Weiterbildungen an Hochschulen (CAS, DAS und MAS).
BErforschung und Entwicklung der Weiterbildung
CFörderung der Grundkompetenzen von Erwachsenen
DFörderung der Organisationen der Weiterbildung
Fünf Grundsätze des Gesetzes thematisieren die Bereiche Verantwortung, Qualität, Anrechenbarkeit, Chancengleichheit und Wettbewerb (siehe https://www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/home/bildung/weiterbildung.html).
Da das Weiterbildungsgesetz ein Rahmengesetz ist, sind die Grundsätze über die entsprechenden Spezialgesetze umzusetzen (d.h. beispielsweise über das Berufsbildungsgesetz, Kulturförderungsgesetz, Hochschulgesetz und Ausländergesetz). Diese Umsetzung steht aktuell (2018) noch aus.
Lernen lebenslänglich
Insgesamt zeigt sich eine immer stärkere Zweckorientierung des lebenslangen Lernens an Beschäftigung und Wettbewerb. Die Forderung nach Bereitschaft zum lebenslangen Lernen ist deshalb auch auf scharfe Kritik gestossen. Die Kritik richtet sich darauf, dass vorab die Optimierung von Lernprozessen fokussiert wird, deren ökonomische Verwertbarkeit naheliegt. Lebenslanges Lernen wird so plötzlich als «Lernen lebenslänglich» verstanden – wer nicht lernt, ist selber schuld. Wir wandeln gemäss dieser Kritik sozusagen als ewig unfertige Baustelle durch das Leben und rasen von Zertifikat zu Zertifikat, unsere Qualität stets optimierend und daher immer ein wenig inkompetent.
Es sollte uns zudem zu denken geben, dass im Sinne des Matthäuseffektes «demjenigen gegeben wird, der schon hat»: Gut ausgebildete Personen bilden sich eher weiter; laut Angaben des Bundesamtes für Statistik der Schweiz bilden sich (Stand 2016) ca 25% der Schweizer Bevölkerung zwischen 15 und 75 (auch informell) nicht weiter. Dazu gehören vor allem wenig oder gering qualifizierte Personen.
Der Gedanke der Demokratisierung weicht hier offensichtlich demjenigen der Wettbewerbsfähigkeit.
Nun «schlagen die aufgeklärt erkämpften kleinen Freiheiten in einen grossen Zwang zur Freiheit um» (Geissler/Orthey 1998, S. 14, vgl. auch Geissler 1997).
Hier Gegensteuer zu geben, dürfte wohl die wichtigste und grösste Herausforderung in der Umsetzung der oben genannten Konzepte werden.
Von der Wiege bis zur Bahre – Seminare, Seminare?
«Sechs Tage dauerte es, bis nach dem programmatischen Ausspruch ‹Es werde Licht!› die Schöpfung vollendet war. Und abgeschlossen wurde sie schliesslich am siebten Tage, an dem Gott sich in die Beobachterposition begab und bewundernd feststellte, dass er es gut gemacht hatte. Irgendwann im Laufe der Geschichte muss er dann bemerkt haben, dass es nicht so weit her ist mit den Menschen, die sich seine Welt untertan machen sollten – und er erschuf die Lehrer, später dann auch noch die Erwachsenenbildner, die Trainer, die Sozialarbeiter und neuerdings die Museums- und Reisepädagogen und die Berater und Coaches (und – weil er gerecht sein wollte – in männlicher und weiblicher Ausprägung). Sie alle durften jetzt selbst ein wenig Licht in das existentielle Halbdunkel bringen und mit dem Anspruch auftreten, wenn schon nicht die Welt, so doch die Menschen zu verbessern.
Irgendwie jedoch klappt das nicht. Auf jeden Fall nicht so, dass die Ersatzgötter auf ihr Werk schauen und zufrieden mit dem wären, was sie und wie sie sich angestellt haben. Statt Schöpfung scheint immer nur Erschöpfung herauszukommen. ‹Burn out›, wo man hinschaut, und die Mittel, die man dagegen einsetzt, die sucht man wiederum im Bereich des pädagogischen Bemühens. Misserfolg kennt dieses System nicht – vielmehr ist dieser ein Teil des Erfolges. Das System ist auf dem Weg, sich selbst mit Anschlussmöglichkeiten überzuversorgen. Pädagogisierung total – selbstreferentiell! Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Gott sich bei der Erschaffung des pädagogisch tätigen Menschen nicht an sich selbst orientiert hat, sondern an dem von ihm ja auch ‹geschöpften› Hamster im Laufrad.» (aus: Geissler/Orthey1998, S. 21/22)
Haben Sie heute schon gelernt?
Über das landauf landab gepredigte «lebenslange Lernen» müsste ich mich eigentlich freuen: Wenn lebenslang gelernt wird, darf auch lebenslang gelehrt werden.
Trotzdem sträubt sich alles in mir gegen diese unvermeidliche und endlose Lebenslänglichkeit. Verdammt zum ewigen Lernen sollen wir als Lernende – angeleitet und kontrolliert von Lernhelferinnen, Lernbetreuern, Lernbegleiterinnen und Lernmoderatoren – sozusagen im Lernhochsicherheitstrakt unser Lernen fristen? Macht Lernen denn wirklich glücklich?
Klar, mit dem lebenslangen Lernen hätte wenigstens etwas im sich beschleunigenden technologischen und sozialen Wandel Bestand.
Immerhin könnten wir dereinst von uns behaupten, wenigstens lebenslang gelernt zu haben.
Und doch weigere ich mich, mein Leben lang sozusagen als wandelndes unfertiges Produkt zu leben und kontinuierlich dafür sorgen zu müssen, meine Inkompetenz aufrechtzuerhalten, um damit wiederum meinen Lernbedarf zu sichern oder gar zu erhöhen. Mein Leben ist keine Lernwerkstatt.
Und: Lernen lebenslänglich geht blitzschnell!
Das Verfalldatum von Lerninhalten wird immer kürzer; kaum ausgepackt, setzt schon der Schimmel an.
Wir rasen als Lerner/innen pausenlos im Lerneilzugstempo von Zertifikat zu Zertifikat, von Qualifikation zu Qualifikation, die kaum erworben schon wieder als wertlos und überholt erklärt werden.
Tempo Teufel! Wer da nicht mithält und lernt, was das Zeug hält, bleibt auf der Strecke.
Die Gegenwart wird zur Durchgangsstation,