Demokratisierung von Organisationen – Erfolgsmodell Schweiz. Ralph Höfliger

Demokratisierung von Organisationen – Erfolgsmodell Schweiz - Ralph Höfliger


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eine Governance eingeführt wird, die Freiheit und Selbstverantwortung fördert. Kuno war Assistent eines Bundesrates und leitete danach viele Jahre Public Affairs der Schweizerischen Bankiervereinigung. Er war deshalb hervorragend vertraut mit den Stärken und Schwächen des Regierungssystems Schweiz. Als ich ihm über die neuen Organisationsmodelle «jenseits der Machthierarchie» erzählte, die sich in Wirtschaftsorganisationen immer mehr ausbreiten, wie Soziokratie, Holakratie, Responsive Org, Teal, S3, kollegiale Führung, etc., ihm darlegte, weshalb und wie ein hoher Selbstorganisationsgrad eine Organisation agiler und resilienter macht, und erklärte, wie dadurch auch Innovationskraft, Produktivität und Attraktivität für die Mitarbeitenden steigen, sagte er nach einer Weile nachdenklich: «Hmm, solch ein System haben wir doch schon lange in der Schweiz, schon seit über 170 Jahren! Es funktioniert hervorragend und hat aus dem Armenhaus Europas das beste Land der Welt gemacht. Wieso wird das Rad neu erfunden?».

      Diese Aussage elektrisierte mich. Wir begannen herauszuschälen, welches die wesentlichen Elemente dieses genialen Regierungssystems sind. Begeisterung entstand, als wir erkannten, wie wenige Elemente es eigentlich sind, die das System konstituieren, und wie einfach es im Grunde genommen aufgebaut ist und funktioniert. Ganz nach Albert Einstein’s Spruch: «Alles Geniale ist einfach!».

      Am Ende des Abends war klar: Das müssen wir aufschreiben! Das muss grossflächig bekannt gemacht werden!

       C.Wozu dieses Buch?

      Die direkte Demokratie der Schweiz entstand aus dem urmenschlichen Bedürfnis nach Freiheit als Antwort auf die ausbeuterische feudalistische Machtherrschaft der Habsburger.

      Freiheit mobilisiert Lebensenergie, Kreativität, Ideenvielfalt und Engagement und erweitert das Bewusstsein. Denn wer Freiheit hat, hat die Wahl. Wenn man die Wahl hat, muss man wissen, was man will. Wenn man herausfindet, was man will, erweitert man das eigene Bewusstsein, ein Bewusstsein jenseits des «Autopilots» und konditionierter Idealbilder, ein Bewusstsein über das, was Mensch wirklich will.

       Direkte Demokratie ist die Freiheit und Verantwortung, das eigene Paradies zu erschaffen.

      Diese Freiheit und diese Eigenverantwortung – in dem System, in dem man lebt und arbeitet, das Paradies zu erschaffen – möchte dieses Buch in die Welt bringen und so zu einer besseren Welt beitragen.

      Freiheit führt deshalb zu erhöhter Eigenverantwortung und Verbundenheit mit dem System, in dem man lebt, weil man erkennt, dass man «niemandem die Schuld für die eigene Misere» geben kann.1

      Freiheitsentzug führt zum Gegenteil: Die Menschen distanzieren sich, kümmern sich nur noch um ihre eigenen Dinge und geben dem Umfeld die Schuld für ihr Leiden.

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      In der direkten Demokratie haben alle Bürgerinnen und Bürger2 die Freiheit und Möglichkeit, beim Erkennen eines Problems oder einer Chance mittels einer Initiative eine entsprechende Veränderung zu initiieren, die bei genügend Gefolgschaft auch umgesetzt wird. Somit sind alle potenzielle «Change Agents», Agenten des Wandels, Mitgestalter und Optimierer des eigenen Systems: der Strukturen und Regeln, die das eigene Leben entscheidend prägen.

      Die meisten Unternehmen und Organisationen sind heute jedoch immer noch mittelalterlich post-feudalistisch organisiert.

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      Im Kern einer feudalistischen Governance liegt die Trennung von Entscheiden und Handeln. «Oben» wird nachgedacht, entschieden und geplant, «unten» wird ausgeführt. Diese Trennung führt dazu, dass ein Grossteil der im Betrieb vorhandenen Ressourcen nicht genutzt oder gar verschleudert werden. Folgende kleine Geschichte dazu:

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       Petra beobachtet zwei Strassenarbeiter. Der eine hebt ein Loch aus, der andere schüttet es wieder zu. «Um Gottes Willen, was machen Sie denn da?!?», fragt sie die beiden erstaunt. Diese antworten: «Unser Kollege, der den Baum einpflanzt, ist krank und unsere Chefin den ganzen Tag in Sitzungen.»

      Können wir noch länger auf das Engagement und Bewusstsein all der Menschen verzichten, die durch ein post-feudalistisches System gezwungen werden, das Denken auszuschalten und blind den Anweisungen von oben zu folgen? Können wir uns noch erlauben, dass einige Wenige an der Spitze einer Machthierarchie denken und entscheiden, und die grosse Masse im Autopilot-Modus tut, was befohlen wird und über die Zustände wehklagt und lästert, anstatt mitzudenken und sich für das grössere Ganze zu engagieren? Können wir uns diese grossflächige Unbewusstheit in unseren Organisationen noch länger leisten?

      Die Einladung an die geschätzten Leser dieses Buches ist, die Governance der direkt-demokratischen Schweiz als Erfolgsmodell für moderne Wirtschaftsorganisationen zu betrachten und den Blick zu wagen, ob, was und wie man von diesem Erfolgsmodell lernen kann.

      Dabei wird Demokratisierung nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel und Weg verstanden, den Sinn und Zweck einer Organisation – die Wertschöpfung – erfolgreicher und nachhaltiger zu erfüllen in einer Zeit, die geprägt ist von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität und Ansprüchen der Mitarbeitenden, die weit über das reine Geldverdienen hinausgehen.

      Weiter ist die Absicht dieses Buches aufzuzeigen, wie die Einführung der direkten Demokratie in Wirtschaftsorganisationen die Grundwerte Freiheit, Selbstverantwortung, Bewusstsein und Engagement für das System, in dem man lebt, und damit grundsätzlich nachhaltiges Denken und Handeln fördert – etwas, was die Welt angesichts der aktuellen Herausforderungen dringend braucht.

      Bei KMUs gibt es bereits viele erfolgreiche Beispiele demokratisch geführter Organisationen3. Aus der Tatsache, dass es noch keine Grossunternehmen mit direkt-demokratischer Governance gibt, könnte man irrtümlicherweise schliessen, dass direkte Demokratie nur in überblickbaren KMUs funktioniert. Dieses Buch zeigt auf, dass direkte Demokratie auch in grossen Organisationen funktioniert (und gemeint ist wirklich gross: Die «Organisation Schweiz» hat 8.5 Mio. Mitglieder!), und wie sie schrittweise eingeführt werden kann.

       D.Warum jetzt?

      Disruptiver Wandel ist zur Normalität geworden, nicht erst seit Covid-19. Die Globalisierung verbreitete ein Virus in Monatsfrist um die ganze Welt und beschleunigte den disruptiven Wandel, den bereits die Digitalisierung in die Welt brachte.

      Wer hätte sich noch vor wenigen Jahren vorstellen können, dass das grösste Taxiunternehmen keine Autos besitzt (Uber)? Das grösste Film-Unternehmen keine Kinos (Netflix)? Das grösste Unternehmen für die Bereitstellung von temporären Unterkünften keine Hotels und Ferienhäuser (Airbnb)?

      Feudalistische Machthierarchien mögen zielführend gewesen sein zur Zeit der grossen Heere und Schlachtfelder: Dort mag es genügt haben, wenn der General auf dem Hügel den Überblick hatte (das Bewusstsein über das System), seine Strategie entwarf und Befehle erteilte. Ähnliche Verhältnisse gab es zur Zeit der Industrialisierung, aus welcher die hierarchischen Organisationsformen stammen: Märkte und Technologien waren überschaubar.

      In Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity – VUCA) hat jedoch niemand mehr den Überblick.

      In der VUCA-Welt versagen Einzelkämpfertum, postheorisches Management und Machthierarchie. VUCA erfordert Bewusstheit, Intelligenz und Engagement Vieler für nachhaltige Lösungen. Und genau dies leistet die direkte Demokratie4, genau dies fördert dieses Buch.


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